In fünf Etappen: „Öl der Erde“ in Osnabrück
Wie kann ein Rohstoff das ganze Leben verändern? Wie kann Öl, das schwarze Gold, ganze Gebiete, ganze Völker, ganze Gruppen von Menschen in einen Lebensstrudel hineinziehen? Dieser Frage geht die Dramatikerin Ella Hickson in ihrem Schauspiel „Öl der Erde“ nach, liefert aber nur eine unzureichende Antwort. Die Handlung stellt vielmehr eine Mutter-Tochter-Konstellation auf ihrem Weg durch verschiedene Länder und gesellschaftliche Wendepunkte in den Mittelpunkt. Das alles beleuchtet Regisseurin Julia Prechsl in ihrer Inszenierung am Theater Osnabrück.
Es ist eine Art Science-Fiction-Story, denn Mutter May (Sascha Maria Icks) und Tochter Amy (Otiti Engelhardt) durchleben einen Zeitraum von rund 160 Jahren. Anna Brandstätter hat dazu ein Bühnenbild geschaffen, in dessen Zentrum wir eine hügelige Landschaft sehen, die durch das entsprechende Lichtdesign mal die Hügel von Cornwall und mal Dünen einer Wüste darstellen. Dominiert wird das alles von ölschwarz schimmernden Stoffbahnen, die sich heben und senken, so immer wieder neue Szenenbilder entstehen lassen. Vor allem aber schweben sie wie ein Damoklesschwert über dem Geschehen.
Die lange Zeitspanne der politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen und die darin oder damit verwobenen persönlichen, menschlichen Geschichten, Lebensentwürfe und Schicksale sind das Interessante an „Öl der Erde“. Alles beginnt im Jahr 1889 in Cornwall, als William Whitcombe (Thomas Kienast) die erste Kerosin-Lampe auf den Hof der Familie Singer bringt. Es mangelt an Nahrung, Wärme und an Zukunftsaussichten, als plötzlich ein – im wahrsten Sinne des Wortes – Lichtblick erscheint. Das Erdöl und die damit zusammenhängende, aufblühende Industrie scheinen der Ausweg zu sein: Der Beginn eines neuen Zeitalters.
Nach der ersten der fünfteiligen Etappe geht es in vier Schlaglichtern weiter – zunächst ins Persien des Jahres 1908, wo May in Teheran als Kellnerin arbeitet und Zeugin wird, wie die britische Regierung, um den bedeutendsten Rohstoff des Landes auszubeuten, vor politischer Einflussnahme nicht zurückschreckt. Es geht weiter ins London des Jahres 1970 und über den Irak im Jahr 2021 zurück in ein futuristisches Cornwall, wo man mittlerweile das Jahr 2050 schreibt und das Ende des Ölzeitalters gekommen ist – ein Verlust, der die westliche Welt schwer beschädigt hat.
Erzählt wird die Geschichte durch ein zehnköpfiges, sehr gut miteinander agierendes Ensemble. Daraus stechen insbesondere Stefan Haschke in gleich drei Rollen sowie Thomas Kienast als William Whitcombe positiv hervor. Schauspielerisch stark sind zudem Sascha Maria Icks als May und Otiti Engelhardt als Amy. Engelhardt vollzieht eine wunderbare Charakterentwicklung, wenn sie zunächst das ungeduldige Kind, später die rebellierende Teenagerin und zuletzt das Gegenstück zu ihrer zur Ölkonzern-Chefin aufgestiegenen Mutter darstellt.
Doch auch Icks überzeugt und spielt furios. So befindet sich ihre May anfangs noch in der kompletten Abhängigkeit inmitten patriarchaler Strukturen. Mit fortschreitender Zeit ergeben sich dann neue Handlungsräume und May entscheidet sich gegen die Liebe und für die Macht – sie geht weg und riskiert viel, wird letztendlich zum Aggressor.
Schauspielerisch ist „Öl der Erde“ am Theater Osnabrück also sicher ein Gewinn. Was jedoch weder Autorin Ella Hickson noch Regisseurin Julia Prechsl gelingt, ist, die rund 160 Jahre umfassende Handlung dramaturgisch so zu verdichten, dass ein Spannungsbogen entsteht und bis zum Schluss gehalten wird. Vor allem gerät das im Titel angepriesene Öl-Thema durch die Mutter-Tochter-Konstellation immer wieder in den Hintergrund. In Erinnerung gerufen wird es uns immerhin noch einmal durch eine intensive Schlussszene, in der William Whitcombe und May wie besessen miteinander tanzen, sich leidenschaftlich küssen, um sich schließlich wieder voneinander abzuwenden – mit ölverschmierten Lippen.
Text: Dominik Lapp