Anti-Kriegs-Stück: „Dogfight – Ein hässliches Spiel“ in Hildesheim
Drei Marines am Vorabend lassen die Sau raus, bevor sie zur Sau gemacht werden: Das wäre in etwa die Kurzbeschreibung des Inhalts dieser europäischen Erstaufführung des Musicals „Dogfight – Ein hässliches Spiel“ von Benj Pasek und Justin Paul, auch bekannt durch den Musicalfilm „La La Land“, in der Inszenierung von Alice Asper am Theater für Niedersachsen (TfN) in Hildesheim. Das Stück spielt mit mehreren Sinnebenen, was in einer Einführung zum Stück vorab erläutert wird, weil manches sonst womöglich unterginge.
Es sind also drei Marines, the three B’s, weil ihre Namen allesamt mit B beginnen: Birdlace, Bernstein und Boland. Im Englischen lässt sich daraus ganz leicht das Wortspiel mit der Biene machen: The three Bees, die im Verlauf des Stücks eine große Rolle spielen. Diese drei testosteronstrotzenden, zynischen und doch in vielerlei Hinsicht auch naiven jungen Männer folgen einer Tradition der Marines. Sie veranstalten einen Dogfight, ein hässliches Spiel am Vorabend. Es ist der 21. November 1963, und am nächsten Morgen geht es aufs Schiff zu „einem kleinen Land neben Indien, ein paar Strafzettel verteilen – in zwei, drei Monaten sind wir zurück“. Am selben Tag wird mit Kennedys Ermordung sprichwörtlich „Amerika seine Unschuld verlieren“. Doch an diesem letzten Abend der Unschuld, die Bienchen Dick Bernstein (komisch nur im englischen Original) in der Hafenkneipe verlieren soll, steht erst der titelgebende Dogfight an. Dabei handelt es sich um eine etwas fiese Wette: Derjenige, der das hässlichste Mädchen zur Party mitbringt, gewinnt sämtliche Wetteinsätze. Es darf aber keine Professionelle sein, keine Behinderte „und kein Spasti“ – und sie darf nichts von der zynischen Wette wissen.
Diese Regeln verletzt Boland, der Marcy mitbringt, ein Mädchen, das sich selbst absichtlich hässlich macht und dafür sogar ihre Zahnprothese herausnimmt, aber ihren Anteil am Gewinn haben will – sie macht das hässliche Spiel regelmäßig mit: Geld, für das sie nichts machen muss. Natürlich gewinnt sie, doch sie verrät Rose auf dem Klo, warum gerade sie ausgewählt wurden: Mit Bedacht, ein möglichst hässliches Mädchen einzuladen. Rose ist am Boden zerstört – dabei hat Birdlace, der sie im Diner ihrer Mutter entdeckte, längst begonnen, mehr in ihr zu sehen als nur ein liedermachendes Mauerblümchen. Natürlich gibt es Streit, natürlich gibt es Tränen, sie flieht von der Party, von der sie sich so viel erhofft hatte. Birdlace geht ihr nach, versucht zu erklären, entschuldigt sich, lädt zum Essen ein.
Es geschieht reichlich viel an diesem einen Abend, in dieser einen Nacht, zu viel, um es wirklich in so wenigen Stunden erleben zu können: Angeblich ist Sperrstunde, als Rose mit Birdlace zur Party aufbricht, dort halten sich beide länger auf, und doch finden sie nach Streit, Versöhnung und langem Weg zum Restaurant dieses ganz selbstverständlich offen. Sie essen dort, sie besuchen die Golden Gate Bridge, sie kehren zu Roses Zimmer zurück, sie verbringen den Rest der Nacht miteinander und haben noch Zeit für etwas Schlaf, bevor sich Birdlace – „ehe deine Mutter aufwacht!“ – verabschiedet. Das wirkt unglaubwürdig, der Abend ist ebenso überfrachtet wie das ganze Stück.
Im Gegensatz zu dem, was die Einführung sagt, geht es nämlich in diesem Stück keineswegs vordringlich um die zynische Beurteilung nach Äußerlichkeiten. Nein, es entwickelt sich zum beklemmenden Anti-Kriegs-Stück. Als solches hat es seine Berechtigung und seinen Wert, es hat aber leider auch einige Mängel.
Die Einführung ist einerseits nötig, weil die Textverständlichkeit ganz erheblich zu wünschen übrig lässt – oft sind einzelne Darsteller zu leise ausgesteuert und alle kommen vernuschelt rüber. Andererseits erzählt Drmaturg Christof Wahlefeld vorab den kompletten ersten Akt in einer Ausführlichkeit, die jede Spannung nimmt – bis zur Pause ist das Stück, das sowieso einige Längen hat, dadurch geradezu langweilig. Da hilft das eintönig graue Bühnenbild (Ausstattung: Holger Syrbe), das nur aus ein paar Gerüsten und Treppen besteht, dazu eine Wand, aus der sich ein Dinertisch herausklappen lässt sowie einige Leuchtschilder, auch nicht wirklich. Zudem ist es im sehr langen zweiten Akt irritierend, dass der Weg zum Restaurant mehrfach durch Roses Schlafzimmer führt. Klar, auf dem Gerüst steht eben das Bett, mit dem ihr Schlafzimmer angedeutet wird, und es lässt sich so schnell auch nicht von den flinken Bühnenarbeitern, die stets auf offener Bühne umbauen, entfernen. Aber die Darsteller könnten schon andere Wege nehmen als den, der wieder am Bett vorbeiführt.
Die Musik von Benj Pasek und Justin Paul, die von der sechsköpfigen Band unter der Leitung von Andreas Unsicker fetzig dargeboten wird, passt mit der Mischung aus flottem Pop und 1960er-Jahre-Anklängen nicht immer zum damaligen Zeitgeist.
Vielleicht ist es ganz gut, dass man die Texte des im englischen Original zweifach preisgekrönten Musicals so schlecht versteht, denn durch die unmögliche Übersetzung englischer Wortspiele ergeben sich mitunter kindisch-alberne sinnlose Reime: „Bienchen Bienchen fliegt herum, hat einen Stachel spitz und krumm“ ist ein typisches Beispiel verkorkster Metaphern. Es wird leider so oft wiederholt, dass der Zuschauer zumindest diesen Reim irgendwann ganz einfach verstehen muss.
Ein weiteres Manko ist, dass die Dogfight-Mädels nicht hässlich sind. Die Darstellerinnen des TfN sind es natürlich von Natur aus nicht, doch könnte eine entsprechende Maske etwas nachhelfen, was sie allerdings nicht tut. Zwar trägt Rose ein sehr plumpes Kleid zur Party, doch die häufige Erwähnung ihres Gesichts lässt dort besondere Hässlichkeit erwarten – zumindest eine klischeehafte Brille oder Zahnspange, wenigstens Sommersprossen oder ein Feuermal. Aber Elisabeth Köstner ist als Rose sehr hübsch – „zu hübsch für den Wettbewerb“. Stimmlich und schauspielerisch stellt sie die Entwicklung vom schüchternen Mädchen zur selbstbewussten Frau jedoch sehr gut dar.
Teresa Scherhag ist als Marcy immerhin etwas auf hässlich gestylt, außerdem kann sie hinreißend schnarrend kichern und singt mit ordinär-kräftiger Stimme, die sie später in voller Schönheit („Ich bin eigentlich gar nicht hässlich!“) erstrahlen lässt.
Einheitlich kommen die Jungs daher. Dennoch fällt Jürgen Brehm als Dick Bernstein positiv auf, weil er die männliche Jungfrau wunderbar verklemmt und schüchtern spielt. Jens Krause amüsiert unter anderem als Drag Queen und Nite-Lite-Besitzer sowie hinreißend hochnäsiger Kellner. Den Anführer der Bienchen Ralph Boland spielt Lukas Sandmann überheblich herablassend und sehr von sich eingenommen – das ist rundum gelungen. Tim Müller hat als Eddie Birdlace die männliche Hauptrolle und überzeugt in jeder Szene stimmlich und schauspielerisch: absolut brillant seine zurückgenommene, sparsame Art, das Kriegstrauma zu spielen, er macht das nur mit seiner stetig zitternden rechten Hand – das wirkt erschütternd und glaubwürdig.
Die Videoprojektionen mit Aufnahmen aus Vietnam und der Friedensbewegung, die bedrohlich wummernde Musik der Kriegsszene und die Rahmenhandlung des Kriegsheimkehrers machen aus dem Musical ein Anti-Kriegs-Stück. Der Vietnamveteran Birdlace, einziges überlebendes Bienchen, findet anstelle der versprochenen Heldenverehrung nur Verständnislosig- und Feindseligkeit, aber zu seinem Glück auch Rose, die inzwischen in der Friedensbewegung als Singer-Songwriterin den gewünschten Erfolg hat. Und sie – obwohl er ihr nie geschrieben hat – schließt ihn in die Arme. Das ist schön, aber leider das falsche Ende für ein Stück, das die Sinn- und Hoffnungslosigkeit des Krieges darstellen will. Das ist den Machern von „Hair“ eindeutig besser gelungen. Den frenetisch jubelnden Applaus vor allem der jüngeren Zuschauer haben sich die allesamt guten Darsteller dennoch redlich verdient.
Text: Hildegard Wiecker