Schrill: „Company“ in Hildesheim
Das Musical „Company“ mit Musik und Gesangstexten von Stephen Sondheim und dem Buch vom George Furth, das jetzt am Theater für Niedersachsen (TfN) in Hildesheim gespielt wird, ist ein nach wie vor sehr aktuelles Musical mit fetziger Musik, aber ohne durchgehenden Handlungsstrang, weil es sich im Kopf eines Menschen abspielt. Robert, der Hauptprotagonist in „Company“, hat Geburtstag. Er wird 35, seine Freunde wollen ihm eine Überraschungsparty schenken. Er weiß das und fragt sich, wie sie wohl aussehen wird, diese Party.
Werden seine Freunde mit Geschenken und einer Torte hereinkommen? Was werden sie sagen? Werden sie ihn wieder drängen, sich beim Kerzenauspusten etwas zu wünschen und dabei annehmen, er wünsche sich eine Partnerin? Soll er ihnen sagen, dass er sich gar nichts wünscht? Denn was sieht er bei seinen Freunden? Lauter nicht ideale Partnerschaften. Ziemlich viel, was schiefgeht. Er spielt alle Partnerschaften durch, die er kennt, und alles, was er sich vorstellen kann – und erlebt seinen Geburtstag immer wieder neu. Und er merkt: sich richtig gut unterhalten und großartigen Sex gehabt hat er mit einem Mädchen (genial naiv: Florentine Kühne als April), dessen Namen er nicht mehr weiß. Doch wenn sie sein Angebot, bei ihm zu bleiben, annehmen würde: was würde das mit ihm machen?
Und wenn der Geburtstag ganz anders verliefe? Wenn sein Leben anders verliefe? Mit dem großartigen Song „Being alive“ fordert Robert „somebody“, also einen nicht näher definierten Jedermann (bzw. Jederfrau) auf, ihn mit Beharrlichkeit und Penetranz so lange zu nerven, bis er es endlich schafft, ohne Netz und doppelten Boden wirklich zu leben, echte Gemeinsamkeit mit Höhen und Tiefen zuzulassen. „For alone is alone not alive.“
Leider aber wurde Sondheims genialer Text von Michael Kunze eher unbeholfen und teilweise irreführend übersetzt. Anstatt exakt und mit Sprachgefühl übertragen oder gar aktualisiert, kommt die deutsche Version sehr altbacken daher, weil anstatt auf „Lebenspartnerschaft“ nach wie vor nur auf die Ehe abgezielt wird. Es interessiert heutzutage niemanden, ob irgendein Schnösel irgendwann einmal heiratet. Ob er es hingegen schafft, beziehungsfähig zu werden (worum es ja eigentlich geht), wäre als auch heute zentrales Problem viel interessanter. Aber das gibt die biedere Übersetzung nicht her, und Showstopper „Being alive“ verkommt zur beliebigen „Universum schick mir den idealen Partner“-Nummer.
Die „Company“-Inszenierung von Werner Bauer in Hildesheim versucht zwar Gegenwartsbezüge, indem Handys und Laptops eingebaut werden, das passt aber nicht unbedingt zum deutschen Text und wirkt daher deplaziert. Schön jedoch das unaufdringliche Bühnenbild (Ausstattung: Esther Bätschmann), das wie eine Drehbühne fungiert. Es handelt sich um Wand- und Türelemente, in dezentem Blau gehalten, die sich auf Rollen laufend um eine Mittelachse drehen lassen und so immer wieder neue Räume schaffen. Sehr schön auch das Podest, das später als Bett dient und aus welchem überraschend Damen auftauchen, die dann ebenso später wieder verschwinden – ein netter Effekt. Die Kostüme sind zeitlos, lehnen ein bisschen an die Hippie-Zeit an, könnten aber auch aktuell getragen werden.
Die Beschallung ist – zumindest beim Gastspiel im Theatersaal in Langenhagen – unausgewogen, die Höhen überbetont, so dass die Stimmen der Damen ausnahmslos extrem hoch, geradezu schrill klingen. Die Lautstärke der Musik schwankt und ist oft schmerzhaft grell, die Band unter der Leitung von Andreas Unsicker übertönt häufig den Gesang – darunter leidet die Textverständlichkeit. Daher sollte bei Gastspielen an der Beschallung gefeilt werden, denn obwohl keine der Sängerinnen mit den Höhen Schwierigkeiten hat, klingen sie so unangenehm, dass man sich die Songs ein, zwei Töne tiefer wünscht, und auch die Herren lassen das Timbre vermissen, das man von ihnen gewöhnt ist, klingen eher hell und flach. Sehr schade, weil das TfN wirklich gute Sänger hat. Daher muss der Fairness halber auf eine ausführliche Beurteilung der einzelnen vokalen Leistungen verzichtet werden, einfach weil die Übertragung den Stimmen nicht gerecht wird.
Dass der erste Akt von „Company“ im Theatersaal in Langenhagen eher blass daherkommt, liegt auch daran, dass zwei Darstellerinnen erkrankungshalber ausfielen und die beiden Ersatzbesetzungen sich erst am selben Abend einproben konnten. Daher beginnt die Aufführung verspätet und kommt auch nur langsam in Schwung. Nach der Pause ist das Spiel so schwungvoll und ausdrucksstark, wie man es bei Sondheim erwartet. Insgesamt verdient das Ensemble großes Lob, weil es keinerlei Brüche zwischen der erprobten Besetzung und den Neulingen gab, das allein ist schon eine bemerkenswerte Leistung, die für großes Können aller Beteiligten spricht.
Als hinreißend bekiffter David glänzt Alexander Prosek wunderbar prollig, Iris Stefanie Maier, die für die erkrankte Sandra Pangl einspringt, stellt seine Frau Jenny als unsichere, in Konventionen gefangene und doch von der großen Freiheit Träumende sehr glaubhaft dar. Gerald Michel als Harry und Mary C. Bernet als Sarah liefern sich großartige Zweikämpfe in Wort, Witz und Karate. Wunderbar zart bis energisch am Rande der Hysterie gibt Elisabeth Köstner die Amy und Nicolo Soller einen liebevollen Paul. Auch Jessica Krüger (in Vertretung für Lisa Maria Hörl als Susan und Hochzeitssängerin) brilliert, insbesondere eingedenk der kurzen Probenzeit, und wird von Johannes Osenberg als Peter großartig ergänzt. Charlotte Katzer als verträumt-verhuschte Marta weckt Sympathien für ihre Figur, ebenso wie Jasmin Eberl als Kathy. Herausragend ist Jens Krause als abgeklärter Larry und umwerfend vulgär Bettina Meske als Joanne.
Fin Holzwart spielt seinen Robert nuanciert. Im zweiten Akt läuft er zur Hochform auf, brilliert in der Liebesszene ebenso wie mit der darauffolgenden Katerstimmung. Für die Flachheit des zentralen Songs „Lebendig zu sein“ („Being alive“) kann er nichts, er gibt sein Bestes im Kampf gegen Beschallung und Text.
Es wäre angebracht, das Thema Beschallung in den unterschiedlichen Spielstätten endlich in Angriff zu nehmen – an sich ist nicht einzusehen, warum mit den heutigen technischen Möglichkeiten schlechte und verfälschende Beschallung überhaupt noch so häufig vorkommt, wie es leider nach wie vor der Fall ist. Wenn je nach Spielstätte die Beschallung stimmt, ist „Company“ vom TfN durchaus zu empfehlen.
Text: Hildegard Wiecker