Über allem schwebt das Requiem: „Mozart!“ in Tecklenburg
Wolfgang Amadeus Mozart gilt als einer der größten Komponisten der Welt – vielleicht sogar als der allergrößte. Wo sein Name draufsteht, das verkauft sich wie geschnitten Brot. Umso unverständlicher ist es, dass im deutschsprachigen Raum bislang nur wenige Theater das Musical „Mozart! von Michael Kunze (Libretto) und Sylvester Levay (Musik) gespielt haben. Vor knapp 24 Jahren in Wien uraufgeführt, ist es nie aus dem Schatten des Vorgängerwerks „Elisabeth“ herausgekommen. Umso erfreulicher, dass sich die Freilichtspiele Tecklenburg diesem Stoff nach 2008 jetzt ein zweites Mal annehmen. Damals hat Cusch Jung eine recht traditionelle und wenig spektakuläre Inszenierung auf die Freilichtbühne gebracht, jetzt wurde mit Ulrich Wiggers ein Regisseur verpflichtet, der gern mit großer Symbolik arbeitet und dem Werk einen modernen Stempel aufdrückt.
Vor ein paar Jahren noch ließ Wiggers eine zehn Meter hohe Justitia auf dem Magdeburger Domplatz über seine hervorragende „Chicago“-Inszenierung wachen, in Tecklenburg bedient er sich nun einer ähnlichen Symbolik in Form einer überdimensionalen Klaviatur, die als Treppe dient, und eines riesigen Notenblatts, das in Original-Handschrift das „Dies irae“ aus dem Mozart-Requiem zeigt. Entsprechend abstrakt und düster ist die Inszenierung insgesamt, über allem schwebt das Requiem, eine Totenmesse, die Mozart auf sein eigenes Leben schreibt.
Diese Idee ist so einfach wie genial und wurde von Bühnenbildner Jens Janke fantastisch umgesetzt, der neben den imposanten Notenblättern und der Klaviatur außerdem unter anderem ein großes Tintenfass samt Federkiel sowie eine riesenhafte Leier geschaffen hat. Ein besonderer Kniff sind die Klaviertasten in Treppenform, die sich vierteilen lassen und an einer Seite offen sind, so dass darin Szenen spielen können. Der Orgelboden im Salzburger Dom entsteht dagegen durch das einfache Öffnen einer Tür in dem großen Notenblatt, so dass der Blick auf die Orgelpfeifen freigegeben wird.
Eine Augenweide sind die prachtvollen Kostüme von Karin Alberti, die zum Beispiel bei Leopold Mozart oder der Baronin von Waldstätten einerseits am Rokoko angelehnt, andererseits aber auch von modernen Einflüssen geprägt sind wie bei Wolfgang Mozart, der verschiedenfarbige Rüschenhemden trägt, von denen einige durchsichtig sind und ihn wie einen urbanen Raver aus Friedrichshain erscheinen lassen.
Bei Ensembleszenen wird oft auf schwarze Kleidung inklusive schwarzer Schleier gesetzt. Ob nun zur Beisetzung von Mozarts Mutter oder zum Finale des ersten Akts: Die düstere Trauerstimmung und Atmosphäre der Totenmesse, die der Titelheld zum Schluss für einen unbekannten Auftraggeber komponieren soll, ist allgegenwärtig. Auch der Salzburger Fürsterzbischof Colloredo und sein Oberstküchenmeister Graf Arco sind in Schwarz gehüllt, was vor allem Colloredo den Touch eines modernen Draculas oder Mafiabosses verleiht.
Neben dem Bühnenbild werden neue Maßstäbe auch bei der Choreografie gesetzt. Viele namhafte Choreografen haben in den vergangenen Jahren für die Freilichtspiele Tecklenburg gearbeitet. Doch der in diesem Jahr zum ersten Mal verpflichtete Francesc Abós bringt eine nie zuvor dagewesene choreografische Handschrift in die gelungene Inszenierung von Ulrich Wiggers ein. Viel zu oft ist bei Drama-Musicals wie „Mozart!“ der Tanz nur ein nettes Beiwerk, doch Abós versteht viel mehr als nur Staging und Moving – seine ausgeklügelte, dynamische und kraftvolle Choreografie mit Bewegungen, die man so noch nicht gesehen hat, ist ein wichtiger Bestandteil im Gesamtkonzept und fordert die Darstellerinnen und Darsteller.
Als Höhepunkt der synergetischen Zusammenarbeit von Regisseur und Choreograf erweist sich der Song „Irgendwo wird immer getanzt“. Diese Nummer von Mozarts Ehefrau Constanze wurde in der Vergangenheit immer als Solo auf großer offener Bühne inszeniert – nicht so bei Wiggers und Abós, die daraus eine große Ensembleszene machen, in welcher der gesungene Text vertanzt wird, bis sich Constanze von der Treppenstufen-Klaviatur in die Arme des darunter stehenden Ensembles abrollt und per Hebefigur emporsteigt. Inszenatorisch äußerst gelungen ist zudem das Finale des zweiten Akts, wenn sich Mozart zwischen anderen Weltstars wie Elvis, Frank Sinatra, Amy Winehouse, Marilyn Monroe oder Freddie Mercury einreiht.
Getragen wird das Musical von einer sehr stimm- und spielstarken Cast, die von Jan-Philipp Rekeszus angeführt wird. Mit jugendlichem Charme gibt dieser seinen Mozart als frechen Trotzkopf und Revoluzzer, der sich einerseits aus der väterlichen Obhut heraus emanzipiert und andererseits dabei selbst ruiniert. Seine Soli singt Rekeszus mit klarer und brillanter Stimme sowie strahlenden Spitzentönen. Sehr berührend gelingt ihm das Zusammenspiel mit Thomas Borchert als Leopold Mozart. Dieses schwierige, aber doch liebevolle Verhältnis zwischen Vater und Sohn („Keiner liebt dich so wie ich“) gestalten die beiden Künstler eindrücklich. Borcherts schauspielerische Leistung ist phänomenal, wie er den Vater würdevoll, autoritär und immer weiter alternd darstellt. Gesanglich lässt er seinen warmen Bariton besonders in dem ruhigen Solo „Schließ dein Herz in Eisen ein“ glänzen.
Alexander di Capri verleiht seinem Colloredo einen passenden Habitus, rockt seine Songs und zeichnet ein authentisches Bild des selbstverliebten und machthungrigen Fürsterzbischofs. Katia Bischoff mimt als Constanze Weber erst die Hals über Kopf Verliebte, später die enttäuschte sowie vernachlässigte Ehefrau und zum Schluss die starke und emanzipierte Partnerin, die ihrem Mann die Leviten liest. Gesanglich fesselt sie dabei zu jeder Zeit, ganz besonders aber in ihrem Solo „Irgendwo wird immer getanzt“.
Glanzpunkte setzen kann darüber hinaus Wietske van Tongeren als Baronin von Waldstätten, die sich in dieser Nebenrolle als Glücksgriff erweist und ihren stärksten Moment hat, wenn sie die schlagerhafte Hymne „Gold von den Sternen“ singt und damit restlos begeistert, während sie auf einem beweglichen Element der überdimensionalen Klaviatur über die Bühne geschoben wird.
Die etwas undankbare, weil vom Buch sträflich vernachlässigte Rolle von Mozarts Schwester Nannerl füllt Valerie Luksch mit großartiger Liebenswürdigkeit und klarer Stimme, obwohl ihr der Song „Der Prinz ist fort“ leider nur wenig Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Christian Schöne ist schauspielerisch wie gesanglich ein souveräner Graf Arco, Brigitte Oelke sorgt als Cäcilia Weber mit Witz und Präsenz für humorige Momente und Benjamin Eberling überzeugt als Theaterdirektor Schikaneder mit seinem Solo „Ein bissel fürs Hirn und ein bissel fürs Herz“.
Musikalisch ist diese Neuinszenierung von „Mozart!“ ebenfalls gelungen. So dirigiert Klaus Wilhelm das imposant und kraftvoll klingende Orchester der Freilichtspiele Tecklenburg mit Verve und Präzision und treibt seine Musikerinnen und Musiker zu Höchstleistungen an.
Wenn man an dieser rundum gelungenen Produktion jedoch etwas kritisieren möchte, ist es das mittlerweile zu Tode überarbeitete Buch von Michael Kunze, das von der Wiener Urfassung über die Hamburger Fassung zurück zur alten Wiener und hin zur Budapester sowie letztendlich zur neuen Wiener Fassung reicht. Dadurch sind in Tecklenburg jetzt Nummern wie „In Salzburg ist Winter“ (für Hamburg geschrieben), das Wolfgang/Colloredo-Duett „Der einfache Weg“ (für Budapest geschrieben) und das Cäcilia/Constanze-Duett „Du hast ihn an der Angel“ (für die neue Wiener Fassung geschrieben) dabei, während andere Songs gestrichen wurden.
Doch das sind Feinheiten, die für das Gros des Publikums ohnehin irrelevant sind. Am Ende bleibt eine äußerst gelungene Inszenierung, die viele Glanzpunkte zu setzen weiß und ohne Einschränkungen empfehlenswert ist.
Text: Dominik Lapp