„John & Jen“ in Münster (Foto: Dominik Lapp)
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Kleiderständer voller Geschichten: „John & Jen“ in Münster

Das Musical „John & Jen“ am Theater in der Meerwiese in Münster, produziert vom CloseUp Kammermusical, zeigt eindrucksvoll, wie kleine Theaterinitiativen oft mit unbändiger Leidenschaft eine Tiefe erreichen, die man in großen Häusern nicht immer findet. Unter der Regie von Kathi Laukemper entfaltet sich eine berührende Geschichte über Geschwisterliebe, Verlust und Neuanfang – getragen von einem minimalistischen Bühnenbild, starken darstellerischen Leistungen und musikalischer Feinfühligkeit.

Die Regisseurin stellt eine ungewöhnliche, aber wirkungsvolle Frage ins Zentrum ihrer Inszenierung: „Wer war die Person, die das trug?“. Hier geht es nicht nur um Kleidung, sondern um die Identitäten und Geschichten, die sie transportieren. Schon im Foyer wird das Publikum in diese Welt hineingezogen, wo Second-Hand-Kleidungsstücke zum Kauf angeboten werden. Diese Kleidungsstücke begleiten die Zuschauerinnen und Zuschauer auch auf der Bühne: Das Bühnenbild besteht aus sieben rollbaren Kleiderständern, die flexibel genutzt werden und immer wieder neue Raumkonstellationen schaffen. Sie fungieren nicht nur als Kulisse, sondern sind gleichzeitig Requisitenlager und Symbolträger der Figuren.

Die beiden Darstellenden, Lydia Gebker als Jen und Sönke Westrup als John, machen den Abend zu einem intensiven Erlebnis. Immer wieder durchbrechen sie die vierte Wand und treten aus ihren Rollen, um das Publikum direkt anzusprechen. Diese Momente des Rollenausstiegs werden durch ein starkes schauspielerisches Timing und präzise gesetzte Lichtwechsel (Rasmus Arand) unterstrichen. Mit einem hörbaren Einatmen fallen die beiden Darsteller zurück in ihre Rollen, als würden sie die Energie der Charaktere neu in sich aufnehmen. Solche Inszenierungstricks verleihen dem Stück eine fesselnde Dynamik und schaffen eine intime Verbindung zum Publikum.

Schauspielerisch ist die Leistung von Lydia Gebker herausragend. Sie schafft es, die emotionale Entwicklung ihrer Figur – von der kindlich-sorgenden Schwester bis hin zur überforderten, aber liebevollen Mutter – unglaublich authentisch zu verkörpern. Besonders in den ruhigen, verletzlichen Momenten gelingt es ihr, die Zerrissenheit und Sehnsucht von Jen greifbar zu machen. Sönke Westrup als John brilliert durch seine Wandelbarkeit: Er wechselt mühelos zwischen der kindlichen Naivität eines Jungen, der auf den Schutz seiner Schwester vertraut, und der aufkeimenden Rebellion eines jungen Mannes, der in den Krieg zieht. Seine Darstellung ist gleichzeitig kraftvoll und verletzlich, eine schwierige Balance, die er perfekt meistert.

Auch gesanglich lassen beide keine Wünsche offen. Die gefühlvollen, melodischen Kompositionen von Andrew Lippa, der unter anderem bereits mit dem Musical „Big Fish“ seine Fähigkeit für tief berührende Geschichten und Melodien gezeigt hat, kommen in dieser Inszenierung voll zur Geltung – genauso wie die wunderbaren deutschen Texte von Timothy Roller. So hinterlässt es einen bleibenden Eindruck, wenn Jen in einem Song ihren kleinen Bruder beschützt oder in einem anderen Lied die Spannungen zwischen den Geschwistern auf den Höhepunkt getrieben werden.

Ein weiteres Highlight der Inszenierung ist die direkte Einbindung der Musiker in das Bühnengeschehen. Die dreiköpfige Band, bestehend aus Caspar Engelkes (Klavier), Felix Albert (Cello) und Lennart Böwering (Percussion), liefert nicht nur den musikalischen Rahmen, sondern tritt selbst in Aktion. Besonders charmant sind die Szenen zu Weihnachten, in denen die Musiker plötzlich mit Elfenmützen ausgestattet die Szenerie mit Humor auflockern. Diese kleinen, aber wirkungsvollen Momente zeigen die Verspieltheit der Inszenierung und schaffen einen unverwechselbaren Charme.

Die minimalistische Bühne, die komplett auf die Kleiderständer reduziert ist, unterstützt die Intimität des Stücks. Jeder Ständer steht für einen neuen Abschnitt im Leben der Charaktere – und auch für die Erinnerungen, die sie mit diesen Kleidungsstücken verbinden. Kathi Laukemper gelingt es, aus dieser einfachen Idee einen tiefen Symbolismus zu entwickeln, der die Handlung subtil unterstützt, ohne aufdringlich zu wirken.

Diese Inszenierung, die in ihrer schlichten Ausstattung und den begrenzten Ressourcen als Kammermusical daherkommt, beweist viel mehr Herzblut und Präzision als so mancher große Musicalabend. Die Mitwirkenden beweisen, dass Kunst nicht von der Größe eines Theaters abhängt, sondern von der Hingabe, mit der sie gemacht wird.

„John & Jen“ ist eine berührende Geschichte, die in dieser Produktion, die nach Münster auch noch in anderen NRW-Städten zu sehen ist, durch herausragende Schauspielkunst, kluge Regie und feinsinnige Musik zu einem unvergesslichen Erlebnis wird. Für Fans emotionaler, tiefgründiger Musicals ein absoluter Geheimtipp!

Text: Dominik Lapp 

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".