Musikalisch und optisch glänzend: „Die Hochzeit des Figaro“ in Hannover
Es gibt viel zu hören und noch viel mehr zu sehen an der Staatsoper Hannover. Denn Lydia Steiers Neuinszenierung von Mozarts turbulenter Liebesoper „Die Hochzeit des Figaro“ (Libretto: Lorenzo Da Ponte) wirkt durch eine neue Lesart nicht nur frisch und lebendig, sondern erweist sich als großes Ausstattungsstück. Auf der Bühne strahlen ausladende Rokoko-Kostüme und exzellente Stimmen um die Wette, während aus dem Orchestergraben ein glänzender Klangteppich schwappt. Das ist große Oper!
Lydia Steier geht in ihrer Inszenierung nicht nur neue Wege, indem sie Susanna, die Braut Figaros, in den Mittelpunkt stellt, sondern indem sie das Stück mit dem Finale beginnen lässt. Noch bevor die Ouvertüre – es ist wohl eine der schönsten der Opernliteratur – erklingt, stehen die Solistinnen und Solisten vor dem Vorhang und bilden das Schlussbild, das am Ende des Stücks noch einmal gezeigt wird. Zwischen diesen beiden Bildern geht es drei Stunden lang um Liebe und Intrigen.
Vor allem aber hat Steier im Stück einen Gegenwartsbezug gesucht und ihn in Person des Grafen Almaviva gefunden, der als übergriffige männliche Machtperson für die #Metoo-Debatte steht. Außerdem spiegelt sich in allen Figuren eine grundsätzliche Unzufriedenheit mit dem Status Quo, mit einem nicht mehr funktionierenden System wider. Dementsprechend ist Figaro der Revolutionär, mit narzisstischer Ader, der vor lauter Unzufriedenheit Brände legen möchte.
Richard Walshe steht die Revoluzzer-Rolle des Figaros sehr gut, die er gesanglich mit seinem angenehmen Bassbariton vortrefflich ausfüllt. Von der Regie ins Zentrum gerückt wurde die Rolle der Susanna, die immer wieder auftaucht, um die Szenen vom Rande des Bühnenbilds oder des Orchestergrabens zu beobachten. Diesen entsprechend großen Part weiß Sarah Brady exzellent darzustellen und mit ihrem sanft-verlockenden Sopran zu intonieren.
Kiandra Howarth gibt mit ihrem klangschönen Sopran eine herausragende Gräfin Almaviva, die von der Regie dauerhaft ins Bett verfrachtet wurde, wo sie depressiv über die Liebe zum abtrünnigen Ehemann sinniert. Ihr zur Seite steht mit Germán Olvera ein erstklassiger Graf mit noblem Timbre und schönen Phrasierungen, der auch schauspielerisch alle Facetten seiner Figur perfekt zeigt.
Mit ihrem geschmeidigen, kraftvoll leuchtenden Mezzosopran überzeugt Nina van Essen als Cherubino, Iris van Wijnen empfiehlt sich mit spitz-fordernder Stimme als Marcellina, Daniel Eggert verleiht seinem Bartolo einen voluminösen Bass und Philipp Kapeller lässt seinen Basilio tenoral strahlen. Komplettiert wird die starke Solistenriege durch Peter O’Reilly als Don Curzio, Frank Schneiders als Gärtner Antonio und Petra Radulovic als dessen Tochter Barbarina. Wunderbar einstudiert wurde außerdem der Chor von Lorenzo Da Rio.
Aber nicht nur auf der Bühne werden musikalische Glanzstunden geboten, auch aus dem Orchestergraben tönt es geradezu fantastisch. Dort begeistert Giulio Cilona am Dirigentenpult durch seine außerordentliche Feinfühligkeit, mit der er das Niedersächsische Staatsorchester durch Mozarts Partitur führt. Das Orchester spielt klanglich strahlend und elegant, doch ebenso markant in den Phrasierungen, was bereits in der Ouvertüre deutlich wird und das Publikum auf einen musikalisch wertvollen Opernabend vorbereitet.
Wertvoll ist „Die Hochzeit des Figaro“ in Hannover zudem hinsichtlich der optischen Opulenz, die in Lydia Steiers Inszenierung geboten wird. Alfred Mayerhofer hat herrliche Rokoko-Kostüme entworfen, wie man sie heutzutage nicht mehr oft auf Opernbühnen zu sehen bekommt. Das Bühnenbild und die Videoeinspielungen von Momme Hinrichs nehmen das Publikum mit in das Schloss des Grafen Almaviva, wo sich die Räume von links nach rechts und von rechts nach links bewegen und so immer wieder neue Szenerien entstehen lassen, die von Elana Siberski perfekt ins rechte Licht gerückt werden.
Text: Dominik Lapp