Stimmige Neuinterpretation: „Odysseus‘ Heimkehr“ in Bielefeld
Am Theater Bielefeld kehrt Odysseus heim. Die neu entwickelte Oper „Odysseus’ Heimkehr“ setzt sich musikalisch und dramaturgisch sehr frei mit Claudio Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“ auseinander. Die fragmentarische vorletzte Opernpartitur Monteverdis aus dem Jahr 1640 lässt viel Interpretationsraum, der von Komponist Sebastian Schwab und Regisseur Wolfgang Nägele exzellent gefüllt wurde.
Das ausufernde Werk Monteverdis wurde um viele Nebenfiguren und Nebenhandlungen gekürzt, der Fokus der Handlung dafür stärker auf den psychologischen Aspekt des Kriegsheimkehrers und die Familienzusammenführung von Oysseus, seiner Frau Penelope und seinem Sohn Telemaco gelegt. In der Inszenierung von Wolfgang Nägele dreht sich somit alles um die Kernfamilie und die dramaturgische Zuspitzung der Charaktere.
Musikalisch stellt sich Sebastian Schwab nie über Monteverdi. So hat Schwab zwar seinen eigenen Klang gefunden, lässt jedoch immer wieder Monteverdi einfließen und bewahrt ihn im Kern und seiner Aura. Zu jeder Zeit exzellent intonieren die Bielefelder Philharmoniker unter der Leitung von Gregor Rot diesen Musikmix von Schwab und Monteverdi, der auch einen originären Song von Sebastian Schwab beinhaltet, eine Vertonung des Petrarca-Gedichts „Amor mi manda“ für die Rolle der Penelope.
Ohnehin kommt Penelope in „Odysseus‘ Heimkehr“ eine größere Bedeutung zu. Während sie bei Monteverdi die Wartende und Leidende ist und dadurch eher passiv wirkt, hat man Odysseus nun eine starke Figur gegenübergestellt, die vielleicht noch stärker ist als er selbst. Im sehr formalen Renaissance-Konstrukt bildet Penelope jetzt einen anarchischen Gegenpol, was sich als äußerst spannend erweist. Auch, weil man die Rolle nicht mit einer Opernsängerin, sondern mit einer Schauspielerin besetzt hat. Auch, weil dem Libretto-Text zeitgenössische Prosa gegenübergestellt wurde.
Regisseur Wolfgang Nägele hat die Handlung in den frühen 1950er Jahren angesiedelt, was angesichts von Kriegsheimkehrern und Familienzusammenführungen ideal passt. Denn damals waren es die Väter und Großväter, die aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrten und mit den damit verbundenen Konflikten des Traumas und der Wiederkehr zu kämpfen hatten. Bühnenbild und Kostüme von Okarina Peter und Timo Dentler spiegeln ebenfalls diese Zeit wider. Dabei steht auf der Drehbühne eine Wendeltreppe im Fokus, die von wenigen Möbeln und einer halbrunden Wand umgeben ist.
Aus der Riege der Solistinnen und Solisten sticht vor allem Christina Huckle als Penelope heraus. Ihr gelingt es mit starker Ausstrahlung, das authentische Porträt einer Frau zu zeichnen, die 20 Jahre den Königshof verwaltet und auf ihren Mann gewartet hat, obwohl sie ihn gar nicht mehr braucht. Gesanglich hervorragende Leistungen bringen zudem Evgueniy Alexiev als Odysseus und Veronika Lee als Telemaco. Als die um Penelope und den Königsthron buhlenden Freier agieren Cornelie Isenbürger, Nohad Becker, Lorin Wey, Frank Dolphin Wong und Moon Soo Park ebenfalls sehr gut.
Am Ende funktioniert die Ehe zwischen Penelope und Odysseus nicht mehr, weil er, der König, nach 20-jähriger Abwesenheit zurück will in patriarchale Strukturen. Wie es weitergeht und was sich für das Paar aus der Wiederbegegnung entwickelt, lassen Komponist und Regisseur jedoch bewusst offen und die Vorstellung endet unter lang anhaltendem Applaus.
Text: Dominik Lapp