Überraschend vielschichtig: „Natürlich Blond“ in Osnabrück
Lässige Outfits, poppige Farben und coole Dance Moves: Sobald die Delta Nu im Haus der Jugend in Osnabrück die Bühne stürmen, fühlt man sich wie in einen Videoclip der Spice Girls aus den 90ern versetzt. Der Vergleich ist naheliegend, denn in der Inszenierung von „Natürlich Blond“ des Musical-Amateurprojekts (map) geht es vor allem um eines: Girlpower.
Elle Woods interessiert sich auf den ersten Blick nur für Mode und Make-up. Als ihr Freund Warner Huntington III. sie verlässt, weil er etwas Ernsteres sucht, beschließt sie, wie er Jura in Harvard zu studieren. Mit viel Ehrgeiz und der Hilfe ihrer Freundinnen von Delta Nu besteht sie tatsächlich die Aufnahmeprüfung. Trotz anfänglicher Vorurteile ihrer Mitstudierenden gelingt es ihr später doch, deren Anerkennung zu gewinnen, als sie in einem Mordprozess den entscheidenden Hinweis gibt.
Besonders im ersten Teil wartet das Musical mit Situationskomik und Wortwitz auf, wenn Elle zum Beispiel statt einer seriösen Studienbewerbung ihre Sedcard einreicht, ihre Freundinnen entsetzt sind, dass sie wegen ihres Liebeskummers jetzt schon Milky Way isst, Elle sich bei Paulette bedankt, dass sie ihr in ihrer „dunkelhaarigsten Stunde“ zur Seite gestanden hat oder sie Viviennes nicht vorhandenes Kostüm auf der Party als „Vorjahreswinterschlussverkauf“ bezeichnet. Wer sich in einer pink-glitzernden Barbiewelt wiederzufinden glaubt, stellt jedoch bald fest, dass das Stück mehr zu bieten hat. Denn alle, die Elle nur nach ihrem Äußeren beurteilen und sie für ein stupides Blondchen halten, werden eines Besseren belehrt.
Das Bühnenbild besticht durch die Variabilität zweier großer, verschiebbarer Gerüstelemente mit ausklappbaren Flügeltüren. Während die Vorderseite dank unterschiedlicher Einrichtungsgegenstände sowohl als Elles Zimmer, Friseursalon oder Kaufhaus (sogar die Kleider sind farblich sortiert) dient, ist die Rückseite mit bemalten Leinwänden bespannt und präsentiert die äußere Fassade der Harvard University (Bühnenbild: Anna-Lena Handt, Dennis Brause). Doch auch andere Settings sind fantasievoll dargestellt. So findet Elles und Warners Rendezvous in einer romantischen, von Lichterketten umrahmten Laube statt. Als i-Tüpfelchen rundet ein live auf der Bühne gespieltes Geigenständchen (Violine: Elin Schmidt)für die anwesenden Liebespaare die Szene ab.
Sämtliche Kostümteile, beginnend bei den Cheerleader-Outfits der Delta Nu über die den jeweiligen Charakteren angepassten Klamotten der Studierenden bis hin zur Dienstkleidung des UPS-Zustellers, erscheinen authentisch. Besonders aufwendig wirken Elles Kostüme wie das rosafarbene Paillettenkleid, das sie zum Date mit Warner trägt, die pinkfarbene Paradeuniform oder ihre Verkleidung als Playboy Bunny. Originell sind zudem die im Schwarzlicht neonfarben leuchtenden Sportoutfits und -accessoires in Brookes Fitnesskurs (Kostümdesign: Paula Römer, Stella Ruhe).
Die abwechslungsreiche, oft fetzige und poplastige Musik geht sowohl ins Ohr als auch in die Beine: schöne Streichermelodien lösen groovende Beats und funkige Bläserkicks ab. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass die Darstellerinnen und Darsteller von einer Live-Band aus Musikstudierenden der Uni Osnabrück (Musikalische Leitung: Jörg Niedderer) begleitet werden.
Einzige studierte Sängerin (Jazz-/Popgesang) im Ensemble ist Farina Ruhe. Ihre Elle Woods wirkt weniger überzogen und künstlich als in der Verfilmung von „Natürlich Blond“, was ihre innere Wandlung glaubhafter macht. Unabhängig von Warner erkennt sie ihren eigenen Wert und wie wichtig es ist, sich selbst treu zu bleiben. Ihre angenehme Stimme trägt sie mühelos auch durch lange Passagen wie im Song „Was du willst“, der zwischen Partystimmung und Lernatmosphäre wechselt und mehrfach durch Sprechszenen unterbrochen wird.
An ihrer Seite gewinnt Emmett Forrest, ein junger Anwalt aus Professor Callahans Kanzlei, an Bedeutung: Während er im Film zunächst eher ihr Mentor ist, wird er im Musical zu ihrem besten Freund und noch mehr. Carsten Kotzte stellt ihn als gutmütigen, bodenständigen, fleißigen und selbstlosen Kameraden dar, der sein Studium durch zwei Nebenjobs finanziert hat und nur deshalb in der Kanzlei aufsteigen will, damit er seiner Mutter ein Haus kaufen kann. Sein Emmett ist unvoreingenommen und glaubt an das Gute im Menschen, deshalb ist es auch er, der Elle trotz aller Rückschläge immer wieder dazu aufmuntert, nicht aufzugeben.
Auch Paulette Buonufonté aus dem Friseursalon wird zu Elles guter Freundin. Zunächst wenig selbstbewusst wirkt sie, von Paula Römer gut dargestellt, durch ihre leicht ungeschickte Art und ihren chaotischen Kleidungsstil etwas sonderbar – eine Außenseiterin wie Elle. Mit besonderer Altstimme singt sie über ihren großen Traum von Irland, von dem ihr nur eine Enya-CD geblieben ist.
Marc Latos stellt Elles Ex-Freund Warner Huntington III. überzeugend als nur auf den eigenen Vorteil bedachten, rationalen Schnösel dar. Nachdem er Elle mit seinem Song „Zeit für was Ernsteres“ verletzt hat, bestellt er nur schulterzuckend die Rechnung, statt ihr nachzulaufen. Prestige geht ihm über alles und im Grunde ist er der Oberflächliche, der zu spät die wahren Stärken der Blondine erkennt.
Katharina Hannig gibt Warners neue Verlobte Vivienne Kensington als stets perfekte, klassisch-akkurat gekleidete und verbissene Studentin, die alles dafür tun würde, ihre Ziele zu erreichen. Ihre Meinung vertritt sie sehr deutlich und mit klarer Stimme. Elle gegenüber verhält sie sich zunächst gehässig und abschätzig. Nachdem sie sie zu Beginn im Seminar vor allen bloßgestellt hat, ist sie es aber später, die ihre Kommilitonin dazu ermutigt, ihr Studium nicht abzubrechen und an sich selbst zu glauben.
Jan Kaltermann verhält sich als Professor Callahan seinen Studierenden gegenüber sachlich-ignorant und autoritär, manchmal auch herablassend und sogar diskriminierend. Aus diesem Grund wird er einerseits gefürchtet, andererseits reißen sich alle um ein Praktikum in seiner Kanzlei. Als bekannt wird, dass er Elle belästigt und nur ihres Aussehens wegen eingestellt hat (diese Szene hätte etwas deutlicher dargestellt werden können), verliert er den Respekt seiner Studierenden und gleichzeitig die Sympathien des Publikums, zeigt selbst aber wenig Einsicht.
Alina Sophie Peters spielt die des Mordes angeklagte berühmte Fitnesstrainerin Brooke Wyndham, die es durch harte Disziplin zu Erfolg gebracht hat und sich diesen durch nichts nehmen lassen will, entschlossen und mit dem richtigen Maß an Temperament, das die Rolle verlangt. Wie es ihr gelingt, beim Song „Peitsch‘ dich in Form“ trotz Fitnessübungen und Rope Skipping noch die Töne zu treffen, ist bewundernswert (Gesangscoaching: Marion Gutzeit).
Energiegeladen sind vor allem die Ensemblenummern der Delta Nu wie „Was du willst“, „Positiv“ oder der Titeltrack „Natürlich Blond“, die durch mitreißende Choreografien beeindrucken und zum Mitmachen animieren, so dass es einen kaum auf dem Sitz hält (Choreografie: Mareike Dieluweit). Oft sind es kleine Details, die auffallen. So formen die Cheerleader am Ende einer Tanzszene den griechischen Buchstaben Delta wie im Namen ihrer Verbindung, die Studierenden nicken brav im Takt zu den Worten ihres Professors bei „Blut in den Kiemen“ und zum Finale werfen alle am Ende der Choreografie ihre Doktorhüte in die Luft.
Toll ist auch, dass der Zuschauerraum mehrfach vom Ensemble bespielt und das Publikum so direkt mit einbezogen wird (Regie: Anna-Lena Handt). Als quirlig-buntes Freundinnen-Trio und Leading Pack der Delta Nu überzeugen außerdem Johanna Schulte-Hillen als Delta Pilar, Lisa Tabeling als Delta Serena und besonders Katharina Magiera als Delta Margot. Einige Szenen kommentieren sie auch als ganz in Weiß gekleideter, eigentlich nur in Elles Vorstellung existierender Chor der antiken griechischen Tragödie – eine witzige Idee.
Gleich vier verschiedene Rollen im Stück spielt Max Overberg. Der Showstopper schlechthin ist aber sein Auftritt als UPS-Paketzusteller Kyle, wenn er zu einem musikalischen Motiv, das an Salt’n’Pepas und En Vogues „Whatta Man“ erinnert, in Bodybuilder-Manier durchs Publikum stapft. Nicht zu vergessen: die beiden Publikumslieblinge Brutus und Rufus, Elles und Paulettes Hunde – hier tatsächlich durch echte Vierbeiner dargestellt – die während ihrer kurzen Auftritte trotz Szenenapplaus erstaunlich ruhig bleiben.
Insgesamt ist das Resultat der einjährigen Probenzeit unter professioneller Anleitung beachtlich. Schauspielerische oder gesangliche Schwächen der Laiendarstellerinnen und -darsteller fallen kaum ins Gewicht oder werden an anderer Stelle durch Leidenschaft, Energie und Spielfreude wieder wettgemacht, so dass man hier eher von einer semiprofessionellen als von einer Amateuraufführung sprechen kann.
„Natürlich Blond“ ist definitiv nicht das, was man erwartet – im Gegenteil wird man positiv überrascht, wie vielschichtig das Stück ist. Der erste Eindruck, den man als Zuschauer vom Musical gewinnt, wandelt sich ebenso wie das vorgefasste Bild, das Elles Studienkolleginnen und -kollegen von ihr haben. Nicht nur die Handlung erfährt im zweiten Teil eine Wendung von einer enttäuschten Liebesgeschichte hin zu einem spannenden Kriminalfall, sondern auch sämtliche Charaktere machen eine Entwicklung durch. Klar hat dieses Musical einen hohen Unterhaltungswert, aber es behandelt darüber hinaus wichtige Themen wie Zusammenhalt und Freundschaft, Emanzipation und Selbstvertrauen. Wer sich selbst davon überzeugen und von der guten Laune anstecken lassen möchte, kommt in dieser insgesamt wirklich guten Umsetzung des Musicals voll auf seine Kosten!
Text: Yvonne Drescher