Abenteuerreich: „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ in Detmold
Es mag ungewöhnlich erscheinen, dass erst im 21. Jahrhundert ein Musical aus der Feder des 1950 verstorbenen Kurt Weill uraufgeführt wird. Tatsächlich ist es aber so, dass Weill in seinem Todesjahr mit dem Librettisten Maxwell Anderson an einer musiktheatralischen Adaption von Mark Twains Roman „Huckleberry Finn“ arbeitete, die für eine sehr lange Zeit unvollendet bleiben sollte. Erst im Jahr 2014 feierte das Stück „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ schließlich in Göttingen seine Uraufführung und ist jetzt in einer neuen Inszenierung von Rainer Holzapfel am Landestheater Detmold zu sehen.
In enger Abstimmung mit der Kurt-Weill-Foundation hat der Dramaturg und Schriftsteller John von Düffel das von Weill und Maxwell begonnene Musical vollendet. Dabei wurden die fünf überlieferten Songs behutsam in das Werk integriert und um weitere Melodien Kurt Weills ergänzt, die für das Musical ganz neu betextet wurden. Dabei herausgekommen ist zwar kein durchkomponiertes Musical, aber ein Schauspiel mit Musik, das sich hervorragend in die Reihe von Weills bestehenden Bühnenwerken integrieren lässt.
Ob die Handlung gerade am rauschenden Mississippi oder in einem schaurigen Höhlenlabyrinth spielt – musikalisch bietet das Stück eine gelungene Mischung aus Broadway-, Jazz- und Big-Band-Sound, ganz hervorragend dargeboten von acht Musikern unter der Leitung von David Behnke, die fast vergessen lassen, dass es sich bei diesem Bühnenwerk eigentlich um einen Flickenteppich Weill’scher Melodien handelt.
Die Handlung des Musicals orientiert sich an Mark Twains erstem Huckleberry-Finn-Band und erzählt von der ersten Liebe, Freundschaft, Abenteuerlust und Verantwortungsgefühl. Regisseur Rainer Holzapfel hat „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ stringent inszeniert und starke Rollenporträts gezeichnet. Mit Christoph Gummert in der Rolle des vorwitzigen Tom und Roman Weltzien in der Rolle des verwahrlosten Huckleberry stehen ihm dabei zwei äußerst starke Titelhelden zur Verfügung, die perfekt miteinander harmonieren. Mit sichtbarer Spielfreude, Authentizität und dem berühmt-berüchtigten Schalk im Nacken liefern die beiden Schauspieler eine Glanzleistung ab – und nebenbei hat Roman Weltzien mit seiner frechen Huckelberry-Finn-Ballade auch noch den Ohrwurm des Abends zu singen.
Als Toms Freundin Becky vermag Karoline Stegemann mit ihrer frischen Art zu überzeugen, Natascha Mamier gibt eine herrlich gluckenhafte Tante Polly und Hartmut Jonas sorgt in der Rolle des leicht grenzdebil wirkenden Sid wiederholt für Lacher, wenn er mal wieder an der Brust der Tante zu nuckeln beginnt. Einen ganz famosen Schurken gibt zudem Robert Oschmann als Indiana Joe ab, während Joachim Ruczynski nicht nur als Muff Potter, sondern vor allem als Witwe Douglas alle Register seines schauspielerischen Könnens zieht.
Unterstützt wird die starke Schauspielerriege bei „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ durch die farbenfrohe Ausstattung von Petra Mollérus, die es dem Publikum ermöglicht, sich gänzlich in der abenteuerreichen Geschichte zu verlieren. Trotz der eher spärlich ausgestatteten Szenerie und mit simplen Tricks gelingt es der Ausstatterin, auf der verbretterten, abgeschrägten Bühne ganz unterschiedliche Handlungsorte wie Hucks Holztonne, eine Schule, den Friedhof oder durch den Einsatz mehrerer Klappen und Falltüren ein großes Höhlenlabyrinth zu zaubern – bis die Geschichte um die beiden liebenswerten Titelhelden schließlich mit einem Happy-End unter anhaltendem Applaus des Premierenpublikums endet.
Text: Dominik Lapp