Berührend: „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ in Linz
In Zeiten des Coronavirus sind die Theater dicht und immer mehr Häuser zeigen ihre Produktionen im Internet – entweder Liveübertragungen aktueller Produktionen oder aber Aufzeichnungen früherer Aufführungen. Das Landestheater Linz streamte kürzlich für wenige Tage seine preisgekrönte Musical-Uraufführungsproduktion „Der Hase mit den Bernsteinaugen“. Eine gute Gelegenheit für alle, die das Stück letztes Jahr verpasst haben, dieses berührende Musical nun doch noch zu sehen.
Basierend auf dem Buch von Edmund de Waal, umreißen Thomas Zaufke (Musik) und Henry Mason (Buch und Songtexte) die 150-jährige Familiengeschichte von de Waals Vorfahren in rund zweieinhalb Stunden – und das dramaturgisch äußerst ansprechend. Geschildert werden in „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ die Geschicke von Edmund de Waals jüdischen Vorfahren, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Handelsunternehmer ein riesiges Finanzimperium aufbauen und später von den Nazis verfolgt und enteignet werden. Einzig eine Sammlung von 264 fingergroßen japanischen Schnitzfiguren – Netsuke genannt – überstehen den Krieg. Unter diesen Figuren befindet sich auch der titelgebende Hase mit den Bernsteinaugen.
Henry Mason, der Buch und Songtexte verfasst hat, zeichnet auch für die Regie seines Musicals verantwortlich. Dabei ist es ihm gelungen, die komplexe Handlung des Romans mit ihren zahlreichen Charakteren sehr komprimiert auf die Bühne zu bringen und den Fokus auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zu setzen. Als Erzähler fungiert dabei Edmund de Waal, der nicht nur von außen erzählt, sondern Teil des Bühnengeschehens ist.
Um von den Charakteren nicht abzulenken, hat Jan Meier – der nicht nur die zeitgemäßen Kostüme entworfen hat – ein sehr zurückhaltendes Bühnenbild geschaffen, das hauptsächlich aus einer weißen Projektionswand besteht, auf die Bilder projiziert werden, um unterschiedliche Handlungsorte und Zeiten anzudeuten. Weiße Würfel dienen in verschiedenen Konstellationen außerdem als Sitz- und Stehgelegenheiten, ein Schrank mit den Schnitzfiguren bildet zudem den roten Faden über Generationen hinweg.
Die Musik von Thomas Zaufke (Musikalische Leitung: Christopher Mundy) bedient sich unterschiedlicher Stile, ist geprägt von Walzer und Märschen, von Charleston und Schlager im Stil der 1920er Jahre. Dabei wechseln sich auskomponierte Szenen mit hymnischen Ensemblenummern, lyrischen Duetten und dramatischen Soli ab, die allesamt gut ins Ohr gehen. Durch verschiedene Themen und Motive liefert Zaufkes Musik den perfekten Hintergrund für Charaktere und Szene und treibt die Handlung so exzellent voran.
Eine durchweg starke Darstellerriege bringt die berührende Geschichte um die russisch-österreichische Bankendynastie Ephrussi auf die Bühne. Dabei verleiht Christof Messner seinem Edmund de Waal eine starke Stimme und schauspielerische Tiefe. Schauspielerisch ebenfalls stark ist Ariana Schirasi-Fard als Anna. Eine gewohnt erstklassige gesangliche Leistung liefert Riccardo Greco, dem die Wandlung vom jungen zum alten Viktor von Ephrussi ebenfalls sehr gut gelingt.
Carsten Lepper verleiht Charles von Ephrussi mit seinem intensiven Schauspiel eine schöne Kontur, ebenso können Anais Lueken als Sue Chandler und Elisabeth von Ephrussi sowie Hanna Kastner als Louise Cahen d’Anvers schauspielerisch wie gesanglich punkten. Jan Nikolaus Cerha kann als Edmond de Goncourt und Steinhäusser mit seinem Schauspiel herausstechen, Myrthes Monteiro begeistert mit klarer Stimme und ihrer Bühnenpräsenz in der Rolle der Emmy von Ephrussi. Die Rolle des Iggie von Ephrussi teilen sich Gernot Romic als junger Iggie und William Mason als alter Iggie. Beide machen dabei eine äußerst gute Figur, ebenso die Kinderdarsteller.
Insgesamt also erweist sich „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ als rundum gelungenes Musical, das auch als Aufzeichnung mit seiner Geschichte, den Charakteren und der Musik zu berühren vermag. Bleibt zu hoffen, dass sich nach der Corona-Krise weitere Theater diesem Werk annehmen und es auf den Spielplan setzen.
Text: Dominik Lapp