Fantasievoll: „Momo“ in Bad Hersfeld
Vor fast einem halben Jahrhundert erschien Michael Endes Roman „Momo“. Doch die Geschichte ist aktueller denn je, wie das von Georg Büttel fantasievoll inszenierte Theaterstück in der Fassung von Büttel, Gaston Florin und Jonas Meyer-Wegener bei den Bad Hersfelder Festspielen beweist. Schon zweimal zuvor hat Büttel das Stück im Rahmen des Kultursommers in Garmisch-Partenkirchen inszeniert – jetzt erstmals in der Bad Hersfelder Stiftsruine, wo das Stück wunderbar hineinpasst.
Denn das kleine Mädchen Momo lebt – wie passend – in einem Amphitheater und verbringt dort die Tage mit den Kindern aus der Umgebung, mit dem Straßenkehrer Beppo und dem Fremdenführer Gigi. Und Momo hat eine besondere Gabe: Sie kann gut zuhören und damit andere trösten. Und so erlebt das Publikum eine zeitlose Geschichte über Freundschaft und den Umgang mit der Zeit, gespickt mit poetischen und philosophischen Zwischentönen.
Dass das nicht nur Kindern Spaß bereitet, sondern auch dem Anspruch der Erwachsenen im Publikum gerecht wird, ist Georg Büttels stimmiger Inszenierung, die den Stoff und die Charaktere sehr ernst nimmt, zu verdanken. Neben dem Schauspiel kommen Zauberei, Tanz (hübsche Choreografie: Annette Taubmann) und Musik nicht zu kurz, was das Stück enorm aufwertet.
Insbesondere die Musik von Wilfried Hiller, der bei Carl Orff studierte und ein Freund Michael Endes war, ist ein Höhepunkt von „Momo“. Zwar ist es kein Novum mehr, dass bei Schauspielproduktionen Musik zum Einsatz kommt. Doch während diese oft nur aus der Konserve kommt, setzt man in Bad Hersfeld wieder einmal auf Qualität und hat unter der Leitung von Christoph Wohlleben fünf Musizierende – Keyboard, Klarinette, Violine, zwei Percussions – am rechten Bühnenrand platziert. Hillers Musik illustriert die Dialoge sehr feingliedrig, lässt Harmonie, Bedrohung und abenteuerliche Rettung miteinander verschwimmen und trägt die Story und die Figuren durch den mit zwei Stunden Spieldauer etwas zu langen Abend.
Optisch punktet „Momo“ durch das einfache, aber passende Bühnenbild von Thomas Bruner, das hauptsächlich aus roten Holzkästen und einer zentralen großen Treppe besteht, womit sich immer wieder neue Szenenbilder bauen lassen. So gibt die Rückseite der Treppe zum Beispiel den Blick auf ein Schnellrestaurant oder den Zeittresor der Grauen frei. Die Kostüme von Rabea Stadthaus treffen die Figuren perfekt, vor allem die grauen Herren und Damen von der Zeitsparkasse. Ein Höhepunkt ist zudem das Puppendesign von Pauline Späte, die mit dem überdimensionalen Meister Hora und der Schildkröte Kassiopeia echte Hingucker geschaffen hat. Abgerundet wird die Ausstattung durch ein stimmungsvolles Lichtdesign von Peter Bothmann.
Stark sind ebenso die Schauspielerinnen und Schauspieler. Hier muss zuerst Janina Stopper in der Titelrolle genannt werden. Wenn Erwachsene Kinderrollen übernehmen, kann das peinlich werden und gewaltig nach hinten losgehen. Doch Janina Stopper erweist sich geradezu als Idealbesetzung für Momo. Ihre Körpergröße von unter 1,60 Meter gepaart mit ihrem authentisch-kindlichen Spiel sorgen dafür, dass man ihr das kleine Mädchen zu jeder Sekunde abnimmt. Stopper geht ihre Aufgabe mit kindlicher Naivität an – und dadurch gewinnt ihr intensives Schauspiel.
Eine sichere Bank ist auch Günter Alt, der Beppo Straßenkehrer starke Konturen verleiht. Alt braucht gar nicht spielen, sondern einfach nur auf der Bühne stehen – man nimmt ihm seine Rolle sofort ab, solch eine Bühnenpräsenz, Sympathie und Authentizität strahlt der Schauspieler aus. Günter Alt spielt seinen Part so glaubwürdig und anrührend, dass man Momo um ihren Freund Beppo nur beneiden kann. Ebenso begeistert Sebastian Brummer mit großer künstlerischer Spannbreite, sympathischen Zügen und schöner Singstimme als Gigi Fremdenführer.
Überzeugen können weiterhin Otto Beckmann als Restaurantbesitzer Nino und Meister Hora sowie Pia Kolb als Chefin der Grauen und Nadine Germann als Kassiopeia. Die weiteren Schauspielerinnen und Schauspieler enttäuschen ebenfalls nicht, müssen sie doch eine unglaubliche Wandlung vollbringen, wenn sie ständig zwischen mehreren Rollen – Kinder wie Erwachsene – wechseln. Den Applaus zum Schluss haben sich alle Mitwirkenden dieses fantasievollen Schauspiels somit redlich verdient.
Text: Dominik Lapp