„Die Päpstin“ in Fulda (Foto: Christian Tech)
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Starkes neues Gewand: „Die Päpstin“ in Fulda

Seit der Uraufführung 2011 gehört das Musical „Die Päpstin“ ohne Umschweife zu den erfolgreichsten Stücken aus dem Hause Spotlight Musicals. Nun hält eine spannende Neuinszenierung des Stoffes (Musik, Buch und Liedtexte: Dennis Martin; Buch und Liedtexte: Christoph Jilo) nach dem gleichnamigen Roman von Donna W. Cross unter der Regie von Gil Mehmert Einzug im Schlosstheater Fulda. Mit im Gepäck: Interessante, ausgereifte Neuerungen und Ansätze (Buchüberarbeitung: Kevin Schroeder) sowie frische musikalische Arrangements und Songs (Zusätzliche Liedtexte und Musik: Peter Scholz, Kevin Schroeder, Björn Herrmann), getragen von einer hochkarätigen, unvergleichlichen Cast.

Im Zentrum des Plots: Die Legende einer jungen Frau namens Johanna, die sich getrieben von Wissensdrang und dem Wunsch nach Selbstbestimmung gegen alle Widrigkeiten der männlich dominierenden Gesellschaft des 9. Jahrhunderts durchsetzt und den Weg bis auf den Papstthron beschreitet. Gil Mehmert nähert sich in seiner Inszenierung, 13 Jahre nach der Uraufführung, dem Inhalt auf neue, frische, temporeiche Art und Weise. Durch die Buchüberarbeitung wurde das Stück an vielen Stellen gestrafft und Szenen, die vorher etwas langatmig wirkten, gestrichen. Jetzt hingegen sind die Übergänge filmisch geprägt und sehr flott – hier und da vielleicht zu flott, dennoch ermöglichen sie dem Publikum so ein tiefes Eintauchen in die Story und es entsteht ein Sog, der nicht mehr loslässt, bis der Schlusston verklungen ist.

Durch die Veränderung der Gesellschaft in den letzten 13 Jahren lag es nahe, auch dem Stück neue Nuancen und Feinheiten zu geben. Auch ein Grund, Johannas Kampf in der männlich dominierten Welt, in der eine Frau nichts wert war, noch stärker herauszuarbeiten. Ihre Geschichte, ihr Weg zur Selbstbestimmung, nimmt neue, tiefere Züge an. So hat man ihr relativ zu Beginn, als der Wechsel von der jungen zur erwachsenen Johanna vollzogen wird, einen sehr gelungenen neuen, poppigen Song kreiert, der direkt unter die Haut geht: „So viel mehr“ erzählt ihren Drang nach Wissen und Selbstverwirklichung und schärft das Profil der Rolle ungemein. Zudem lässt es eine stärkere Identifikation mit der Protagonistin zu, fühlt doch der Zuschauer von der ersten bis zur letzten Minute mit ihr. Im Gesamtbild spannt es einen greifbaren Bogen zur letzten großen Nummer Johannas im zweiten Akt, als sie mit „Das bin ich“ den Papstthron besteigt. Somit schließt sich der Kreis und besiegt somit alle Zweifel, Ängste und Irrungen auf dem vorherigen steinigen Weg.

„Die Päpstin“ in Fulda (Foto: Christian Tech)

Mit der Kreation der Rolle der Päpstin hat Hauptdarstellerin Sabrina Weckerlin sicher einen ihrer größten Erfolge in ihrer bisherigen Bühnenkarriere erfahren, betitelt sie Johanna nicht ohne Grund als ihr „Baby“. Sie spielt die mutige Frau nicht nur, sie lebt sie mit jeder Zelle ihres Körpers und legt eine beeindruckende Leidenschaft, Authentizität und Präzision an den Tag, wenn sie erneut in die Rolle ihres Lebens schlüpft. Auch stimmlich hat sich Weckerlin enorm entwickelt und setzt ihre ohnehin fantastisch kräftige Stimme noch stärker und zugleich variantenreicher, gefühlvoller, verletzlicher ein.

Marioza, die „Cäsarin von Rom“, mausert sich in dieser Neuinszenierung ebenfalls zu einer spannenden Rolle mit überraschender Persönlichkeitsentwicklung. War sie immer mehr oder weniger die Marionette von Johannas Widersacher Anastasius, beginnt sie jetzt, machthungrig Einfluss auf die Geschicke im Lateran zu nehmen. Dies wird nicht zuletzt durch ihre häufige Präsenz in sämtlichen Szenen deutlich. Am Ende erfährt ihr Charakter eine interessante, unvorhergesehene Wendung, der den Plot in eine ganz neue Richtung lenkt und Marioza zur zweiten spannenden Frauenfigur neben Johanna aufsteigen lässt. Femke Soetenga in diesem Part ist ein wahres Geschenk. Bereits mit ihrem ersten Auftritt symbolisiert sie eindrucksvoll, wer in ihrer Welt das Sagen hat und dass sie sich nicht so schnell die Butter vom Brot nehmen lässt. Eine Frau, die nach Macht strebt und zugleich weiß, wie sie ihre weiblichen Vorzüge einzusetzen hat. Tänzerisch anmutig und stimmlich äußerst ausdrucksstark kreiert sie einen Charakter, dem man nie wieder weniger Bühnenpräsenz einräumen möchte.

Doch die Rolle der Johanna hat nicht als einzige einen neuen Song erfahren. Die Nummer „Boten der Nacht“, das große Lied von Johannas Mutter Gudrun über die beiden Raben Odins aus der nordischen Mythologie, Hugin und Munin, erhielt ein neues musikalisches Gewand und ist nun mit „Wächter der Nacht“ weniger eingängig, sondern abwechslungsreicher als sein Vorgänger. Mag man die vorherige Version vielleicht zunächst vermissen, ist die angepasste Nummer doch ein großer Gewinn. Nicht zuletzt für Lea-Katharina Krebs als Darstellerin von Johannas Mutter selbst – hat sie doch so die Möglichkeit, noch bewegender und facettenreicher die Geschichte ihres Glaubens zu erzählen und vor allem noch tiefer ihre gesangliche Bandbreite zeigen zu können. Ein würdiger Song und eine fantastische Darstellung für einen doch sehr kleinen Part.

„Die Päpstin“ in Fulda (Foto: Christian Tech)

Die Rolle des Aeskulapius, der zugleich als Erzähler fungierte, wurde komplett gestrichen. Hier hingegen nimmt der Mönch Rabanus, der Johanna und ihren Bruder Johannes nach Dorstadt zur Domschule begleitet, die Rolle des Gelehrten und väterlichen Beschützers ein. Ein geschickter Schachzug, dieser Rolle mehr Profil zu verleihen, ist seine Präsenz vom Beginn des Stücks bis zur Schlussszene greifbar, rund und verständlich. André Bauer gibt einen wunderbaren Rabanus, der schützend die Hände über Johanna legt. Er zeichnet authentisch einen äußerst warmen und gütigen Charakter, der auch in dunklen Stunden für sein begabtes Mädchen einsteht. Am Ende ist er derjenige, der ihre Geschichte weiterträgt und unvergesslich werden lässt.

Auch der Charakter von Johannas Widersacher Anastasius erhält mehr Rollenprofil, Schärfe, klarere Konturen und Bühnenpräsenz. Die neu komponierte Nummer „Paradies auf Erden“ unterstreicht seine Denkweise und sein Vorhaben und macht ihn somit intriganter und machtbesessener, wenn auch insgesamt weniger brutal und grausam. Christof Messner gibt in der Rolle des Anastasius sein Spotlight-Debüt. Der Part des schmierigen Antagonisten steht ihm ausgesprochen gut, der nur ein Ziel verfolgt: selbst Papst zu werden, Johanna zu vernichten und sich mehr und mehr von seinem Vater Arsenius (Livio Cecini) zu lösen.

Unbedingt erwähnt werden muss an dieser Stelle auch Rudi Reschke, der zunächst als Johannas widerlicher Vater fungiert und später den kleinen, amüsanten Part des Papstes Sergius übernimmt. Reschke überzeugt hier als Charakterdarsteller auf ganzer Linie. Seine Interpretation der Nummer „Wechselbalg“ gegenüber dem Kind Johanna (großartig: Martha Hönscher) lässt einem das Blut in den Adern gefrieren.

„Die Päpstin“ in Fulda (Foto: Christian Tech)

Wie auch schon in der Uraufführung schlüpft Mathias Edenborn an der Seite von Sabrina Weckerlin in die Rolle des Markgrafen Gerold. Sicher auch als eine seiner Paraderollen zu betiteln, füllt er diesen Part schauspielerisch und gesanglich scheinbar mühelos und berührt vor allem in seinem Solo „Ein Traum ohne Anfang und Ende“ maßgeblich. Durch die Streichung der Szene „Jahrmarkt von Saint Denis“ nähern sich Johanna und Gerold erst beim Bau der antiken Konstruktion an – für manche mag dies überraschend wirken, doch zeigen Weckerlin und Edenborn in der Interpretation von „Wehrlos“, dass ihre Protagonisten nie etwas anderes füreinander gefühlt haben und machen somit die Verbindung der beiden Liebenden authentisch und greifbar. Eine Verbindung und Anziehung, die bis zur letzten Minute spürbar nachvollziehbar ist.

Die Veränderungen sorgen auch dafür, dass in einer weiteren Schlüsselszene der Rotstift angesetzt wurde: Bei „Wer bin ich, Gott“, als Johanna in der Originalinszenierung nach dem Normannenüberfall auf ihrer Zwangshochzeit das Brautkleid ablegt und in die Kleidung ihres ermordeten Bruders steigt, beginnt ihre Transformation bereits jetzt während des Überfalls. Dies lässt die Szene doch etwas überladen wirken und man ist sich als (neuer) Zuschauer zunächst nicht so recht sicher, wie man das Ganze einzuordnen hat. Das Gefühl legt sich allerdings, als die Normannen abziehen, ein Feld der Verwüstung hinterlassen und man sich voll und ganz Johannas Intention und Gefühlen widmen kann – dem Entschluss, fortan als Johannes Anglicus unterwegs zu sein.

Ein großer Gewinn der Neuinszenierung ist der Einsatz zahlreicher Reprisen, die das Gesamterlebnis deutlich runder machen. Besonders ergreifend ist hier die Erweiterung des Schlusses um eine neue, emotionale Szene: Der Geist Johannas wacht über der von ihr gegen alle Widerstände gegründeten Mädchenschule, in der Rabanus seiner Schülerin von der mutigsten Frau auf Erden erzählt. Die Reprise von „So viel mehr“ geht hierbei spürbar unter die Haut und ist perfekt in Szene gesetzt.

„Die Päpstin“ in Fulda (Foto: Michael Werthmüller)

Das Bühnenbild durch den Tony-Award-Preisträger Christopher Barreca erfährt eine komplett neue Tiefe und Stärke. Für ihn ist die Reise Johannas und ihrem Weg gegen Unterdrückung, Machtmissbrauch, Irrungen und Wirrungen in Verbindung mit dem geschichtlichen Zeitgeist der Grundstock seiner Arbeit. So entstanden stets eingesetzte, sich drehende Treppen und Steinmauern in Anlehnung an die Ruinen des längst zerfallenen Römischen Reiches, die eine düstere Szenerie bilden und zugleich authentisch die dunklen mittelalterlichen Zeiten unterstreichen. Vervollständigt wird dies oftmals durch großartig verdeutlichende Projektionen (Videodesign: Austin Switser), zum Beispiel als während Johannas erstem Solo „So viel mehr“ wissenschaftliche Zeichen an die Steinmauern projiziert Fahrt aufnehmen.

Zur gestrafften Inszenierung gehört auch eine fast durchweg starke Atmosphäre, was eine personenreiche, sehr wirkungsvolle Bühne während der Massenszenen bedeutet. Das Ensemble besticht in farbenfrohen, zeitgenössischen Kostümen (Claudio Pohle) mit Tempo und Spielfreude und erzeugt dank der ausgefeilten Choreografien von Andrea Kingston in der Kombination mit Licht (Michael Grundner) und Sounddesign (Fabian Kampa, Maximilian Becker) passende Stimmungsbilder und Kontraste – von den Mönchen im Kloster zu den Huren in Mariozas Etablissement bis hin zu den bevölkerungsreichen Szenen auf den Straßen von Rom.

Die kräftige musikalische Untermalung, die aus Platzgründen im Schlosstheater nicht von einem Orchester live gespielt werden kann, sondern zuvor aufgenommen wurde und digital eingespielt wird, bildet einen der wenigen Wermutstropfen. Doch auch wenn es sich nicht um Livemusik, sondern um live aufgenommene Musik handelt, überzeugt „Die Päpstin“ mit großartigen, sehr berührenden Nummern, musikalischen Nuancen und Ohrwürmern, die passgenau auf die einzelnen Charaktere abgestimmt sind.

Regisseur Gil Mehmert ist eine hochkarätige Neuinszenierung des Musicals „Der Päpstin“ auf ganzer Linie gelungen. Buchüberarbeitung, Straffungen einzelner Szenen, Rollen und Übergänge, neue musikalische Nummern, sowie das flotte Tempo erweisen sich für das Stück als nötig und dankbar. Egal ob man die Originalinszenierung kennt oder nicht – man wird für knapp drei Stunden auf eine hochemotionale Reise mitgenommen. Eine Reise, die sicher das ein oder andere Augen nicht trocken lässt, wenn es heißt: „Hier stehe ich, in allem, was ich bin. Hier stehe ich, vor meinem Schicksal und erkenne mich darin.“

Text: Katharina Karsunke

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Katharina Karsunke ist Sozial- und Theaterpädagogin, hat jahrelang Theater gespielt, aber auch Kindertheaterstücke geschrieben und inszeniert. Ihre Liebe fürs Theater und ihre Leidenschaft fürs Schreiben kombiniert sie bei kulturfeder.de als Autorin.