Sensationell: „Lucia di Lammermoor“ in Osnabrück
Zwei Liebende aus verfeindeten Adelsfamilien, die erst im Tod vereint werden. Das klingt nach „Romeo und Julia“, heißt bei Gaetano Donizetti jedoch, basierend auf der literarischen Vorlage von Walter Scott und dem Libretto von Salvatore Cammarano, „Lucia di Lammermoor“. Schottland statt Italien, das ausgehende 17. Jahrhundert statt des 16. Jahrhunderts. Donizettis Werk, das als einer der Höhepunkte in der Epoche des Belcantos gilt, ist jetzt in einer sehens- und hörenswerten Neuinszenierung von Sam Brown am Theater Osnabrück zu erleben, nachdem das Stück mehr als 40 Jahre nicht mehr in der Friedensstadt aufgeführt wurde.
Ein Machtkampf zweier Adelsgeschlechter im Schottland des ausgehenden 17. Jahrhunderts verlangt geradezu nach einer Ausstattungsschlacht, die allerdings ausbleibt. Zentrales Element des schwarzen Bühnenbilds von Bengt Gomér ist ein Wasserbecken, das symbolisch für eine schottische Moorlandschaft steht. In Verbindung mit Bühnennebel und Licht entsteht so eine kühle Atmosphäre zwischen Schauerromantik und morbider Gruselstimmung. Die Kostüme von Sarah Mittenbühler, bei denen Schwarz ebenfalls die vorherrschende Farbe ist, wirken zurückhaltend und sind an der viktorianischen Mode angelehnt, so dass sie nicht der Zeit der Handlung entsprechen, sondern vielmehr der Zeit, in der „Lucia di Lammermoor“ zur Uraufführung kam.
Weil das Auge nicht von Ausstattungsbombast abgelenkt wird, bleibt der Fokus auf den Figuren der Handlung und der Personenregie von Sam Brown, der Lucia einerseits als emanzipierte Frau zeigt, andererseits aber auch in der Klischeekiste verhaftet. Die Storyline rund um die verfeindeten Familien, Zwangsheirat, Unterdrückung weiblicher Selbstbestimmung und die zwielichtige Rolle kirchlicher Würdenträger hätte gewiss stärker herausgearbeitet werden können – schließlich ist diese Oper noch immer höchst brisant und aktuell. Doch statt der Eröffnung mehrerer Kriegsschauplätze, fokussiert sich der Regisseur auf die Entwicklung Lucias. So erleben wir leidenschaftliche Liebe, erbitterte Kämpfe und schließlich die berühmte Wahnsinnsszene.
Gerade letztere Szene verlangt Sophia Theodorides als Lucia alles ab. Hier verbinden sich ihr Schauspiel und Gesang zu einem explosiven Gemisch. Theodorides schwebt in der Titelrolle wie ein Engel, singt sich in den siebten Himmel und stürzt letztendlich in die blutige Wirklichkeit. Doch schon zuvor leistet die Sängerin Beachtliches. Mit ihrer Klangsüße vermittelt sie zunächst Lucias Herzensgüte, um dann in der Höhe mit ihrem Koloratursopran prägnante Glanzpunkte zu setzen und sich hervorragend in Donizettis Notenansammlung zurechtzufinden.
Neben ihr brilliert Oreste Cosimo als Edgardo in allen Lagen. Er versteht es, sich mit tenoraler Strahlkraft gegen das Orchester durchzusetzen und bewahrt sich sowohl bei Liebeslyrik als auch bei Racheruf gleichermaßen eine noble Klangfarbe. Rhys Jenkins verleiht Lord Enrico Ashton einen gewohnt erdig-kräftigen Bariton, James Edgar Knight glänzt als Lord Arturo Bucklaw mit geschmeidiger Tenorstimme, Erik Rousi singt als Raimondo mit klangschönem Bariton und in den kleineren Rollen können Olga Privalova als Alisa und Aljoscha Lennert als Normanno stimmlich überzeugen – ebenso der von Sierd Quarré einstudierte Chor.
Im Orchestergraben lässt Daniel Inbal das Osnabrücker Symphonieorchester einen musikalisch bunten und insgesamt betont dramatischen Klangteppich weben. In der Intonation der außerordentlich abwechslungs- und kontrastreichen Partitur von Geatano Donizetti setzen die Musikerinnen und Musiker einige markante Ausrufezeichen, zwischen denen sie die Melodienbögen zart schwingen lassen. Als sich dann nach rund drei Stunden der Vorhang senkt und sogleich frenetischer Applaus aufbrandet, wird endgültig deutlich, was für eine sensationelle „Lucia di Lammermoor“ dem Osnabrücker Publikum hier präsentiert wird.
Text: Dominik Lapp