Schauspielhaus Hannover, Foto: Dominik Lapp
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Schaurig-schräg: „Shockheaded Peter“ in Hannover

Ein Elefant dominiert bei „Shockheaded Peter“ die Bühne. Aber es ist nicht „Das Dschungelbuch“, das im Schauspielhaus Hannover zu sehen ist, sondern eine irrwitzige Musicalfassung vom „Struwwelpeter“. Basierend auf dem Buch des Frankfurter Arztes und Psychiaters Heinrich Hoffmann, das zu den erfolgreichsten deutschen Kinderbüchern zählt, haben Martyn Jacques, Julian Crouch und Phelim McDermott von der Band „The Tiger Lillies“ die Kurzgeschichten für die Bühne adaptiert.

Der norwegische Regisseur Erik Ulfsby hat das Musical „Shockheaded Peter“ bereits 2013 in Oslo auf die Bühne gebracht und nun auf Einladung des hannoverschen Schauspielintendanten noch einmal in der niedersächsischen Landeshauptstadt inszeniert. Seine Inszenierung wird eröffnet durch einen riesigen Elefanten, der auf einem Elektromobil befestigt wurde. Spielort ist eine Zirkusmanege. So verwundert es auch nicht, dass der Elefant sogleich auseinandergenommen, ja, in alle seine Einzelteile zerlegt wird. Übrig bleibt nur das Elektromobil als ein sehr detailliert ausgestatteter Gipsy-Wagen, wie er bestens zum Zirkus passt. Als der Elefant später wieder zusammengebaut wird, läutet man damit das Ende des Stücks ein. Zwischen der Zerlegung und dem Zusammenbauen des Elefanten ist eine Nummernrevue zu sehen, jedoch keine zusammenhängende Handlung zu erleben.

In dem revueartigen Stück werden die Kurzgeschichten aus Hoffmanns „Struwwelpeter“ erzählt – und diese sind bekanntermaßen alles andere als niedliche Gute-Nacht-Geschichten. So liegt auch auf der Bühne des Schauspielhauses immerzu ein Nebel der Morbidität. Kein Wunder, geht es doch ums Sterben. Da verbrennt ein Mädchen, von dem nur ein Aschehäufchen und ein Paar rote Schuhe übrigbleiben. Ein Junge wird vom Sturm weggepustet, ein anderer fällt ins Wasser und ertrinkt. Dem Daumenlutscher werden die Daumen abgeschnitten und der Suppenkasper stirbt, weil er seine Suppe nicht isst.

Einen roten Faden vermisst man bei „Shockheaded Peter“, es reiht sich lediglich eine Szene an die andere. Rund 90 Minuten lang. Doch den Schauspielern gelingt es, dass das Publikum aufmerksam bleibt. Allen voran kann Hagen Oechel vollends überzeugen, wenn er seinen Zeremonienmeister immerzu herrlich diabolisch-schrill gibt und als eine Art Erzähler oder Kommentator durch die Nummern führt. Eine passable Gesangsstimme kann dagegen Günther Harder aufweisen, während sich Susana Fernandes Genebra besonders im Stepptanz verdient macht (Choreografie: Belinda Braza).

Obwohl es Regisseur Erik Ulfsby nicht gelingt, den Charakteren von „Shockheaded Peter“ Tiefe zu verleihen, ist seine Arbeit dennoch gelungen. Denn er baut einen Spannungsbogen auf, hält diesen und fügt das Ende gelungen zum Anfang. Die oberflächlichen Geschichten von Heinrich Hoffmann und die Kürze der Nummernrevue lassen freilich auch nicht viel mehr zu. In Verbindung mit den gelungenen Kostümen von Ingrid Nylander, dem Bühnenbild von Arne Nost und durch die Wandlungsfähigkeit der Schauspieler ist hier aber ein durchweg kurzweiliges Stück entstanden.

Wer normalerweise kommerzielle Shows wie die großen Musicals in Hamburg, Berlin oder Stuttgart bevorzugt, ist bei „Shockheaded Peter“ sicher nicht so gut aufgehoben. Wer allerdings Lust auf experimentelles Theater hat, sich auch einmal mehr auf Schauspiel als Schöngesang einlassen mag und in den Nebel der Morbidität eintauchen möchte, statt sich von bonbonfarbenem Glitzerflitter berieseln zu lassen, dürfte an der Musicalversion vom „Struwwelpeter“ sicher seinen Gefallen finden.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".