Hommage ans (queere) Leben: „La Cage aux Folles“ in Berlin
Nachdem der rote, samtschwere Vorhang gefallen ist und Glitzer über Glitzer den Boden des Theatersaals säumt, ist ohne Zweifel eines klar: Die Hauptstadt ist wieder um eine Attraktion reicher, feierte doch die lang ersehnte, heiß erwartete Inszenierung Barrie Koskys von „La Cage aux Folles“ (Musik und Gesangstexte: Jerry Herman, Buch: Harvey Fierstein, Deutsche Übersetzung: Martin G. Berger) an der Komischen Oper Berlin Premiere. Endlich, könnte man sagen. Kosky, jahrelang Chefregisseur und Intendant des Berliner Opernhauses und bekennender Fan des Musicals, ließ es sich jetzt nicht nehmen, als Gast dieses Meisterwerk Jahrzehnte nach dem Riesenerfolg am Theater des Westens zurück auf eine große Berliner Bühne zu bringen. Thematisch gesehen heute aktueller, brisanter und berührender denn je.
Die amüsante Handlung ist schnell erzählt: An der französischen Riviera leitet Georges sehr erfolgreich einen Drag-Club, dessen größte, weltberühmte Attraktion sein langjähriger Partner Albin ist. Abend für Abend verwandelt dieser sich in die schillernde Drag-Queen Zaza, und das Publikum liegt ihm – besser gesagt: ihr – zu Füßen. Als nun Georges Sohn seine Hochzeit mit Anne Dindon, Tochter eines erzkonservativen Politikers, verkündet, müssen ganz schnell Ideen her, wie man der zukünftigen neuen Familie das perfekte Eheleben vorgaukelt.
Begleitet von gängigen Rhythmen begrüßt Georges (Peter Renz) allabendlich die Gäste seines Nachtclubs. Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter der Leitung von Koen Schoots beschwingt bereits ab der ersten Minute mit der Ouvertüre und verdeutlicht, dass „La Cage aux Folles“ Starqualitäten aufweisen wird. Die Drag-Tänzerinnen des Clubs (Les Cagelles), zu Beginn noch als kunterbuntes Federvieh in riesigen Käfigen (Bühnenbild: Rufus Didwiszus), entführen das Publikum in eine farbenfrohe, glitzernde, frivole Welt, in der Zaza (Stefan Kurt) eindeutig als Star am Nachthimmel fungiert. Übergroße Gesten, theatralische Mimik und zugleich voller überschäumender Liebe mit dem Herzen am rechten Fleck: Stefan Kurt verkörpert eine Diva und Drama-Queen im besten Sinne und in jeglicher Hinsicht extrem. Der Schauspieler überzeugt mit einem äußerst warmem Gesang, zugewandt mit viel Witz, Sympathie und gekonntem Charme und schafft es somit spielerisch leicht wie authentisch, der großen Diva Leben einzuhauchen.
Georges ist der perfekt passende, hingebungsvolle, fürsorgliche Partner an seiner Seite. 30 Jahre sind die beiden ein Paar und stets füreinander da, was sich in den kleinsten Gesten und Berührungen liebevoll äußert. Bezeichnend ist, wie ihre Beziehung hier hervorgehoben wird und somit im Mittelpunkt des Stücks steht. Gefühlvoll in Gesang und Spiel, beteuert Peter Renz im romantischen „Song am Strand“ an der rauschenden nächtlichen Côte d‘Azur Georges‘ innige, treue Liebe zu Albin.
Als Jean-Michel (Nicky Wuchinger mit wunderbarem Tenor) auftaucht und als junger, verliebter Kerl in Lederjacke von seiner großen Liebe Anne (Maria-Danaé Bansen) schwärmt, wird die Partnerschaft von Georges und Albin auf eine harte Probe gestellt. Für Jean-Michel doch immer wie ein zweiter Vater gewesen und mit Liebe überschüttet, sind Albin und sein Leben, das er führt, zumindest im Hinblick auf die zukünftige Braut, auf einmal nicht mehr kompatibel und erwünscht. „Ich bin, was ich bin“ ist das gefeierte, weltberühmte Finale des ersten Akts, als Albin lediglich mit Zazas Dessous bekleidet völlig entblößt und verzweifelt vor einem leeren schwarzen Bühnenhintergrund faszinierend stark und kraftvoll zu sich, seiner Person und seiner Lebenseinstellung steht. Es ist eine Kampfansage an die Fesseln der Gesellschaft – und „I am what I am“, unter anderem weltberühmt durch die Interpretation Gloria Gaynors oder Shirley Basseys, wurde nicht umsonst zur Hymne der queeren Bewegung.
Barrie Kosky ist eine herrlich amüsante und zugleich sehr berührende Inszenierung gelungen. Zwischen den Protagonisten spielen Jacob, Zazas rechte Hand, und die Cagelles sowohl auf der Bühne als auch im nicht ganz so glamourösen Backstagebereich des Nachtclubs eine äußerst unterhaltsame Rolle. Jacob (Daniel Daniela Ojeda Yrureta) schafft es immer wieder auf Highheels in schwindelerregender Höhe, knappen Outfits und seinem herrlichen spanischen Akzent für Lacher zu sorgen und manifestiert sich somit neben Zaza zum heimlichen Star der Vorstellung. Maria-Danaé Bansen überzeugt mit hervorragendem Tanz, Körpersprache und ausdrucksstarker Mimik und macht somit ihre kleine, aber doch feine Rolle als Verlobte Jean-Michels perfekt. Amüsant gelingt es Tom Erik Lie und Andreja Schneider, die konservativen Eltern Annes zu geben, die am Ende alle Vorstellungen von Moral über den Haufen werfen und sich ihrem Schicksal und letztendlich der Liebe fügen. Für ein ganz besonderes Highlight sorgt die Regie mit der Besetzung von Jacqueline, Besitzerin des Restaurants „Chez Jacqueline“: Handelt es sich doch hier um niemanden geringeren als Helmut Baumann persönlich, ehemaliger Intendant des Berliner Theater des Westens, der in den 1980er Jahren selbst dort als große Zaza auf der Bühne stand. Die Highheels passen noch immer.
Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter der Leitung von Koen Schoots interpretiert die Partitur von Jerry Herman meisterhaft. Große schwunghafte Revuenummern und klassische Broadwaymelodien wechseln sich ab mit zarten, leisen, berührenden Tönen und französischen Chansons. Zahlreiche Bläser, Streicher oder auch die Klänge des Akkordeons untermalen dies gekonnt. Massenszenen wie „Chez Jacqueline“ werden mit den Chorsolisten (Leitung: Jean-Christophe Charron) und der Komparserie (Leitung: Heike Maria Preuß) der Komischen Oper gefüllt – etwas, das tatsächlich nur noch subventionierten Theatern möglich ist und neben dem reich besetzten Orchester eine ganz besondere Qualität hervorbringt. So einen satten, vollen Klang findet man heutzutage leider immer seltener.
Die (Stepp-)Choreografien von Otto Pichler und Mariana Souza sorgen für einen absoluten Genuss – in den großen Tanzszenen wie „La Cage aux Folles“ im ersten Akt, die tatsächlich neun Minuten dauert, aber auch in den kleinen Abläufen, wenn jeder Charakter seine ganz eigene Bewegung und Attitüde zugeschrieben bekommt. Mit viel Liebe zum Detail (und nicht immer jugendfrei) umschließen Bühnenbild (Rufus Didwiszus), Licht (Franck Evin), Ton (Sebastian Lipski) und die Kostüme von Klaus Bruns die Inszenierung. Sind die Cagelles doch hauptsächlich farbenfroh, glitzernd und schillernd wunderbar anzusehen, wird in den berührenden, zerbrechlichen Szenen auf liebevolle Feinheiten oder auf die komplett leere schwarze Bühne gesetzt. Ein gelungener Hingucker ist auch der Moment im Café am Strand, als Albin und Georges sich zum Gespräch unter vier Augen treffen und der Hintergrund von einem glitzernden Sternenhimmel überzogen ist.
„La Cage aux Folles“, das in den 1980er Jahren als erstes Musical mit zwei sich liebenden Männern im Mittelpunkt Homosexualität offen thematisierte und damit vor dem Hintergrund der schwerwiegenden Aids-Krise seinen Weg auf die Broadway-Bühne fand, löste weltweit gesellschaftliche Veränderungen aus. Obwohl der Hintergrund heutzutage ein anderer ist, darf man nicht vergessen, welche Tragweite die Thematik immer noch hat und wie viele Menschen sich dafür eingesetzt haben, dass wir heute so leben können, wie wir es tun. Der Weg war beschwerlich und ist es in vielerlei Hinsicht immer noch. Denn die Fragen „Wer sind wir?“, „Was ist eigentlich Familie?“ und die Suche nach Akzeptanz und Gleichbestimmung bleiben bestehen. Queerness, Diversität und Gender Equality sind heute wichtiger denn je. „La Cage aux Folles“ ist eine Hommage an das (queere) Leben, an die Freiheit und vor allem an eines: An die Liebe und an uns selbst. Denn wir sind, was wir sind.
Text: Katharina Karsunke