„Mary Poppins“ in Thun (Foto: Thunerseespiele)
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Auch als Open-Air ein Erlebnis: „Mary Poppins“ in Thun

Zum ersten Mal in seiner Geschichte wird das Musical „Mary Poppins“ als Freilichtproduktion gezeigt – mitten auf dem Thunersee in Thun (Schweiz). Die Neuinszenierung von Matthias Davids entfernt sich bewusst von Disneys Originalinszenierung, hat aber genauso große Momente, die das Publikum zum Staunen bringen.

Als wahrer Hingucker erweist sich schon das Bühnenbild von Andrew Edwards, das bereits vor Showbeginn ausgiebig betrachtet werden kann. Es besteht aus Marys Regenschirm mit dem bekannten Papageienkopf (mit beleuchtetem Auge!) als Griff – allerdings umgedreht und in einer überdimensionalen Größe. Innerhalb der aufgespannten Schirmfläche tun sich eine ganze Reihe qualmender Schornsteine sowie ein Stadtplan Londons auf.

Darauf gibt es ein Modell der St.-Pauls-Kathedrale sowie das Haus der Familie Banks in Puppenhausgröße. Das Kinderzimmer von Jane und Michael wird durch ein zweiflügeliges Fenster und zwei Betten genauso angedeutet wie das Wohnzimmer mit einem Lesesessel. Außerdem kann eine Küche ausgeklappt werden.

„Mary Poppins“ in Thun (Foto: Thunerseespiele)

Genauso detailreich sind auch die Kostüme von Ales Valásek ausgefallen, die die Charaktere sehr gut unterstreichen und die Zeit der Handlung – die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts – widerspiegeln. Das stimmungsvolle Lichtdesign von Tim Deiling schafft besonders bei Einbruch der Dunkelheit eine angenehme Atmosphäre.

Trotz ihrer Strenge (das Musical orientiert sich stärker am Roman als am Film) ist Alexandra-Yoana Alexandrova in der Rolle des Kindermädchens Mary Poppins einfach bezaubernd. Sie glänzt in allen Szenen, indem sie die strenge Nanny verkörpert und gleichzeitig doch so liebevoll und herzlich ist. Ihre klare, herzerwärmende Stimme ist ebenfalls bemerkenswert. Christopher Bolam führt wie ein Erzähler sehr charmant durch die Show. Er beeindruckt dabei aber nicht nur schauspielerisch, sondern auch gesanglich mit Liedern wie „Chim-chim-cheree“ und tanzt auch noch fabelhaft.

Weiter sind Johanna Zett als Winifred Banks und Patrick Imhof als George Banks besonders hervorzuheben. Zett verleiht ihrer Rolle Tiefe und überzeugt mit ihrem Gesang, während Imhof als griesgrämiger Banker brilliert, der am Ende eine bewegende Wandlung zum liebevollen Familienvater durchläuft.

„Mary Poppins“ in Thun (Foto: Thunerseespiele)

Auch die weiteren Rollen sind hervorragend besetzt. Kim Reizevoort beeindruckt als Miss Andrew mit einer diabolischen Bühnenpräsenz, Jacqueline Braun überzeugt als witzige Köchin Mrs. Brill genauso wie als herzbewegende Vogelfrau, Kaatje Dierks ist perfekt als durchgeknallte Mrs. Corry, während Cécile Gschwind als Miss Lark und Leon De Graaf als Butler Robertson Ay herrlich komödiantisch agieren.

Stark besetzt sind außerdem die Kinderrollen: Jane und Michael Banks, die mehrfach besetzt sind, werden in der besuchten Vorstellung von Meret Lötscher und Noa Hässig gespielt, die ihre Sache schauspielerisch wie gesanglich wirklich gut machen – und das ist bei Kindern auf deutschsprachigen Bühnen, im Gegensatz zu London oder New York, keine Selbstverständlichkeit.

Iwan Wassilevski leitet die Musikerinnen und Musiker des Orchesters präzise an, die sowohl die bekannten Filmsongs als auch die zusätzlich für das Musical geschriebenen Nummern leidenschaftlich intonieren. Drive und Dynamik kommt durch Kim Duddys flotte Choreografie in die Inszenierung, die Matthias Davids solide und fantasiereich auf die Bühne gebracht hat, die aber nicht über die Längen des Buches hinwegtäuschen kann. Dass ein wenig Disney-Zauber der „Mary Poppins“-Originalinszenierung verloren gegangen ist, ist den Open-Air-Umständen in Thun geschuldet. Dafür punktet in der Schweiz der einzigartige Blick auf den Thunersee mit dem Alpenpanorama – und auch die sehr gut umgesetzte Flugszene der Titelrolle sowie eine Szene, in der das Ensemble mit leuchtenden Regenschirmen einen Sternenhimmel bildet.

Text: Christoph Doerner

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Nach seinem Studium der Musiktheaterwissenschaft, einem Volontariat sowie mehreren journalistischen Stationen im In- und Ausland, ist Christoph Doerner seit einigen Jahren als freier Journalist, Texter und Berater tätig.