Brillant und frischer denn je: „Cats“ auf Tour
Die Jellicle-Katzen tummeln sich wieder auf ihrem Schrottplatz und stellen sich im Rahmen einer Welttournee auch in mehreren deutschen Städten dem Publikum vor. Nachdem in den letzten Jahren auf renommierten Bühnen in Tecklenburg, Wunsiedel, Thun oder Koblenz Neuinszenierungen des Musicals „Cats“ zu sehen waren, ist jetzt im Rahmen der Tour die Londoner Originalinszenierung zu sehen, die auch mehr als 36 Jahre nach der Uraufführung nichts an ihrer Brillanz eingebüßt hat. Im Gegenteil: Obwohl Andrew Lloyd Webbers Musical-Katzen inzwischen einige Jahre auf dem Buckel haben, kommt die Show frischer und vitaler denn je über die Rampe, hat aber auch Nostalgisches zu bieten.
Das liegt nicht nur an der jungen, äußerst motivierten Cast, sondern auch an John Napiers wie aus einem Guss wirkenden Ausstattung – das detailreiche Bühnenbild, die fantasievollen Kostüme und die aufwändigen Masken sind noch immer erstklassig und unnachahmlich. Zwar ist das Bühnenbild tourneebedingt nicht ganz so aufwändig gestaltet wie bei einer Ensuiteproduktion, aber deshalb nicht minder sehenswert. Der bekannte Schrottplatz mit dem alten Autoreifen, einem kaputten Backofen, der ausgedienten Heckklappe eines Autos und den überdimensionalen Schrottteilen hat schon etwas Nostalgisches und bietet viel zu entdecken – perfekt abgerundet wird die Szenerie durch das passende, sehr schöne Lichtdesign von David Hersey.
Nun kann „Cats“ zwar nicht gerade mit einer herausragenden Handlung aufwarten, doch eine solche können auch die etlichen Compilation-Musicals, die heutzutage aufgeführt werden, nicht für sich beanspruchen. „Cats“ hingegen war von Anfang an eine revueähnliche Vertonung von T.S. Eliots Katzengedichten, überzeugt aber wie schon bei seiner Uraufführung vor allem mit den energiegeladenen Tanzszenen, die es in dieser Häufigkeit und Intensität in kaum einem anderen Musical zu sehen gibt.
Das Hauptaugenmerk bei „Cats“ liegt auf Gillian Lynnes großartiger Choreografie, die das Stück so besonders macht und wesentlich mehr Platz einnimmt als die Regie von Altmeister Trevor Nunn. Durch die katzenhaften Bewegungen der Darsteller, durch das Staging, jeden Schritt, jede Pirouette lebt diese Show und versprüht eine elegante Feinsinnigkeit, die ihresgleichen sucht.
Umso erfreulicher, dass für die Tour durch die Bank weg starke Tänzer verpflichtet wurden, die die schwierigen Tanzschritte mit Leichtigkeit zu meistern scheinen. Allen voran Robbie McMillan als Zauberkater Mr. Mistoffelees reißt das Publikum in der besuchten Vorstellung zu Begeisterungsstürmen hin. McMillan vermag sich nicht nur äußerst grazil zu bewegen, sondern beherrscht jeden Tanzschritt perfekt. Für seine Pirouetten in dem Song „Mr. Mistoffelees“– dank der Licht- und Pyroeffekte ohnehin eine der schönsten Szenen – erntet er vollkommen berechtigt lautstarken Szenenapplaus.
John Ellis gibt das weise Katzenoberhaupt Old Deuteronomy mit erhabener Stimme und starker Bühnenpräsenz, singt ein überzeugendes „The Moments of Happiness“ und sorgt für ein starkes Finale, wenn er auf dem Autoreifen stehend über das Ansprechen von Katzen singt und sich seine Katzenschar in Nebelschwaden um ihn herum versammelt.
Eine tolle Charakterstimme beweist auch Tony McGill als Bustopher Jones und Gus, der schauspielerisch vor allem als alternder Theaterkater überzeugt. Ein großer Moment in der Inszenierung wurde jedoch verschenkt, weil man die Nummer „Growltigers Last Stand“ – in früheren Inszenierungen schon durch „The Ballad of Billy M’Caw“ verunstaltet – jetzt gänzlich gestrichen hat und stattdessen die Nummer „The Battle of the Pekes and the Pollicles“ vom ersten in den zweiten Akt verschoben hat. Nun also schlüpft der Theaterkater Gus nicht mehr in die Rolle des Piraten Growltiger, der seine Griddlebone anschmachten darf, sondern darf lediglich als Rumpus Cat den Streit zwischen den Pekies und Pollicles schlichten.
Wer dadurch leider weniger zu singen hat, weil einige seiner Strophen jetzt von Gus gesungen werden, ist der Kater Munkustrap, der sehr würdevoll und mit angenehm rauer Stimme von Matt Krzan gespielt wird. Nach wie vor wunderschön ist die Szene von Skimbleshanks, dem Kater vom Nachtexpress, der von Lee Greenaway dargestellt wird. Unglaublich, wie schnell die Darsteller in Sekundenschnelle aus Schrottteilen eine Eisenbahn bauen und sie genauso schnell wieder verschwinden lassen.
John Brannoch darf als Rum Tum Tugger wieder der altbekannte Rock’n’Roll-Kater sein, nachdem in einer früheren Londoner Inszenierung mit einem rappenden Tugger experimentiert wurde. Mit starkem Rockfalsett singt er sein Solo und sorgt für ein hörbar amüsiertes Publikum, wenn er eine Zuschauerin aus der ersten Reihe zum Tanz auffordert und den Saal zum Kochen bringt.
Die größte Überraschung des Abends ist jedoch Joanna Ampil in der Rolle der Grizabella. Nun kann man sicher darüber streiten, ob die Philippinin zu jung und hübsch ist, um eine gealterte und vom Leben gezeichnete Diva zu spielen. Doch muss eine von der Gesellschaft verstoßene Frau, die die Glanzzeiten ihres Lebens bereits hinter sich hat, ja nicht zwangsläufig alt sein. Gerade in der heutigen Zeit sind die überfliegenden Popsternchen schneller wieder von der Bildfläche verschwunden und sozial abgestürzt, als es ihnen lieb ist. Das neue Konzept, Grizabella mit einer jungen Frau mit starker Popstimme zu besetzen, geht also auf.
Und gerade das, was Joanna Ampil gesanglich und schauspielerisch leistet, darf als fantastisch bezeichnet werden. Ihrer frischen Interpretation des Welthits „Memory“ ist es auch zu verdanken, dass „Cats“ in der aktuellen Tourproduktion so verjüngt wirkt. In der Interpretation von Ampil klingt der Song nicht mehr so schlagerhaft verstaubt und langweilig heruntergespult wie man ihn schon unzählige Male im TV, im Radio, in einer von zahlreichen Galas oder in früheren „Cats“-Produktionen gehört hat.
Andrew Lloyd Webber mag mit „Cats“ zwar nicht sein musikalisch stärkstes Werk abgeliefert haben, doch die Musik ist zweckdienlich, treibt die Handlung voran und liefert durch ihre verschiedenen Stile jeder Katze und jedem Kater ein eigenes, wiedererkennbares musikalisches Thema. Etwas spärlich besetzt ist jedoch das Orchester, das laut Programmheft neben dem Musikalischen Leiter Tim Davies leider nur acht Musiker zählt und damit eher als etwas größere Band oder vielleicht als Kapelle, aber weniger als Orchester bezeichnet werden kann. Doch muss man heutzutage schon dankbar sein, wenn die Musik in Musicals überhaupt noch live gespielt wird und nicht aus der Konserve kommt. Ihren Job machen die Musiker immerhin ganz formidabel.
Nach wie vor hat das Musical „Cats“ also nichts von seinem Zauber verloren. Mit der Originalinszenierung haben die Produzenten auf Altbewährtes im frischen Gewand gesetzt, was beim Publikum gut anzukommen scheint. Trotz der recht dürftigen Handlung können die Zuschauer in eine Fantasiewelt eintauchen und sich an den herausragenden Kostümen und Masken sowie den äußerst starken Tanzszenen erfreuen.
Text: Dominik Lapp