Werkgetreu inszeniert: „Jekyll & Hyde“ in Osnabrück
Bereits mehrfach hat das Theater Osnabrück erfolgreich mit dem Institut für Musik (IfM) der Hochschule Osnabrück kooperiert. Der aktuellen Musicalproduktion „Jekyll & Hyde“ kommt diese Kooperation, die erst kürzlich auch vertraglich vereinbart wurde, ebenfalls sehr zugute. Denn das bekannte Musical mit der Musik von Frank Wildhorn wird in der Hasestadt fast ausschließlich durch das Hausensemble und Musical-Studierende des IfM gestemmt – und das mit Erfolg, wie am Premierenabend zu hören und zu sehen war.
Regisseur Guillermo Amaya hat den Musicalthriller sehr werkgetreu auf die Bühne gebracht und leistet sich keinerlei Ausrutscher. Zwar zeigt seine Inszenierung dadurch nicht viel Neues, doch wird der Zuschauer auch nicht enttäuscht. Geboten wird eine spannende Story im viktorianischen London, die sehr gut gestrafft wurde, indem die Songs „Mädchen der Nacht“ und „Die Welt ist völlig irr“ sowie die dazugehörigen Szenen ersatzlos gestrichen wurden.
Andere Szenen wie beispielsweise die „Konfrontation“ spielen vor einem Gazevorhang, um anschließend dahinter den Blick auf das nächste Szenenbild freizugeben. Die gelungenste Idee ist jedoch, dass die Bühne über den Orchestergraben verlängert und die Musiker im hinteren Teil der Bühne platziert wurden. In einzelnen Szenen wie zu Beginn des Stücks oder sehr passend bei Lisas und Henrys Verlobungsfeier ist das Orchester dann auch für das Publikum sichtbar. Dass Guillermo Amaya als Regisseur ein Händchen für schöne Bilder hat, beweist er zudem bei der Umsetzung des Duetts „Nur sein Blick“: Lisa im Hause Carew links und Lucy im Bordell rechts, mittig im Hintergrund ein Salon, in dem Henry Jekyll in einem Chesterfield-Sessel sitzt und Notizen in sein Tagebuch kritzelt.
Das Bühnenbild von Gundula Martin und Alexander Heilscher wird der Inszenierung gerecht und lässt mit einfachen Mitteln das viktorianische London entstehen. Durch einen Kronleuchter, Vorhänge und Marmorsäulen entsteht das Anwesen der Familie Carew, durch kleine schwarze Tische mit kleinen Lampen, Stühle, einen roten Samtvorhang und rote Säulen entsteht das Bordell. Jekylls Labor ist detailverliebt mit allerhand wissenschaftlichen Utensilien, Flaschen sowie trockeneisdampfenden Reagenzgläsern und Retorten ausstaffiert. Sowohl im Hintergrund als auch auf dem Gazevorhang ist zudem immer wieder ein klassisches Londoner Stadtbild zu sehen: Westminster Palace mit Big Ben. Das viktorianische London spiegelt sich außerdem gelungen in den teils aufwändigen und sehr sehenswerten Kostümen von Erika Landertinger wider.
Die anspruchsvolle Titelrolle gilt als eine der schwierigsten Musicalrollen, doch Jan Friedrich Eggers liefert eine äußerst solide Leistung ab. Gesanglich begeistert er als Jekyll mit seinem lyrischen Bariton in Nummern wie „Ich muss erfahr’n“ oder „Dies ist die Stunde“, als Hyde singt er dagegen mit expressiver Stimme, stößt dabei aber teilweise an seine Grenzen. Großartig sind auch die Damen an seiner Seite: Für die Rolle der Lucy wurde Dorothea Maria Müller als Gast engagiert, die die Prostituierte sowohl verrucht als auch innerlich verletzt darstellt und hier sowohl gesanglich als auch schauspielerisch aus dem Vollen schöpft. Mit Joyce Diedrich hat kurzfristig eine junge Nachwuchsdarstellerin vom IfM die Rolle der Lisa übernommen, die mit glasklarer Stimme sowie emotional-authentischem Schauspiel auftrumpft und dieser in anderen Inszenierungen von „Jekyll & Hyde“ so oft vernachlässigten Rolle ihren ganz eigenen Stempel aufdrückt.
Der leider etwas steif und emotionslos agierende Opernchor wird glücklicherweise durch die Musicaldarsteller des IfM unterstützt, so dass vor allem Szenen wie „Fassade“ und „Mörder“ das nötige Staging (Choreografie: Morris Perry) erhalten. Und auch An-Hoon Song hat das Orchester bestens im Griff und leitet seine Musiker mit Drive durch Wildhorns teils schmalzige, aber dennoch immer wieder sehr düster klingende Partitur. Nur schmerzlich zu verkraften ist dabei allerdings der teils synthetische Klang der Musik, bedingt durch die Platzierung des Orchesters auf der Hinterbühne. Wenn es außerdem künftig noch hinzubekommen wäre, Musiker und Sänger tontechnisch so aufeinander abzustimmen, dass eine bessere Textverständlichkeit erzielt wird, kann die Osnabrücker Inszenierung von „Jekyll & Hyde“ uneingeschränkt empfohlen werden.
Text: Dominik Lapp