Ein Hauch von Weihnachten im Stream: „Judith und Milan – A Christmas Concert“ in Kassel
Die Umstände der Corona-Pandemie und die erneute Schließung aller Kulturstätten zwingen Theater und Kulturschaffende weiterhin zu Kreativität und besonderem Einfallsreichtum – und dies in so schweren, ja auch bedrückenden Zeiten, von denen niemand weiß, wann sie ein Ende haben werden.
So erging es auch den beiden Musicaldarstellern Judith Caspari und Milan van Waardenburg, als sie mitten in der Planung für ihre Weihnachtskonzerte steckten. Ihr Traum: Besinnliche Abende auf der Bühne des Staatstheaters Kassel, mit Publikum im Saal, umgeben von vorweihnachtlicher Stimmung und Freude. Doch die zwei ließen es sich nicht nehmen, ihr Konzert stattfinden zu lassen. Corona zum Trotz, im Online-Stream des Theaters, mit viel guter Laune, in einem festlich geschmückten Rahmen und musikalisch am Flügel begleitet von Donato Deliano.
Entstanden ist ein kleines Konzertjuwel der besonderen Art. Obwohl es nicht live ist, spürt man vor allem eines maßgeblich: Die Freundschaft und Magie, die die beiden Künstler umgibt. Nicht umsonst werden sie bereits als das Traumpaar der jungen Musicalszene betitelt.
Das Konzert wird eröffnet mit einem der Weihnachtsklassiker schlechthin: „Walking in a Winter Wonderland“ versetzt das Publikum im heimischen Wohnzimmer direkt in Weihnachtsstimmung – vor allem, als Judith Caspari ohne Umschweife zum Mitsingen auffordert. Manch einer mag hier daheim sicherlich eingestimmt haben. Nach dem Song plaudern die beiden Freunde ein wenig aus dem Nähkästchen und erzählen von ihren aktuellen gemeinsamen Proben zu „Next to Normal“ am Staatstheater Kassel, Casparis Heimattheater. Für beide ist es das erste Mal seit circa zwei Jahren, dass sie wieder in einem Stück zusammen auf der Bühne stehen dürfen – das erste Mal seit ihrem Kennenlernen und der gemeinsamen Zeit bei „Anastasia“ in Stuttgart.
Dies wird zum Anlass genommen, direkt ein Duett aus „Next to Normal“ folgen zu lassen – übrigens das einzige Duett der Geschwister Natalie und Gabe Goodman: „Superboy und seine Schwester aus Glas“, Natalies mühsamer Versuch, aus dem Schatten ihres allgegenwärtigen Bruders herauszubrechen. Während Judith Caspari das Lied alleine anstimmt und sofort Natalies Verzweiflung lebt – einerseits berührend und fast innerlich zerbrochen, aber auf anderer Seite genauso willensstark und inbrünstig – hängt Milan van Waardenburg an ihren Lippen und man merkt sofort, dass es ihm große Freude bereitet, ihr zuzuhören, zu folgen und kurz darauf in den Song mit einzusteigen.
„Das Schönste bei solchen Konzerten ist, dass wir unsere persönliche Note einbringen können“, schwärmt Judith Caspari, als sie beide über ihre Lieblingsweihnachtsklassiker plaudern. Für sie sind es die weihnachtlichen Swingcover, die in keiner Vorweihnachtszeit fehlen dürfen, wohingegen Milan van Waardenburg den Advent immer mit dem Christmas-Album von Michael Bublé eröffnet. So singen beide gemeinsam „Jingle Bells“ in der Bublé-Version mit den drei Puppini Sisters, die Caspari wunderbar mühelos alle vereint. Engelsgleich und glockenhell ist ihr Sopran, aber auch voll unverwechselbarer Stärke, mit dem der Tenor ihres Bühnenpartners samtweich und charmant harmoniert.
Doch spätestens bei „River“ von Joni Mitchell schafft es Judith Caspari, den Zuschauer vollends in ihren Bann zu ziehen. Sie interpretiert ihr persönliches Lieblingslied mit einer Leichtigkeit und berührt gleichzeitig so tief mit diesen schweren Zeilen, so dass bei manchem zu Hause sicher die ein oder andere Träne glitzert.
Im Anschluss wird das Publikum vor dem heimischen Bildschirm zurück zum gemeinsamen Anfang der beiden geführt, als Judith Caspari ihre Verwandlung zur Zarentochter Anastasia antrat und sich fragte, wer wohl ihr Prinz sein würde. Die beiden jungen Musicaldarsteller erzählen von dem Beginn ihrer innigen Freundschaft, der gemeinsamen Zeit in Stuttgart und welche Bedeutung Casparis goldene Broadway-Glücksschuhe für sie haben, die sie auch an diesem Abend trägt. Passend dazu folgt als nächste Nummer – nicht, wie vielleicht von vielen erwartet „Unter all den Menschen“, das gefühlvolle Duett von Anastasia und Dimitri – sondern „Reise durch die Zeit“. Es ist Milan van Waardenburgs persönliche „Anastasia-Premiere“.
Aber natürlich darf auch sein ganz eigenes Lieblingslied in dieser schönen Songauswahl nicht fehlen: „Wondering“ von Jason Robert Brown aus „The Bridges of Madison County“. Judith Caspari schwärmt, dass sie sich mit den ersten Tönen dieser Nummer in ihren damals noch fremden Bühnenpartner verliebte. Äußerst anmutig und auf den Punkt – sehr sicher in der Höhe und mit gefühlvollem Timbre in der Tiefe – interpretiert Milan van Waardenburg den Klassiker. Es geht unter die Haut und Caspari scherzt, dass sich jetzt sicher alle in Milan verliebt hätten.
Kurz vor Schluss findet ein weiteres Duett seinen Weg auf die kleine Streaming-Bühne, welches die beiden Künstler in diesem Jahr für sich entdeckten und beschlossen, damit jedem ihrer kommenden Konzerte eine eigene, persönliche Note geben zu wollen. „I‘d give it all for you“, ebenfalls aus der Feder von Jason Robert Brown aus dem Musical „Songs for a New World“. Nach dieser Nummer und vor allem nach diesem sympathischen Konzert ist eines deutlich: dass die beiden Künstler es auch privat genau so meinen. Das Duett ist ein kraftvoller Austausch, ein gemeinsames Miteinander, ein Einstehen für einander. Dies alles geht einher mit der Liebe für die Kunst und der Freude am gemeinsamen Singen, so dass man nur hoffen kann, in der Zukunft noch viel von den beiden zu hören.
Für die meisten hätte das liebevolle Konzert von Judith Caspari und Milan van Waardenburg unter der Begleitung von Donato Deliano am Flügel sicher etwas länger gehen können – haben beide doch auf einer zauberhaften Art und Weise einen Hauch von Weihnachten in die heimischen Wohnzimmer gebracht. Und genauso lassen sie den Abend ausklingen: Mit einem gemeinsamen „Stille Nacht“ auf Deutsch, Niederländisch und Englisch. „Silent night, holy night, all is calm, all is bright.“ Merry Christmas.
Text: Katharina Karsunke