Gefeierter Held: „Jesus Christ Superstar“ in Magdeburg
Riesengroß prangen die leuchtenden Buchstaben HERO vor dem Magdeburger Dom und lassen erahnen, dass hier in den kommenden zwei Stunden ein Held gefeiert wird. Aber so, wie er wohl noch nicht oft zuvor in einer Inszenierung des Musicals „Jesus Christ Superstar“ gefeiert wurde. Denn neben der Titelfigur gibt es auf dem Domplatz in Magdeburg noch einen Helden, noch einen Superstar – den Regisseur Sebastian Ritschel.
Ritschels Inszenierung ist clean, modern, poppig, wirkt aber niemals krampfhaft modernisiert. Er hat die Story behutsam entstaubt, in einen heutigen Kontext gesetzt und erzählt vom Aufstieg und Fall einer herausragenden Persönlichkeit, die immense Begeisterung weckt und deshalb als eine Art Pop-Ikone, Filmstar, ja, Held verehrt wird. Weil Ritschel neben der Regie auch für das Kostümbild verantwortlich zeichnet, wirkt alles wie aus einem Guss – und das kann sich wirklich sehen lassen, genauso wie das einfache und doch imposante Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic.
Weil der Dom schon imposant genug ist, besteht das Set lediglich aus einer riesengroßen Treppe, dem besagten Schriftzug, einem in den Bühnenboden eingelassenen Pool, in dem die Apostel beim letzten Abendmahl plantschen, und drei eisernen Treppentürmen. In Verbindung mit Licht, Bühnennebel, Kostümen und der ausgeklügelten, äußerst sehenswerten Choreografie von Kati Farkas entstehen so zahlreiche große Bilder.
Doch neben all diesen großen Bildern und Massenszenen mit Solisten, Ensemble, Opernchor, Ballett und Statisterie kommen auch die ruhigen, emotionalen Szenen auf der leeren Bühne nicht zu kurz. Weil bei „Jesus Christ Superstar“ gänzlich auf Dialoge verzichtet wurde und das Werk durchkomponiert ist, entwickelt die Handlung eine wunderbare Dynamik und Spannung, die Sebastian Ritschel in seiner Inszenierung hervorragend zu nutzen und zu visualisieren weiß.
Letztendlich steht und fällt „Jesus Christ Superstar“ von Andrew Lloyd Webber (Musik) und Tim Rice (Text) allerdings mit der Besetzung. Und die ist in Magdeburg wirklich erstklassig. Mit unglaublicher Bühnenpräsenz stellt Tobias Bieri als Jesus den zum Helden – zum Hero – stilisierten Messias dar und fesselt in jeder gesungenen Note mit der Strahlkraft seiner Stimme. So verwundert es auch nicht, dass seine Interpretation von „Gethsemane“, in der er seine Stimmgewalt bis in die höchsten Register unter Beweis stellt, einer der Höhepunkte des Abends ist.
Ein ihm absolut ebenbürtiger Gegenspieler ist Timothy Roller als Judas, der mit seiner starken Rockstimme bei den Songs „Weil sie ach so heilig sind“ und „Verdammt für alle Zeit“ voll in die Offensive geht und hervorragend Judas‘ innere Zerrissenheit über die Rampe – besser gesagt: über die Treppe – bringt. Es gelingt Roller geradezu perfekt, seinen Judas nicht als klassischen Bösewicht zu zeigen, sondern als der enttäuschte Freund, dem Personenkult und Hysterie fremd sind und der Jesus eigentlich nur warnen möchte – bis ihm alles aus dem Ruder läuft. Dabei ist er in einer Doppelfunktion gleichermaßen Handlungsträger wie Kommentator des Geschehens und wirkt beinahe sympathisch.
Zwischen den starken Herren hat es Julia Gámez Martin zwar nicht einfach, doch kann sie sich vollends als Maria Magdalena behaupten. Ihre natürliche Gestik und Mimik sowie ihr einfühlsames Schauspiel kommen ihr dabei sehr zugute, genauso wie ihr makelloser Gesang. Ihre schnörkellosen Interpretationen lassen die sonst so kitschigen Songs „Wie soll ich ihn nur lieben“ und „Lass uns neu beginnen“ (stark im Duett mit Christian Miebach als Petrus) wunderbar frisch und authentisch klingen.
Einen genial verzweifelten Pontius Pilatus gibt Johannes Wollrab, während Bartek Bukowski mit seinem dunkel legierten Bass ganz exzellent den Hohepriester Kaiphas singt. Martin Mulders bildet als Annas mit seiner eloquenten Tenorstimme das perfekte Pendant dazu und Jannik Harneit gefällt als Simon Zelotes mit seiner strahlenden Gesangsstimme.
Den schillerndsten Eindruck hinterlässt jedoch Paul Kribbe als in roten Pailletten gewandeter Herodes. Dabei sind es nicht nur seine provokant-ironische Darstellung und die gesangliche Qualität, die im Gedächtnis bleiben, sondern ganz besonders auch der visuelle Eindruck bei „Herodes’ Song“: Zu seiner großen Shownummer mit Tänzerinnen, viel Glitzer und Glamour kommt Herodes auf der Ladefläche eines amerikanischen Pick-ups auf den Domplatz gefahren, dabei einen Anhänger angekuppelt mit den Buchstaben DES, die ein wunderbares Wortspiel zum HERO-Schriftzug ergeben.
Zu guter Letzt ist es die Magdeburgische Philharmonie unter der Leitung von Damian Omansen, die einen ganz großen Anteil an der musikalischen Brillanz der Aufführung von „Jesus Christ Superstar“ hat. Mit Bravour bereitet Omansen seinen Musikern den Weg durch die Partitur des durchkomponierten Werks. Da kracht es ordentlich in den wütenden Rocknummern, da wird es laut in den furiosen Chornummern und da kommen wunderschöne zarte Töne in gefälligen Popballaden zu Gehör.
Als eine der schönsten Nummern, in der das großartige Orchester noch einmal im vollen Glanz erstrahlt, erweist sich die Schlussnummer „Johannes 19,41“. Was darauf folgt, sind stehende Ovationen eines begeisterten Publikums, das in der besuchten Vorstellung bei einer Lufttemperatur von nur elf Grad und teilweise im Nieselregen ausharrte, um diese moderne Passionsgeschichte, diesen Aufstieg und Fall eines Helden mitzuerleben. Und es hat sich gelohnt!
Text: Dominik Lapp