„Ich bin nicht Mercury“ (Foto: DERDEHMEL / Urbschat)
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Stimmgewaltig: „Ich bin nicht Mercury“ in Berlin

Die Hits der Band Queen, darunter „Bohemian Rhapsody“, „The Show must go on” oder „We are the Champions”, sind legendär, unvergessen und prägten mehrere Jahrzehnte Musikgeschichte – bis heute. Das Schlossparktheater Berlin wagt sich jetzt mit Thomas Schendel (Buch und Regie), Harry Ermer (Musikalische Leitung) und Viola Matthies (Kostüm) an ein vollkommen neues Projekt: „Ich bin nicht Mercury“ ist ein Musical, das einer Hommage an Freddie Mercury gleicht.

Schon zu Beginn des Stücks wird deutlich, dass es kein Bühnenbild geben wird, das die Handlung unterstreicht. Eher gewinnt der Zuschauer Einblick in den schmucklosen Probenraum einer Band, der den Rahmen bildet, in dem ganz eindeutig musikalische Höhepunkte im Vordergrund stehen werden. Die Wiederauferstehung einer Musik, die unvergessen scheint und an diesem Abend ganz klar die Fäden in der Hand hält. Hat man sich im Vorfeld vielleicht die Frage gestellt, ob es sich bei „Ich bin nicht Mercury“ um ein Theaterstück mit gesanglicher Untermalung, ein Musical oder doch eher um ein Konzert handelt, wird schnell klar: eher Letzteres. Man könnte fast sagen, dem Publikum wird ein Konzert mit den größten Hits von Queen geboten, unterstrichen durch eine unauffällige Handlung, die die Lieder nicht wie einen Kokon umstrickt, sondern eher versucht, sie mit dünnen Fäden zusammenzuhalten.

Der Inhalt von „Ich bin nicht Mercury“ ist schnell erzählt: Eine Band bestreitet ihren letzten Probentag vor einer wichtigen Studioaufnahme. Chris (Thomas Borchert), der Bandleader im goldenen Glitzerhemd mit Starallüren, outet sich als homosexuell und stürzt somit die Band in kleinere und größere Auseinandersetzungen. Lisa (Frederike Haas), seine Freundin, fühlt sich betrogen, ist verzweifelt und kann damit nicht umgehen. Ken (Marco Billep), der Familienmensch mit Vorstadthäuschen und Garten, hat eigentlich die ganze Zeit schon ein Auge auf Lisa geworfen und kann sich ihr jetzt endlich öffnen, und Frank (Michael Ernst) wiederum ist HIV-positiv und empfindet seit Jahren tiefe Gefühle für Chris, die er nie zu äußern wagte. Ein Schicksalstag, an dem so manches ans Licht kommt, was bisher tief verborgen blieb. Es sind die einzelnen Sehnsüchte, Wünsche, Probleme und Ängste der Bandmitglieder, so dass sich Liebe und Freundschaft, Vertrauen, Enttäuschung und Schmerz, Hilflosigkeit und neuer Mut bis zum Ende durch das Stück ziehen und in den teils rockigen, teils sehr gefühlvollen Interpretationen der Queen-Hits ihren Ausdruck finden.

Durch die knappe, kaum tiefer gehende Vorlage und die vergleichsweise wenigen Dialoge, ist es den Darstellern, die alle als brillante Schauspieler bekannt sind, kaum möglich, ihre Rollenfiguren vollständig auszuschöpfen. Somit bleiben die einzelnen Charaktere recht schwach gezeichnet und vermitteln lediglich einen oberflächlichen Einblick in ihr Seelenleben. Das plötzliche Outing von Chris oder das Liebesgeständnis von Ken – das alles geschieht wie aus heiterem Himmel und gibt dem Ganzen wenig Chance auf Tiefe und Entfaltung.

„Ich bin nicht Mercury“ (Foto: DERDEHMEL / Urbschat)

Die Regie hätte dem Schauspiel und der Charaktergestaltung mehr Raum geben können. Aber es ist die Frage, ob das überhaupt notwendig gewesen wäre. Die einzelnen Interpretationen der jeweiligen Nummern lassen mit viel Intensität Stimmung, Unterhaltung und Emotionen, sowohl auf der Bühne, als auch im Publikum aufkommen, so dass sich wahrscheinlich die wenigsten daran stören. Wann hat man überhaupt die Gelegenheit, solch großartige Songs so hervorragend interpretiert zu sehen und, vor allem, zu hören? Dass Thomas Borchert als ein Meister seinesgleichen auf der Bühne gilt, ist keine Neuigkeit, aber dennoch überrascht er mal mehr mit fantastischem Talent, sei es hinter dem Mikrofon oder am Klavier. Sein Stimmvermögen ist beeindruckend (insbesondere in den hohen Tönen!), seine Bühnenpräsenz einnehmend. Er ist der geborene Musiker, der geborene Sänger, der geborene Entertainer.

Frederike Haas ist ihm stimmlich absolut ebenbürtig: Eine Rockröhre voller Stärke und Intensität, was sie unter anderem bei „Let me entertain you“ unter Beweis stellt und dennoch nicht zögert, im Laufe des Stücks auch ihre verletzliche Seite musikalisch zum Ausdruck zu bringen. Marco Billep begeistert sowohl als Sänger, aber überzeugt auch als Beatboxer bei „Another one bites the Dust“ bis zum letzten Ton und zu guter Letzt Michael Ernst, der dem Ganzen mit seinem Glanz und Schimmer eine besondere Art der Verletzlichkeit auferlegt und somit bei „Love of my Life“ mehr als berührt.

Unterstützt werden die vier durch die eigens für dieses Stück zusammengestellte UnderPressured-Rockband unter der Leitung von Harry Ermer: Ben Barritt (Gitarre), Philipp Schmitt (Keyboard/ Schlagzeug) und Sebastian Vogel (Bass/Gitarre/Cello) bringen das kleine Schlossparktheater ordentlich zum Beben, haben aber ebenso auch das perfekte Gespür für die leisen, feinen Töne, die noch lange nachklingen.

So erlebt der Zuschauer bei „Ich bin nicht Mercury“ einen wundervollen Abend, der eher an ein Tribute-Konzert an die ganz Großen der Musikszene erinnert. Rockig, stimmungsvoll, mit unverwechselbaren Gitarrenklängen, die sowohl begeistern als auch unter die Haut gehen. Obwohl Chris mehrmals betont, „er sei nicht Mercury!“, tragen sie doch letztendlich alle insgeheim etwas von dem Titan der Musikgeschichte in sich und thematisieren somit die Konflikte des einzigartigen Sängers, der bis heute unvergessen blieb. Das Publikum quittiert den Abend mit fulminantem Applaus, stehenden Ovationen und Zugabe-Rufen, als es heißt: „We are the Champions, my Friends, and we’ll keep on fighting, ‚til the End.”

 Text: Katharina Karsunke

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Katharina Karsunke ist Sozial- und Theaterpädagogin, hat jahrelang Theater gespielt, aber auch Kindertheaterstücke geschrieben und inszeniert. Ihre Liebe fürs Theater und ihre Leidenschaft fürs Schreiben kombiniert sie bei kulturfeder.de als Autorin.