Aufruhr im Gemüsebeet: „König Karotte“ in Hannover
In der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover gibt’s einen Aufruhr im Gemüsebeet. Denn in seiner letzten Spielzeit ist Staatsopernintendant Michael Klügl das Wagnis eingegangen und hat Jacques Offenbachs recht unbekannte Operette „Le Roi Carotte“ auf den Spielplan gesetzt. Für die deutsche Erstaufführung von „König Karotte“ hat Klügl, der jetzt 13 Jahre Opernchef in Hannover war, mit Matthias Davids einen Regisseur verpflichtet, der als Spezialist für Musicals und Operetten seit vielen Jahren regelmäßig an der Staatsoper Hannover inszeniert.
Mit der Uraufführung von „König Karotte“ 1872 in Paris gelang Offenbach ein riesiger Erfolg. Innerhalb von nur sechs Monaten wurden 193 Vorstellungen des Stücks gegeben, für das Victorien Sarou das Libretto verfasste. Es folgten Produktionen in London und Wien, bevor das Werk für fast 150 Jahre nahezu in Vergessenheit geriet. Die Pariser Uraufführungsproduktion war so teuer, dass sie bis zur letzten Vorstellung die Produktionskosten trotz ausverkaufter Vorstellungen nicht einspielen konnte. Und auch an der Staatsoper Hannover hat „König Karotte“ das Budget sicher stark belastet, denn Regisseur Matthias Davids feiert mit Mathias Fischer-Dieskau (Bühne) und Susanne Hubrich (Kostüme) eine wahre Ausstattungsorgie. Hier wurde nicht gekleckert, sondern ordentlich geklotzt!
Davids zeigt eine einzigartige Verbindung aus märchenhaftem Zaubertheater und komödiantischer Opéra bouffe. In 19 Bildern in vier Akten erlebt das Publikum ausladende Szenenbilder, aufwändige Kostüme, Hexen, Zauberer, lebendiges Gemüse und singende Tiere. Doch eine Parabel von tieferer Bedeutung verbirgt sich hinter dem Märchen, das die Geschichte von Prinz Fridolin XXIV. erzählt, dem eine Zeit der Prüfung und Entbehrung Maß und Demut lehren soll, während König Karotte und sein Gefolge aus Radieschen, Rüben und Roten Beten die Macht übernimmt. Genauso witzig wie satirisch und ironisch erzählt der Regisseur diese Geschichte in Form eines temporeichen Comicstrips, der von Kati Farkas – für eine Operette wohl eher überraschend – flott choreografiert wurde, was dem perfekt singenden Chor (Einstudierung: Lorenzo Da Rio) einiges mehr abverlangt, als nur Staffage in den Massenszenen zu sein.
Mathias Fischer-Dieskau hat dazu eine unglaublich wandlungsfähige Bühne entworfen, bei der Schlosskulissen und das antike Pompeji entstehen, aus dem Boden sprießendes Gemüse lebendig wird und insgesamt eine große Märchenwelt auf der Opernbühne wächst, die durch die detailverliebten und sich durch mehrere Epochen ziehenden Kostüme von Susanne Hubrich sehr gut ergänzt werden. Insbesondere bei den Sängern, die das lebendige Gemüse darstellen, haben Kostümbildnerin und Maskenabteilung eine echte Glanzleistung vollbracht.
Alle eingesetzten Sänger beherrschen eine Mischung aus gut gesprochenen Dialogen, raschem Parlando und sachte gleitenden Gesangslinien. Insbesondere Sung-Keun Park begeistert als König Karotte stimmlich wie darstellerisch, wohingegen Eric Laporte als Fridolin exzellent den heldenhaften Prinzen mimt. Athanasia Zöhrer gibt eine herzergreifende Rosée-du-Soir, während Anke Briegel als Prinzessin Kunigunde einen herrlichen Lady-Gaga-Verschnitt abgibt und Daniel Drewes als Zauberer Quiribibi und Hexe Kalebasse eine starke Karikatur klassischer Disney-Bösewichte gelingt.
Das Niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Valtteri Rauhalammi bietet die Musik von Jacques Offenbach temporeich und temperamentvoll dar. So gelingt dem Orchester ein musikalischer Ritt, dem zwar die großen Ohrwürmer fehlen, der dem Publikum aber trotzdem große Freude bereitet. „König Karotte“ ist in der Inszenierung von Matthias Davids somit eine durchweg geniale Operettenproduktion, die man in solch einer Brillanz nicht alltäglich zu sehen bekommt. Wem beispielsweise auch Davids’ Inszenierung der „West Side Story“ an der Staatsoper Hannover gefallen hat, sollte „König Karotte“ erst recht nicht verpassen!
Text: Matilda Falke