„Little Miss Sunshine“ (Foto: Silke Winkler)
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In den Sand gesetzt: „Little Miss Sunshine“ in Schwerin

Wenn sich ein renommiertes Haus wie das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin dazu entschließt, ein Musical zur deutschsprachigen Erstaufführung zu bringen, ist das grundsätzlich zu begrüßen – ganz besonders, wenn es sich mit „Little Miss Sunshine“ um die Adaption des gleichnamigen oscarprämierten Films handelt. Sobald sich die Regie allerdings über die Autoren des Werks stellt und es für die Schweriner Schlossfestspiele entstellt, ist das ein großes Ärgernis und wirft die Frage auf, warum sich das Theater überhaupt um die Aufführungsreche bemüht hat.

Die Tragikomödie „Little Miss Sunshine“ wurde unter anderem mit einem Oscar für das beste Drehbuch ausgezeichnet, für die Musicalfassung zeichnet mit William Finn (Musik und Songtexte), James Lapine (Buch) und Robin Kulisch (Übersetzung) ein versiertes Team verantwortlich, das den Film für die Musicalbühne adaptiert hat. Regisseurin Katja Wolff macht in Schwerin aus dem Musical, das witzig ist, aber dennoch Tiefgang besitzt, eine heitere Sommerklamotte und setzt diese deutschsprachige Erstaufführung damit gehörig in den Sand.

Das Mecklenburgische Staatstheater wird zufrieden sein, schließlich waren alle Vorstellungen ausverkauft. Doch ärgerlicherweise hat Wolff dem Stück alle dramatischen Momente genommen, indem Rollen und Szenen gestrichen, neu hinzugedichtet sowie Texte geändert wurden – schon aus urheberrechtlicher Sicht eine Katastrophe. Eine tragische Szene, in welcher die Familie Hoover, um die sich das Stück dreht, vom Tod des Großvaters erfährt, wird durch einen völlig überzeichneten Arzt und eine rauchende Krankenschwester komplett ins Lächerliche gezogen.

Hinzu kommt, dass alle Rollen – mit zwei Ausnahmen – gesanglich fehlbesetzt sind. Dass die Verantwortlichen meinen, ein Musical auf den Spielplan setzen zu müssen, das zum Großteil mit Mitgliedern des hauseigenen Schauspielensembles besetzt wird, ist nicht nur eine Frechheit gegenüber dem Publikum, das sich mit zum Teil wirklich miserablen Gesangsinterpretationen begnügen muss. Vielmehr scheint man in Schwerin der Meinung zu sein, dass das Musical kein ernstzunehmendes Genre ist und so ein Stück mal eben von einer Schauspielcast ohne Gesangskenntnisse auf einer Arschbacke abgesessen werden kann. Mitnichten!

Komponist William Finn hat mit „Little Miss Sunshine“ sicherlich keine hitverdächtige Partitur mit großen Nummern abgeliefert, sondern zweckdienliche Theatermusik geschrieben. Aber die Songs müssen eben trotzdem technisch perfekt gesungen werden. Was man in den altehrwürdigen Mauern des Schlosses allerdings zu hören bekommt, sind vor allem schiefe und reihenweise versemmelte Töne und Songs, denen sämtliche Gesangslinien abhandengekommen sind. Das ist schade, denn schauspielerisch überzeugen Jennifer Sabel (Mutter Sheryl), Emil Gutheil (Bruder Dwayne), Frank Wiegard (Großvater) und Christoph Götz (Onkel Frank) durchaus – ihre Rollen nimmt man ihnen ab.

Doch lediglich die beiden Gäste mit Musicalausbildung können sowohl im Schauspiel als auch gesanglich überzeugen: Gerald Michel spielt und singt als Vater Richard hervorragend und Florentine Beyer fasziniert in der Rolle der achtjährigen Olive. In ihrem Schauspiel ist sie so authentisch, dass man sofort vergisst, eine erwachsene Darstellerin als Kind zu sehen. Stimmlich strahlt sie zudem in jedem ihrer Songs.

Ebenfalls gelungen sind die Kostüme und das Bühnenbild von Cary Gayler. So hat sie in den Schlossinnenhof eine halbrunde Bühne gebaut, auf der sie mit verschiedenen amerikanischen Werbeslogans und Leuchtreklameschildern ein stimmiges Roadtrip-Flair zaubert. Ein Ausstattungshöhepunkt sind dabei die Drehbühne und ein knallgelbes Auto, das wie im Film der Hauptort der Handlung ist. Durch eine weitere Spielfläche auf dem Autodach und die Möglichkeit, alle Sitze auszubauen und außerhalb des Fahrzeugs zu platzieren, können die Szenen, die darin spielen, entsprechend gut visualisiert werden.

Eher unscheinbar erscheint die Choreografie von Thomas Helmut Heep, doch dafür spielt die ins Bühnenbild integrierte siebenköpfige Band unter der Leitung von Bettina Ostermeier wunderbar auf und liefert eine solide Grundlage für die geglückten deutschen Texte von Robin Kulisch (sofern sie nicht von der Regie verändert wurden). Am Ende bleibt ein insgesamt netter Abend, der aber leider das ganze Potenzial dieses wahrscheinlich wirklich schönen Musicals verschenkt. Es bleibt zu hoffen, dass sich in Zukunft ein anderes Theater findet, das „Little Miss Sunshine“ aufführt und dabei den Stoff ernst nimmt.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".