Stimmungsvoll: „Mamma Mia!“ in Berlin
Man nehme: Eine griechische Insel, eine alleinerziehende Mutter, eine heiratswillige Tochter, ein Tagebuch voller Geheimnisse und drei mögliche Väter. Fügt man all dies zusammen, ergibt sich daraus eine nette Komödie, die gespickt ist mit Witz, Humor und sehr viel Szenenkomik. Nicht zuletzt dank sympathischer Darsteller, die mit ihrem Gesang, Tanz und Schauspiel die Story (Libretto: Catherine Johnson) von „Mamma Mia!“ zum Leben erwecken und einer schmissigen Band, die die größten Hits von ABBA und somit die Kompositionen von Benny Andersson und Björn Ulvaeus (deutsche Liedtexte: Michael Kunze) herrlich stimmungsvoll untermalt. Und das Konzept funktioniert: Es ist das Gute-Laune-Jukebox-Musical schlechthin – seit der Uraufführung vor 20 Jahren am Londoner Westend lässt sich „Mamma Mia!“ von den Bühnen und Kinoleinwänden rund um den Globus nicht mehr wegdenken.
Auch am Theater des Westens findet „Mamma Mia!“ (Regie: Phyllida Lloyd) nicht zum ersten Mal sein mehrmonatiges Zuhause. Auf der Bühne treffen sich alte und neue Gesichter, die Berliner Premierenbesetzung ist stark und zum Teil sehr gut eingespielt. Sabine Mayer hat das Glück, die wunderbare Rolle der Donna schon seit mehreren Jahren verkörpern zu dürfen. Es ist eine der starken Charakterrollen, eine Frau, die ihr Leben mit allen Schwierigkeiten selbstständig meistert. Dabei wirkt sie nach außen so erfolgreich und so unverletzlich, obwohl ihr Innerstes eine ganz andere Geschichte erzählt.
Als ihre drei Ex-Affären auf der Insel anlegen und sie in die Augen ihrer früheren großen Liebe Sam blicken muss, bröckelt die Fassade schlagartig. Zu tief ist die Wunde, die er damals hinterließ. Somit hat Sam bis zum Schluss keine Chance bei ihr, was auch Sabine Mayer im großen Showdown („Der Sieger hat die Wahl“) mehr als deutlich demonstriert, als sie ihren Bühnenpartner inbrünstig gegen die Wand singt, als gäbe es kein Morgen mehr. Doch natürlich finden sie am Ende zusammen: Donnas Ja-Wort bei „Ich will, ich will, ich will, ich will, ich will!“ und ihre anschließende Hochzeit sind somit der heimliche Höhepunkt des Abends und das große Finale der Show.
Karim Khawatmi ist Berlins neuer Sam und schlussendlich die starke Schulter an Donnas Seite. Er füllt die Rolle mit der nötigen Wärme und einer gewissen Tiefe und macht somit mehr als verständlich, warum er Donnas große Liebe war und der Mann ist, auf den sie seit 21 Jahren wartet. Detlef Leistenschneider gibt einen herrlich amüsanten Harry „Headbanger“, der sich ebenfalls mit Donna zu gerne an die alten Zeiten erinnert (schließlich war sie das erste Mädchen, das er liebte – und auch das letzte) und macht mit Jörg Zuch, dem freiheitsliebenden Abenteurer Bill, das Männertrio perfekt.
Doch Donna wäre nicht Donna ohne ihre Dynamo-Sisters Tanja und Rosie, mit denen sie zu Jugendzeiten die Bühnen der Welt eroberte. Auch Betty Vermeulen (Tanja) und Barbara Raunegger (Rosie) stehen nicht zum ersten Mal an Sabine Mayers Seite, und alle drei ergänzen sich somit perfekt. Sie zeichnen talentiert und sehr gekonnt die Konturen ihrer Rollenfiguren und verkörpern diese brillant: Die große, stolze, elegante Tanja, die schon so einige Ehemänner um ihre Millionen gebracht hat und auch dem kleinen Pepper (Duncan Saul) bei seinen Annäherungsversuchen genau zeigt, wo der Hammer hängt, sowie die burschikose, lebensfrohe Rosie, die sich in ihrem Leben so gar nicht binden will und erst alle guten Vorsätze über den Haufen wirft, als sie auf den Abenteurer Bill trifft.
Neben all der Komik und all den Lachern ist es aber auch vor allem die starke Mutter-Tochter-Beziehung, die man als eine der tragenden Säulen des Stücks bezeichnen kann. Obwohl sie nie wusste, wer ihr Vater war, hatte Sophie ihr Leben lang in Donna die Stütze, die sie brauchte und entscheidet deshalb zu Recht am Ende, sich von ihrer Mutter zum Altar führen zu lassen. Katharina Gorgi verkörpert mit Sophie eine junge starke Frau, deren Welt für kurze Zeit sichtbar völlig aus den Fugen gerät, um am Ende den richtigen Weg einzuschlagen. Sie entschließt sich, doch nicht zu heiraten, sondern mit Sky zunächst die Welt zu bereisen und sich selbst kennen zu lernen. Ihr wunderschöner Mezzosopran unterstreicht dies sehr harmonisch, ihre Körpersprache ist authentisch und fesselnd, ihre Bühnenpräsenz ausdrucksstark.
An Gorgis Seite und ganz neu in der Hauptdarsteller-Riege ist Benét Monteiro. Er ist dem deutschen Publikum unter anderem bekannt aus „Bat out of Hell“ und „Kinky Boots“ und bringt einen herrlich frischen Wind in die „Mamma Mia!“-Inszenierung. Er demonstriert als Sky hochgradig seine Liebe und Zuneigung zu Sophie, wirkt im Zusammenspiel mit seiner Bühnenpartnerin allerdings noch etwas zurückhaltend. Sein Sky muss sich weiter entfalten, wachsen und an Präsenz zunehmen. Doch der Weg dahin ist geebnet, nicht zuletzt dank seiner klaren und ebenmäßigen Stimme und seinem äußerst sympathischen Schauspiel.
Seit vielen Jahren ist das Musical „Mamma Mia!“ berühmt für seine Einfachheit, sowohl in der Geschichte, als auch im Bühnenbild. Hier benötigt man keine pompösen Umbauten oder dramatischen Effekte. Die kleine Taverne, die gedreht und gewendet wird, der Mond am Himmel und das perfekt abgestimmte Lichtdesign reichen vollkommen aus. Dennoch sind die Kulissen im Vergleich zur deutschen Erstaufführung 2002 um einiges geschrumpft, und auch die Darsteller, die im Schatten Möbel und Wände schieben, wirken nach wie vor fehl am Platz. Trotzdem: Das Ensemble zeigt sich stimmig, die Kostüme funkeln und die Tanznummern (Choreografie: Anthony van Laast) sind ein Segen fürs Auge. Das Stück lebt durch die Musik und durch die originell eingepflanzten deutschen Texte, die für manch einen schon fast vertrauter sein mögen als die Originale von ABBA.
Die Band unter der Leitung von Shay Cohen schafft es, das Handeln auf der Bühne schwungvoll und unterhaltsam zu untermalen. Einziger Wehrmutstropfen: Ab und an und klingt es doch sehr laut und zusätzlich blechern, so dass bei „Leg dein Herz an eine Leine“ Benét Monteiros ausdrucksstarke Stimme kaum erklingen und sich schwer entfalten kann. Zudem wirkt die Musik trotz aller Lautstärke ziemlich dünn, ist doch auch der Orchestergraben nicht wirklich stark besetzt.
„Mamma Mia!“ ist ohne Zweifel ein Dauerbrenner und wird auch vermutlich in 20 Jahren noch gespielt werden. Es ist ein Stück, das unglaublich humorvoll und zudem so wunderbar zeitlos ist, dass es die Zuschauer direkt ins Herz trifft. Denn am Ende verlässt man das Theater mit einem Lächeln im Gesicht und tausend Melodien im Kopf. „Danke für die Lieder, die in mir klingen.“
Text: Katharina Karsunke