„Königskinder“ in Münster (Foto: Thilo Beu)
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Märchen trifft Moderne: „Königskinder“ in Münster

Mit der Oper „Königskinder“ von Engelbert Humperdinck bringt das Theater Münster eine Produktion auf die Bühne, die ein Märchen mit der bitteren Realität unserer Zeit konfrontiert. Nachdem das Werk immer noch im Schatten von Humperdincks „Hänsel und Gretel“ steht, finden sich mittlerweile immer mehr Theater, die „Königskinder“ – ebenfalls eine Märchenoper – auf den Spielplan setzen. Das ist erfreulich, wenngleich sich das Stück mit einer Aufführungsdauer von mehr als drei Stunden auch ein wenig zieht, zumal auf der Bühne wenig passiert.

Clara Kalus bringt eine interessante Spannung in die Inszenierung. Die Regisseurin, die sich nach ihrer erfolgreichen Uraufführung von „Imperium der Illusionen“ erneut dem Publikum in Münster stellt, verbindet die märchenhafte Atmosphäre mit einem kritischen Blick auf unsere Gegenwart. Kalus zeigt eine Welt, in der Heuchelei, Gier und Gewalt das Menschliche ersticken. Ihre Interpretation legt den Fokus auf die Unvereinbarkeit von idealistischen Träumen und einer verdorbenen Realität, was die Märchenhandlung zu einer kraftvollen Allegorie werden lässt. Obwohl die Regie keine neuen Antworten liefert, wirft sie drängende Fragen auf, die lange nachhallen.

Das Bühnenbild von Dieter Richter ist sehenswert und beeindruckend. Es zeigt zunächst einen verwunschenen Wald mit einem kleinen Gartenhäuschen und einem Brunnen, der die klassische Märchenstimmung einfängt. Dann wechselt die Szenerie zu einem nüchternen Saal eines dörflichen Gasthauses im Stil der Fünfzigerjahre, der die Absurdität der modernen Gesellschaft pointiert darstellt. Der abschließende winterliche Wald mit Sperrmüll und einem alten Bulli verweist auf eine verlorene Welt, in der Träume zu Scherben zerbrochen sind. Die Kostüme von Carola Volles fügen sich nahtlos in das Konzept ein. Sie lassen Märchen und Moderne miteinander verschmelzen, indem sie traditionelle Elemente mit zeitgenössischen Details kombinieren.

Als Musikalischer Leiter inspiriert Henning Ehlert das Sinfonieorchester Münster zu einer brillanten Leistung. Unter seinem Dirigat wird die fein ziselierte, klangschöne Partitur Engelbert Humperdincks lebendig und detailreich zum Leben erweckt. Die Musikerinnen und Musiker verstehen es meisterhaft, die romantische Pracht und dramatische Tiefe der Musik auszubalancieren. Dabei schaffen sie eine Klangwelt, die das Publikum in den Bann zieht.

Die Besetzung ist hervorragend: Garrie Davislim als Königssohn bringt eine stark leuchtende Stimme mit, die die innere Zerrissenheit seiner Figur auf eindringliche Weise transportiert. Sein Gesang ist voller Emotion und Sehnsucht. Anna Schoeck als Gänsemagd fasziniert mit einem warmen, klaren Sopran und einer intensiven Bühnenpräsenz, die die Reinheit und Tragik ihrer Figur unterstreicht. Sie schafft es, mit ihrer Darstellung tief zu berühren. Johan Hyunbong Choi verleiht dem Spielmann eine kraftvolle Stimme und charismatische Erscheinung.

Wioletta Hebrowska als Hexe ist von undurchschaubarer Präsenz. Ihre dunkle Stimme verleiht der Darstellung eine bedrohliche Intensität, die das Publikum erschauern lässt. Gregor Dalal als Holzhacker und Youn-Seong Shim als Besenbinder füllen ihre Rollen mit Authentizität und stimmlicher Souveränität, während Elisabeth Quick als sein Töchterchen mit erfrischender Natürlichkeit und einem glockenhellen Sopran bezaubert. Ein großes Lob verdient auch Anton Tremmel für die Einstudierung des Chores, der maßgeblich zur atmosphärischen Dichte der Aufführung beiträgt und mit klanglicher Präzision und Ausdruckskraft beeindruckt.

Insgesamt gelingt dem Theater Münster mit „Königskinder“ eine Inszenierung, die visuell und musikalisch punktet und zum Nachdenken anregt. Eine Opernaufführung, die mit ihrem klugen Konzept und starken Künstlerinnen und Künstlern einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".