Klassiker im Corona-Gewand: „Der kleine Horrorladen“ in Detmold
Immer wieder gern gespielt und immer wieder gern gesehen ist das Musical „Der kleine Horrorladen“. Das Werk von Alan Menken (Musik) und Howard Ashman (Texte) feierte zwar bereits im Frühjahr 2020 Premiere am Landestheater Detmold, kann aufgrund der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Hygiene- und Abstandsregeln aber nicht mehr in der Form aufgeführt werden, wie es von Regisseur Götz Hellriegel ursprünglich inszeniert wurde. Was jetzt in Detmold zu sehen ist, ist eine grundlegend überarbeitete Corona-Version, die nicht weniger sehenswert, aber auch sehr verrückt ist.
Das ausladende, sehr detaillierte Bühnenbild von Dietlind Konold ist mehr oder weniger dem Corona-Rotstift zum Opfer gefallen. Mushniks Blumenladen? Gestrichen. Orins Zahnarztpraxis? Gestrichen. Im Hintergrund ist nur noch die Silhouette einer amerikanischen Großstadt übriggeblieben, der Blumenladen wird lediglich durch ein Schild angedeutet. Immerhin: Die überdimensional große fleischfressende Pflanze Audrey Zwo ist noch immer beeindruckend. Die Kostüme, für die ebenfalls Dietlind Konold verantwortlich zeichnet, spiegeln die Fünfzigerjahre wunderbar wider.
Weil Requisiten wegen der Corona-Auflagen immer nur von einer Person benutzt werden dürfen, gibt es in Götz Hellriegels Neuinszenierung gar keine mehr – die Ausnahme bildet Orins Zahnbohrer, den aber auch nur dieser benutzt. Wenn Geldscheine und Blumen den Besitzer wechseln, wird das lediglich angedeutet. Damit sich die Darsteller nicht zu nahekommen, wurden auf dem schwarzen Bühnenboden goldene Hula-Hoop-Reifen verteilt. Im Radius dieser Reifen wird agiert, die Reifen werden auch mal gewechselt. Aber menschliche Nähe wird nicht zugelassen. Selbst wenn einige Charaktere Audrey Zwo zum Opfer fallen, wird dies lediglich angedeutet.
Was zunächst befremdlich anmuten mag, erweist sich letztendlich als witzige Idee. So liegt der Fokus der Inszenierung ohnehin viel stärker auf der Leistung der Mitwirkenden – und die ist ausnahmslos großartig, denn alle Rollen sind hervorragend besetzt. Timothy Roller gibt einen liebenswürdig-tollpatschigen Seymour, begeistert dabei gesanglich wie schauspielerisch. Die Entwicklung seines Charakters vom schüchternen, zurückhaltenden Jungen zu einer Art Held gelingt ihm mit Bravour. Mit seiner klangschönen Stimme lässt er zudem in seinem Solo „Wachs‘ für mich“ und im Duett „Jetzt hast du Seymour“ aufhorchen.
An seiner Seite erweist sich Ewa Noack ebenfalls als äußerst wandelbare Darstellerin. Sie harmoniert exzellent mit Timothy Roller und singt die Partie der Audrey makellos. Ihr Solo „Im Grünen irgendwo“ präsentiert sie als starke Hymne auf Audreys Sehnsüchte und Träume. Schauspielerisch zeigt sie Audrey nicht einfach als naives Blondchen, wie diese Rolle häufig dargestellt wird, sondern als unterdrückte, unsichere Frau, die im Verlauf der Handlung zunehmend an Selbstwertgefühl gewinnt.
Hannes Staffler tritt dagegen als sadistischer Zahnarzt Orin herrlich böse auf, singt mit rockiger Stimme und überzeugt mit hysterisch-manischem Lachen, bevor er den Lachgas-Tod stirbt. Besonders wandelbar zeigt er sich, wenn er zwischen mehreren Rollen wechselt und einen Obdachlosen genauso wie einen Geschäftsmann oder Kunden mimt.
Als Mr. Mushnik steht Patrick Hellenbrand auf der Bühne, der den anfangs erfolglosen Blumenladenbesitzer einerseits in Selbstmitleid ertrinkend, andererseits aber als tüchtigen Geschäftsmann gibt – zumindest so lange, bis er Audrey Zwo (stark gesungen von Henning Bormann und perfekt gespielt von Patrick Jech) zum Opfer fällt. Als eine Art Erzählerinnen, die zum einen von außen kommentieren und zum anderen aktiv in der Handlung sind, führen die Soulgirls Isabell Fischer (Crystal), Kathrin Ost (Ronnette) und Mira Keller (Chiffon) durch die Handlung und überzeugen mit ihren starken Stimmen.
Musikalisch wartet „Der kleine Horroladen“ mit vielen eingängigen Melodien auf. Alan Menken hat eine stilistisch breit gefächerte Partitur geschaffen, die sich zwischen Pop-Balladen, Motown, Rock und Soul bewegt. Für einen satten Sound sorgt die Band im Orchestergraben unter der Leitung von Hye Ryung Lee, die immer das passende Tempo vorgibt. Mag es auch schade sein, dass viel von der ursprünglichen Inszenierung des „Horrorladens“ eingebüßt wurde, so hat Regisseur Götz Hellriegel aus seiner Corona-Version das Optimum herausgeholt und einen genauso kurzweiligen wie abwechslungsreichen Musicalabend geschaffen.
Text: Dominik Lapp