„Heidi“ in Walenstadt (Foto: Andy Mettler)
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Gelungene Adaption eines Kinderbuches: „Heidi“ in Walenstadt

Noch heute faszinieren die Geschichten von „Heidi“ Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Ein weiteres neues Musical mit demselben Titel, basierend auf der Vorlage von Johanna Spyri, hat diesen Sommer mit Musik und Libretto von Patric Scott auf der Walenseebühne in Walenstadt (Schweiz) das Licht der Welt erblickt – nahe dem Originalschauplatz. Mit dem Stoff ist man am Walensee bereits erfahren, denn bereits 2005 und 2006 war dort ein anderes „Heidi“-Musical zu sehen, auf das in den Jahren 2007 und 2008 sogar ein zweiter Teil folgte.

Das Heididorf Maienfeld spiegelt sich im Bühnenbild von Christoph Weyers sehr gut wider und wird durch viel Holz dargestellt. Link das Dörfli, rechts das Orchester und mittig die Alphütte des Alpöhis. Durch ein Drehelement verwandelt sich das Dörfli später im Handumdrehen in das detailreich ausgestattete Frankfurter Haus der Familie Sesemann. Das passende Lichtdesign von David Kachlir taucht die Szenerie in eine hübsche Atmosphäre. Der Handlung und Zeit entsprechend, sind die Kostüme von Andrea Kucerová ausgefallen, die optisch das Schweizer Landleben aufgreifen und in den Frankfurter Szenen der eleganten Upper-Class-Mode des ausgehenden 19. Jahrhunderts entsprechen.

„Heidi“ in Walenstadt (Foto: Thomas Kessler)

Das Buch von Patric Scott hält sich an die Vorlage von Johanna Spyri, seine Musik ist auf die jeweiligen Charaktere zugeschnitten, klingt mal fröhlich, mal düster und weist auch volkstümliche Element auf. Das 22-köpfige Orchester unter der Leitung von Gaudens Bieri intoniert Scotts abwechslungsreiche Partitur mit Leidenschaft und Präzision und bildet einen famosen Klangteppich, der die Darstellerinnen und Darsteller durch den Abend trägt.

Für eine starke Charakterzeichnung und -entwicklung zeichnet Regisseur Stanislav Mosa verantwortlich, der emotionale Szenen geschaffen hat, die gesamte Bühne geschickt nutzt und die Geschichte sehr flüssig erzählt. Dynamik erhält die Inszenierung durch die Choreografie von Tihana Strmecki.

In der Titelrolle überzeugt Kim Fölmli schauspielerisch mit großer Wandlungsfähigkeit und Authentizität. Die achtjährige Heidi nimmt man ihr zu jeder Zeit ab, genauso wie die emotionalen Achterbahnfahrt des Mädchens. Auch gesanglich enttäuscht Fölmli nicht und verzaubert mit ihrer klangschönen Stimme. Zusammen mit Stephan Luethy als Geißenpeter und Jasmin Reif als Klara bildet Kim Fölmli ein starkes Dreiergespann, das sich sehr gut ergänzt.

„Heidi“ in Walenstadt (Foto: Andy Mettler)

Stephan Luethy gelingt es großartig, den Geißenpeter als Heidis treuen und loyalen Freund darzustellen, der aber auch eifersüchtig und verletzlich sein kann. Jasmin Reif visualisiert als Klara ein zartes und gesundheitlich beeinträchtigtes Mädchen, das sich durch bemerkenswerte Geduld und Duldsamkeit auszeichnet. Reif zeigt zudem exzellent, wie mutig und willensstark ihre Klara ist, die sie mit strahlend schöner Stimme singt. Einer der berührendsten Momente ist sicher, wenn das Mädchen aus Frankfurt auf der Alp wieder das Laufen lernt.

Aber auch die weitere Cast kann sich sehen und hören lassen. Christoph Wettstein berührt als Alpöhi mit seinem warmen Bariton, während Pia Lustenberger ein herrlich strenges Fräulein Rottenmeier gibt. Als Herr und Frau Sesemann begeistern Nathanael Schaer und Isabel Florido mit authentischem Schauspiel, genauso wie Thomas Christ als Doktor Classen und Ronja Katzmann als Tante Dete. Als kleines Bonbon erweist sich, dass Autor und Komponist Patric Scott die kleine Rolle des Herrn Kandidat übernimmt.

Die Geschichte von „Heidi“ ist stark mit der alpinen Landschaft der Schweiz verbunden und somit der perfekte Stoff für die eindrucksvolle Walenseebühne. Das Musical ist genauso inspirierend wie berührend und punktet mit wunderschöner Musik, einer fantastischen Open-Air-Atmosphäre und einer durchweg überzeugenden Cast. Vor allem aber ist es kein reines Kinderstück, sondern besitzt den Anspruch, sowohl kleine als auch große Besucherinnen und Besucher gleichermaßen anzusprechen. Dieses „Heidi“-Musical ist ein echter Geheimtipp, der nach der Spielserie in Walenstadt hoffentlich nicht in der Versenkung verschwindet.

Text: Christoph Doerner

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Nach seinem Studium der Musiktheaterwissenschaft, einem Volontariat sowie mehreren journalistischen Stationen im In- und Ausland, ist Christoph Doerner seit einigen Jahren als freier Journalist, Texter und Berater tätig.