Hervorragend: „Les Misérables“ in Pforzheim
Auch im schwäbischen Pforzheim ertönen neuerdings die Barrikadengesänge von Boublil und Schönberg – in seiner Inszenierung des Musicals „Les Misérables“ fokussiert Regisseur Hartmut H. Forche vor allem die einzelnen Charaktere und erklärt die Ausstattung eher zur Nebensache. Dies gelingt ihm sehr gut: Während die Handlungsorte durch spärliche Bühnenteile und wenige Requisiten (Ausstattung: Karel Spanhak) angedeutet werden, können die Gesangssolisten über einen Steg entlang des Orchestergrabens bis in den Zuschauerraum vordringen und somit eine besondere Nähe zum Publikum aufbauen. In den Barrikadenszenen geht Forche neue Wege, indem er die Barrikaden nicht quer, sondern längs verlaufen lässt, so dass der Zuschauer die Gefechte aus der Seitenansicht verfolgen kann.
Aus der Solistenriege überzeugt besonders Ansgar Schäfer in der Rolle des Jean Valjean wie bereits am Landestheater Detmold mit starker Bühnenpräsenz und prägnanter Stimme. Valjeans Entwicklung vom Sträfling zum Bürgermeister und Edelmann spielt Schäfer überzeugend und auch stimmlich ist er intonationssicher. So singt er zum einen ein energiegeladenes „Wer bin ich?“ und zum anderen ein lyrisches „Bring ihn heim“, das er mit fließend-eleganter Stimme darbietet. Als Valjeans Gegenspieler Javert steht Jon Geoffrey Goldsworthy auf der Bühne, der in seinem Schauspiel ebenso perfekt ist wie Schäfer und diesem auch gesanglich in nichts nachsteht. Den fanatischen Polizeiinspektor gibt er mit charaktervoller Stimme und schmettert ein voluminöses „Stern“ sowie ein pathetisches „Javerts Selbsmord“.
Eine der stärksten weiblichen Rollen in dem Stück ist ohne Zweifel Eponine. Doch Lilian Huynen holt nicht alles aus sich heraus, um ihre Rolle glaubwürdig erscheinen zu lassen. Die heimliche Liebe zu Marius nimmt man ihr nicht ab, ihr fehlt die jugendliche Blindheit, die Leidenschaft. Gesanglich liefert sie eine durchaus solide Leistung ab, berührt mit ihrem Solo „Nur für mich“ aber kaum.
Obwohl die Rolle der Cosette buchbedingt nicht viel hergibt, macht Sofia Kallio das Beste daraus und harmoniert mit Nikolaj Alexander Brucker alias Marius wunderbar. In dem Duett „Mein Herz ruft nach dir“ begeistert Brucker mit sanfter Stimme und Kallio mit ihrem klaren Sopran. In seinem Solo „Dunkles Schweigen an den Tischen“ überzeugt Brucker sowohl in den Höhen als auch in den Tiefen mit ausgewogener Stimme und liefert damit einen der eindringlichsten Momente der Inszenierung.
Dirk Mestmacher gibt einen heldenhaften Enjolras, und auch Sanni Luis ist als Fantine schauspielerisch wie stimmlich top. Ihr Solo „Ich hab geträumt“ bietet sie mit strahlender Stimme dar. Klaus Geber spielt seinen Thénardier schlitzohrig und mit der nötigen Gerissenheit eines Kleinkriminellen, doch Gabriela Zamfirescu als Madame Thénardier hat ein paar phonetische Schwierigkeiten und bleibt somit hinter den anderen Solisten zurück.
Das Orchester unter der Leitung von Marc Niemann überzeugt auf ganzer Linie und meistert die anspruchsvolle Partitur grandios. Im Pforzheimer Theater mit seinem kleinen Zuschauerraum und der kleinen Bühne wirkt „Les Misérables“ wunderbar intim und zuschauernah. Ohne große Kulissen und technischen Bombast lastet die gesamte Verantwortung auf den Darstellern, die durch Chor, Extrachor und Statisterie bestens unterstützt werden. Selbst wer schon verschiedene Inszenierungen dieses Stücks gesehen hat, dürfte in Pforzheim noch das eine oder andere interessante Detail entdecken.
Text: Dominik Lapp