Musikalisch pulsierend: „Nixon in China“ in Hannover
Im Jahr 1972 fand der erste Staatsbesuch eines US-Präsidenten in China statt. Richard Nixon wurde dabei von Henry Kissinger begleitet. Es war eine unruhige Zeit inmitten des Kalten Kriegs und des Vietnamkriegs. Der Komponist John Adams und die Librettistin Alice Goodman haben mit „Nixon in China“ aus diesem Staatsbesuch eine Oper gemacht, die 1987 in Houston uraufgeführt wurde und jetzt an der Staatsoper Hannover in einer eindrücklichen Inszenierung von Daniel Kramer zu sehen ist.
Vor dem Hintergrund von Russlands Einmarsch in die Ukraine und des wachsenden Nationalismus in vielen Ländern ist das Werk so aktuell wie nie. So hat Kramers Inszenierung wenig zu tun mit der Realität des Jahres 1972, wenn man einmal von den zeitgemäßen Kostümen von Esther Bialas absieht, sondern sucht vielmehr nach Bezügen zur heutigen Realität. Dabei legt der Regisseur den Fokus auf den komödiantisch-absurden Charakter der Oper. Er lässt Mao und Nixon nicht als positive Helden auftreten, sondern zeigt beispielsweise, wie sie ein gemeinsames Bad nehmen.
Die knallgrüne Farbe lässt das Bühnenbild von Lizzie Clachan wie die Greenscreen eines Fernsehstudios erscheinen, so dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Durch den Einsatz der Drehbühne entstehen immer neue Szenerien in dem von Scheinwerfern gesäumten Studio. Das Publikum hat so immer zwei Seiten vor Augen: Das, was die Medien vom Staatsbesuch übertragen, und die privaten Momente der Menschen dahinter. Die aufgezeichnete und die tatsächliche Realität gleiten über in theatrale Fiktion: im Flugzeug vor der Landung, im Hotelzimmer, in Maos Wohnung, beim Bankett, an der Bar im Morgengrauen.
John Adams verwendet verschiedene musikalische Mittel, um die moderne Heldenerzählung als täuschend zu entlarven. In seiner Oper überhöht und bricht er die historischen Elemente der Handlung und bringt seine Figuren in melodramatische Stimmungen sowie tragische Selbstzweifel. Dabei treffen nicht nur zwei sehr unterschiedliche Kulturen aufeinander, sondern auch zwei jahrzehntelang verfeindete System. Es sind nicht nur machtbesessene Staatslenker, sondern auch Ehepaare, die sich begegnen – und dabei mit sich selbst konfrontiert werden.
Dafür hat der Komponist ein einzigartige Klangsprache entwickelt – er kombiniert den Sound von Big Band und Broadway mit Minimal Music und verwendet dabei farbenfrohe Orchestrierungen. Adams schwelgt in Melodien, die sowohl europäische Klassik als auch Einflüsse aus Beatles-Songs, glamourösen Hollywood-Fanfaren, Jazz, Blues und Rock integrieren. Manchmal klingt die Musik sogar so unüberhörbar pulsierend wie ein Soundtrack von Hans Zimmer oder John Williams, was diese Oper akustisch äußerst spannend macht. Das Niedersächsische Staatsorchester unter der präzisen Leitung von Daniel Carter wird dieser Vielfalt in der Partitur jedenfalls mehr als gerecht, setzt viele musikalische Glanzpunkte und sorgt für pure Klang-Sinnlichkeit.
Eine große Rolle spielt bei „Nixon in China“ der Chor, der das chinesische Volk repräsentiert und von Lorenzo Da Rio wieder einmal exzellent einstudiert wurde. Doch auch die Solistinnen und Solisten können durchweg überzeugen: Mark Stone zeichnet als Nixon stimmlich wie schauspielerisch ein starkes Bild, Daniel Norman stattet Mao mit klangschöner Tenorstimme aus und Michael Kupfer-Radecky mimt einen vielschichtigen Kissinger, während Darwin Prakash einen präsenten Premierminister Chou En-lai darstellt. Eliza Boom verleiht der First Lady schöne lyrische Momente und Mercedes Arcuri ist eine in den Koloraturen aus dem Vollen schöpfende Mao-Gattin Chiang Ch’ing. Ganz wunderbar singt außerdem das Sekretärinnen-Trio (Beatriz Miranda, Freya Müller, Milana Butaeva). Das kleine Tanzensemble aus Neve Arbel, Ginevra Ferraris, Laura Nicole Viganò und Luigi Sardone (Choreografie: Xenia Wiest) erweist sich last but not least als das i-Tüpfelchen dieser insgesamt wirklich mitreißenden und musikalisch geradezu pulsierenden Oper.
Text: Dominik Lapp