Gefällige Neuinszenierung: „My Fair Lady“ in Osnabrück
Die Geschichte vom Blumenmädchen Eliza Doolittle ist mittlerweile so oft inszeniert worden, dass ein Regisseur das Musical „My Fair Lady“ wahrlich nicht mehr neu erfinden kann. Und so geht auch Regisseur Marcel Keller mit seiner Inszenierung am Theater Osnabrück kein Risiko ein, wagt keine Experimente und beschränkt sich aufs Wesentliche. Das ist einerseits ernüchternd, andererseits aber durchaus publikumskonform.
Selbst beim Bühnenbild geht man bei „My Fair Lady“ in Osnabrück keine neuen Wege, nichts wird dem Zufall überlassen – der Regisseur zeichnet persönlich dafür verantwortlich und hat eine Szenerie entworfen, die perfekt zu seiner Inszenierung passt. Der Londoner Schauplatz Anfang des 20. Jahrhunderts ist dabei stilecht umgesetzt worden. Mittelpunkt des Bühnenbildes ist ein dem viktorianischen Baustil angelehntes, zweistöckiges Haus, das durch den geschickten Einsatz der Drehbühne zwischen dem einfachen, schmutzigen London des Blumenmädchens Eliza und dem snobistischen London des Phonetikers Henry Higgins hin- und herwechselt. Die Kostüme von Erika Landertinger fügen sich bestens ins Szenenbild ein, sind detailverliebt, zeit- und rollengemäß. Als einziger Ausrutscher erweist sich Elizas pinkes Ballkleid, das sich farblich zu sehr mit dem roten Haar seiner Trägerin beißt.
Dem Auge wird also viel geboten. Und das ist auch gut so, hinsichtlich der manchmal doch recht zähen Handlung, die schon nach dem ersten Akt so gut wie erzählt ist und im zweiten Akt nur noch unnötig aufgebauscht wird. Aber wie dem auch sei: allein aufgrund der exzellenten Künstlerriege lohnt sich ein Besuch. Angeführt wird diese von Jan Friedrich Eggers, der am Osnabrücker Theater schon in der Titelrolle in „Jekyll & Hyde“ glänzte, als Regisseur eine starke Inszenierung von „Thrill me“ verantwortete und jetzt kongenial den Henry Higgins gibt und dabei alle Register bedient. Sein Higgins ist zornig, launisch, rasend, streng – ein richtiger Kotzbrocken, für dessen Darstellung Eggers vom Publikum völlig zu Recht gefeiert wird.
Erika Simons gibt die Eliza Doolittle als aufmüpfige, rotzfreche Göre mit Berliner Kodderschnauze, vollzieht die Wandlung vom asozialen Gossenkind zur feinen Dame mit Bravour und überzeugt stimmlich mit ihrem klassisch geprägten Sopran. Doch auch Thomas Cermak vermag das Publikum als Oberst Pickering für sich zu vereinnahmen und sorgt mit seiner Mimik, Gestik und perfektem Timing für zahlreiche Lacher. Als herrlich naiver Freddy Eynsford-Hill schmachtet Daniel Wagner vor Elizas Haustür und intoniert sein Solo mit vor Liebe glühender Stimme, während Genadijus Bergorulko als Schnapsdrossel Alfred P. Doolittle „mit nem kleen Stückchen Glück“ großartig herumpoltert, Christina Rohde die Haushälterin Mrs. Pearce sehr witzig spielt und Heike Hollenberg als Mrs. Higgins einen tollen Gegenpart zu Henry Higgins gibt.
Leider völlig unterfordert sind die Musicalstudenten vom Institut für Musik der Hochschule Osnabrück, die lediglich die Ensembleszenen komplettieren, aber weder vom Spiel noch von der Choreografie her gefordert sind. Hier hat Choreograf Günther Grollitsch ganz offensichtlich eine Menge Potenzial verschenkt, der treuherzigen Inszenierung von Marcel Keller noch etwas Pfiff zu verleihen. Doch das macht An-Hoon Song im Orchestergraben wieder wett, der am Pult einmal mehr unter Beweis stellt, dass er der richtige Mann fürs Musical am Osnabrücker Theater ist. Mit flottem Dirigat führt er sein Symphonieorchester, das die weltbekannten Gassenhauer perfekt intoniert. Und so erweist sich „My Fair Lady“ in Osnabrück insgesamt als durchaus gelungen, wenn auch etwas altbacken.
Text: Dominik Lapp