„Rent“ (Foto: T.Behind-Photographics)
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Konzertantes Musical im Autokino: „Rent“ in Hildesheim

Während die Theater trotz der anhaltenden Corona-Pandemie in einigen Bundesländern langsam wieder unter Auflagen öffnen, steht in Niedersachsen der Theaterbetrieb zum Teil noch still. Weil auch das Theater für Niedersachsen in Hildesheim seine Spielzeit vorzeitig beendet hat und die Premiere des Musicals „Rent“ im April nicht stattfinden konnte, wurde alternativ eine konzertante Version des Stücks an fünf Abenden unter freiem Himmel im Hildesheimer Autokino realisiert.

Doch bei der besuchten Vorstellung, die verspätet im Regen beginnt, wird schnell deutlich, welche Tücken so eine Autokino-Musicalvorstellung mit sich bringt. Die Scheiben beschlagen, der Regen auf der Frontscheibe sorgt für verschwommene Sicht. Da der Motor des Autos ausbleiben muss, helfen auch die Scheibenwischer nicht. In ihren fahrbaren Untersätzen sieht man die Zuschauer, wie sie mit Tüchern immerhin von innen gegen die beschlagenen Scheiben anzukämpfen versuchen. Mittlerweile wird es auch ziemlich warm und stickig im Auto, die Fenster dürfen nur einen Spalt geöffnet werden.

Glücklicherweise hört der Regen nach der zweiten Nummer auf, die Wolkendecke reißt auf und lässt die Sonne zum Vorschein kommen. Von der Handlung ist bei so einer konzertanten Version natürlich nicht mehr viel übrig, vielmehr ist es ein Konzert, das geboten wird – das aber auf sehr hohem Niveau. Aufgrund der aktuellen Corona-Abstandsregeln müssen auch die Darsteller auf der Bühne ausreichend Abstand zueinander halten, können so also kaum miteinander agieren und dürfen aus Hygienegründen, zum Beispiel bei Duetten, nur nach vorne singen.

Ein Bühnenbild gibt es nicht, die auf der Bühne singenden Darsteller werden lediglich von zwei Kameras eingefangen und das Bild auf die große Leinwand des Autokinos projiziert. Auf einer kleineren Bühne neben der Hauptbühne ist zudem die Band unter der Leitung von Andreas Unsicker untergebracht worden, die sich hinter einem Lastwagen versteckt, der kurzerhand vor die Bühne gefahren wurde, um die Technik vor dem Regen zu schützen.

Der Ton, sowohl von der Band als auch von den Darstellern, wird per UKW-Frequenz über das Autoradio übertragen. Und hier zeigt sich dann auch die nächste Tücke des Autokinos: Bei modernen Autos schaltet sich das Autoradio bei ausgeschalteter Zündung nach einer gewissen Zeit automatisch ab, um die Batterie zu schonen. Zwischendurch ist also immer mal wieder der Ton für ein paar Sekunden weg, bis das Autoradio wieder manuell gestartet wird.

Von der tragischen Handlung wird situationsbedingt selbstverständlich nicht so viel transportiert wie es auf einer richtigen Theaterbühne der Fall gewesen wäre. Im Fokus dieser konzertanten Fassung von „Rent“ (Inszenierung: Craig Simmons, Ausstattung: Esther Bätschmann) stehen ganz klar die genialen Songs von Jonathan Larson, denen sowohl die Band als auch die Gesangssolisten vollends gerecht werden. Kein Wunder also, dass der knackige Rocksound, der aus dem Autoradio schallt, die einen oder anderen Besucher dazu animiert, in ihren Autos abzurocken. Statt frenetischem Applaus gibt es nach jeder Nummer Begeisterungsbekundungen mittels Lichthupe.

Von den Darstellern ist insbesondere Sandra Pangl positiv hervorzuheben, die als Mimi mit ihrer starken Stimme genauso rockt wie berührt. Stimmlich harmoniert sie zudem sehr gut mit Nicolo Soller als Roger, der ebenfalls fantastisch singt und vor allem mit seiner gefühlvollen Interpretation von „Find ein Lied“ begeistert. Johannes Osenberg gibt den Dokumentarfilmer Mark mit einer bestens zu diesem Charakter passenden Zurückhaltung und einer exzellenten gesanglichen Leistung.

In der Rolle der Dragqueen Angel singt sich Nico Went schnell in die Herzen der Zuschauer. Gerald Michel bleibt als Benjamin dagegen buchbedingt etwas blass. Ein starkes Team sind jedoch Charlotte Katzer als Maureen und Elisabeth Köstner als Joanne. Die beiden Darstellerinnen ergänzen sich wunderbar als lesbisches Bühnenpaar, singen mit starken Stimmen und leben ihre Rollen geradezu. Als ein Höhepunkt erweist sich dabei ihr stimmig dargebotenes Duett „Lass mich oder verlass mich“. Dass die Rolle des Tom Collins mit Alexander Prosek und damit mit einem weißen Darsteller besetzt wurde, hat dem TfN im Vorfeld einen kleinen Shitstorm beschert – krankheitsbedingt fiel Prosek jedoch bei allen fünf Vorstellungen von „Rent“ aus, so dass die Rolle komplett gestrichen und die Gesangsparts unter den verbliebenen Akteuren aufgeteilt wurden.

Nach rund 90 Minuten endet die konzertante Version von „Rent“ und die Darsteller verbeugen sich vor den lichthupenden Autos. Für die Künstler als auch für die Zuschauer ist dieses Autokino-Experiment in Corona-Zeiten definitiv ein Gewinn. Aber trotzdem wird dabei klar, dass Theater schnellstens wieder in seiner gewohnten Form gespielt werden muss.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".