Hier stimmt alles: „Funny Girl“ in Bad Hersfeld
Was macht ein unscheinbares Mädchen in einer Welt, in der nur Schönheit zählt und die langbeinigen Modelfiguren in großer Zahl verfügbar sind? Es geht zur Bühne und lebt seinen Traum. Das Musical „Funny Girl“ erzählt die wahre Geschichte der Fanny Brice: 1891 als Fania Borach, Tochter ungarisch-jüdischer Einwanderer, in New York geboren, ihr Leben lang ein Star, trotz oder vielleicht auch wegen ihres Äußeren, das in Kombination mit ihrem großartigen Gesang und dem unbestreitbaren Talent zu urkomischer Parodie ein hinreißend stimmiges Ganzes ergab.
Hinreißend stimmig und urkomisch, eindrucksvoll wie eine Ziegfeld-Follie, ist auch die Bad Hersfelder „Funny Girl“-Inszenierung von Stefan Huber mit der dynamischen Choreografie von Danny Costello. Er belässt die Geschichte in ihrem Umfeld, spielt gekonnt mit dem Zeitkolorit und zeigt gerade deshalb, wie zeitlos die Geschichte des hässlichen Entleins ist und immer bleiben wird.
Das mit seiner übergroßen, in Teilen fahrbaren Showtreppe sehr gelungene Bühnenbild von Harald B. Thor eignet sich großartig zur Darstellung der Ziegfeld-Follies, kann aber durch Verschiebung des zweigeteilten unteren Mittelbereichs jederzeit auch Hinterhof, Bahnhof, Garderobe oder Villa sein. Die zeitgemäßen, detailreichen, teilweise ausgesprochen prächtigen Kostüme von Susanne Hubrich entführen in die glitzernde Welt der Ziegfeld-Follies ebenso wie in die Hinterhöfe der Henry Street.
Unbedingt Erwähnung finden muss der Umstand, dass Bad Hersfeld in einer Zeit, in der immer mehr Produzenten auf Musik aus der Konserve setzen, den Zuschauern ein großes, sehr gutes Orchester gönnt, das unter Musikalischer Leitung von Christoph Wohlleben überaus diszipliniert und sauber intonierend voller Spielfreude mitreißend spritzig beweist, dass Live-Musik durch nichts zu ersetzen ist.
Großes Lob gebührt vor allem dem bis in die kleinste Rolle ausgezeichneten Ensemble von „Funny Girl“. Wirklich jede Rolle ist ideal besetzt. So zum Beispiel das wunderbar komische kartenspielende Damentrio Infernale Mrs. Strakosh (Sylvia Wintergrün), Mrs. O‘Malley (Barbara Köhler) und Mrs. Meeker (Annette Lubosch), das gleich zu Beginn herrlich krähend die amerikanischen Schönheitsideale besingt, später jedoch, wie ausnahmslos alle Darsteller, wirklich schöne Stimmen beweist.
Marc Seitz glänzt als Eddie Ryan mit großer Bandbreite, kraftvoller Stimme und berührender Mimik. Alen Hodzovic zeigt den unwiderstehlichen Spieler, Trick- und Anlagebetrüger Nick Arnstein mit klarem Tenor und nuanciertem Spiel. Heinrich Schafmeister gibt als väterlicher, humorvoller Florenz Ziegfeld Junior mit solidem Gesang einen überzeugenden Gegenpart zur mütterlich besorgten Mrs. Brice, die von Marianne Larsen wunderbar glaubhaft gespielt und mit warmer Stimme gesungen wird.
Katharine Mehrling erweist sich als großartige Besetzung für Fanny Brice. Sie ist dank ihrer eher kleinen Statur unter den hochgewachsenen Ziegfeld-Girls jederzeit deutlich auszumachen, was ihrer Rollenvorgabe entspricht. Im Gegensatz zum Skript hat sie allerdings eine sehr gute Figur – sie kann aber wunderbar spielen, sie wäre hässlich. Man nimmt ihr das ab, und das ist in ihrem Fall eine hohe Kunst. Ihr großartiges komödiantisches Talent passt ideal zur Rolle. Ihre Fanny Brice ist sympathisch, eine starke, selbstständige Frau mit großem Herzen. Und genau das war Fanny Brice: eine Frau mit innerer Größe, die ihren größten Hit „My Man“ aus ganzem Herzen Nick Arnstein widmete, den sie trotz seiner Mängel innig geliebt hat.
Darf eine Frau ihren Weg selbst bestimmen und mit ihrem Verdienst die Familie über Wasser halten, ohne damit ihren Mann zu beschämen? Diese Frage stellte sich schon für Fanny Brice, und sie löste sie emanzipiert, sympathisch und selbstbewusst. Sind wir nun, rund 100 Jahre später, tatsächlich weiter im Denken? Das Musical „Funny Girl“ in der glamourösen, sehr lohnenden Inszenierung in Bad Hersfeld bringt die Zuschauer auf humorvolle Weise zum Nachdenken und ist in jedem Fall einen Besuch wert.
Text: Hildegard Wiecker