Authentisch und pur: „Once“ auf Tour
Kein Vorhang, nur eine leere Bühne sieht das Publikum. Bereits während Menschen in den Saal strömen, versammeln sich erste Personen auf der Bühne, greifen zu ihren Instrumenten, spielen irische Musik. Schnell wird klar: dieses Musical ist anders, es ist so… pur!? Den Independent-Film „Once“ aus dem Jahr 2006, der 2012 für die Musicalbühne adaptiert wurde, hat Gil Mehmert 2021 für die Hamburger Kammerspiele inszeniert – jetzt ist diese sehenswerte Produktion auf Tour und verzaubert ihr Publikum an den Gastspielorten wie zuvor in der Hansestadt.
Während man sich in immer mehr Musicals das Orchester spart, setzt man bei „Once“ glücklicherweise auf Livemusik – und spart sich die Musikerinnen und Musiker trotzdem. Denn hier spielen die Darstellerinnen und Darsteller alle Instrumente selbst. Was ungewöhnlich klingen mag, funktioniert auf der Bühne aber ganz fantastisch. Fast so wie ein Konzert mit begleitendem Schauspiel.
Regisseur Gil Mehmert verleiht seiner Inszenierung dadurch viel Authentizität. Keine der auf der Bühne agierenden Personen tut nur so, als würde sie ein Instrument spielen. Nein, sie alle spielen wirklich. Und singen. Und leben ihre Rollen. In einer gelungenen Mixtur wechseln sich humorvolle Szenen mit ans Herz gehenden Songs ab, dargeboten von einem achtköpfigen Ensemble, das mit Spaß und Leidenschaft Musik und Schauspiel fließend aufeinander folgen lässt.
„Once“ mit der Musik und den Songtexten von Glen Hansard und Markéta Irglová und dem Buch von Enda Walsh handelt von einer besonderen Verbindung zwischen zwei jungen Menschen in Dublin. Da ist einerseits dieser namenlose Typ, ein Straßenmusiker, der im Laden seines Vaters Staubsauger repariert. Andererseits gibt es das namenlose Mädchen aus Tschechien, das sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält und ebenfalls die Musik liebt. Nach einer zufälligen Begegnung wollen sie mit einer zusammengewürfelten Band den Soundtrack für ihr Leben aufnehmen und lernen einander in kürzester Zeit kennen.
Mehmert erzählt diese Geschichte genauso unprätentiös wie befreiend, ergreifend und humorvoll. Dafür hat Ricarda Lutz ein einfaches, aber cleveres Bühnenbild geschaffen: Ein schwarzer Kasten mit Fenster dient mal als Kneipe, mal als Musikladen, Tonstudio oder einfach als Instrumentenwand. Um die saftigen Wiesen Irlands darzustellen, genügt eine grüne Plane, die auf der Bühne ausgebreitet wird. Mit nur wenigen Handgriffen und Requisiten entstehen so in Sekundenschnelle immer neue Schauplätze. Wie das Set, sind auch die Kostüme (ebenfalls von Ricarda Lutz) einfach, aber den Rollen entsprechend sowie in Farbe und Stil an denen des Films angelehnt. Das Lichtdesign von Michael Grundner tut sein Übriges, um immerzu die richtige Stimmung zu erzeugen.
Die richtige Stimmung erzeugt außerdem das durchweg fabelhafte Ensemble. Eiko Keller nimmt sich in der Darstellung des Typen, der von seiner großen Liebe verlassen wurde, angenehm zurück. Gesanglich beherrscht er die gefühlsbetonten und leisen Töne sehr gut, wenn er sich dazu selbst auf der Gitarre begleitet. Ihm zur Seite steht mit Lina Gerlitz eine wahre Offenbarung als Mädchen. Sie zeichnet das authentische Bild einer selbstbewussten und doch zerbrechlichen jungen Frau und Pianistin, versteht es dabei, die innere Zerrissenheit ihres Charakters zu visualisieren. Gerlitz spielt wunderbar Klavier, singt sich die Seele aus dem Leib und hat ihre Figur und deren tschechischen Akzent vollkommen verinnerlicht. Der Besuch von „Once“ lohnt sich allein deshalb, um Lina Gerlitz erleben zu können.
Einen starken Eindruck hinterlässt außerdem Sophia Riedl, die als Reza nicht nur überzeugend eine genauso lustvolle wie emanzipierte Tschechin, sondern auch exzellent Violine spielt. Schauspielerisch und an Gitarre, Cello sowie Banjo glänzt weiter Stephan Möller-Titel als Pa und Banker, in der Rolle des Billy steht ihm Valentin Mirow (Gitarre, Drums) in nichts nach. Große Wandlungsfähigkeit beweist zudem Kristin Riegelsberger (u. a. Violine), wenn sie ihre Rollen zwischen Baruska, MC und Tonmeister wechselt. Ebenso großartig spielen und musizieren Jonathan Wolters (u. a. Tin Whistle, Akkordeon) als Svec und Timo Riegelsberger (u. a. Bass, Mandoline) als Andrej. Darüber hinaus setzen sie alle eine sehr feine Choreografie von Bart de Clercq um. Und zum Schluss? Nicht das große Happy End, aber riesiger Jubel und stehende Ovationen für diese poetisch-melancholische Story, die von Sabine Ruflair (Songtexte) und Gil Mehmert (Dialoge) hervorragend übersetzt wurde. Gänsehaut-Garantie!
Text: Dominik Lapp