Ein fabelhaftes Musical: „Parade“ in Regensburg
Jason Robert Brown ist vor allem als Komponist kleinerer Musicals wie „Die letzten fünf Jahre“ oder „Songs for a New World“ bekannt. Wesentlich unbekannter ist dagegen sein Werk „Parade“, das 1998 am Broadway uraufgeführt wurde und dort jetzt gerade ein Revival erlebt. Neben New York ist das Stück aktuell nur in einer weiteren Stadt zu sehen – im bayerischen Regensburg. Nachdem es 2017 in Münster erstmals in deutscher Sprache in Form einer semiprofessionellen Aufführung des Freien Musical-Ensembles (mit eigener Übersetzung) gezeigt wurde, hat sich das Theater Regensburg jetzt die Erstaufführung der neuen deutschen Übersetzung von Wolfgang Adenberg gesichert – und trifft damit voll ins Schwarze!
Das Musical (Buch: Alfred Uhry) erzählt die wahre Geschichte des Juden Leo Frank, der im Atlanta des Jahres 1913 eine Bleistiftfabrik leitet und der Vergewaltigung und des Mordes an seiner 13-jährigen Mitarbeiterin schuldig gesprochen wird. Zwar wird seine Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt, nachdem man zahlreiche Falschaussagen aufdeckt, doch ein Lynchmob erhängt ihn trotzdem. Erst Jahrzehnte später kommt heraus, dass der Hausmeister das Verbrechen begangen hat.
Regisseur und Choreograf Simon Eichenberger erzählt die Geschichte stringent und rasant mit flüssigen Szenenübergängen, formt mit seinem großen Ensemble großartige Bilder und nutzt dabei alle technischen Möglichkeiten des Regensburger Theaters. Sam Madwar hat dazu ein ausladendes Bühnenbild entworfen, das die Backsteinwände der Bleistiftfabrik, aber auch Leo Franks Büro oder sein Zuhause zeigen. Durch die Nutzung der Hubpodien fährt außerdem sehr effektvoll eine Gefängniszelle aus dem Bühnenboden. Die Kostüme von Ales Valásek entsprechen Zeit und Ort der Handlung und komplettieren den Bilderrausch der genialen Inszenierung, bei der Simon Eichenberger keine Längen zulässt und einen dramatischen Bogen bis zum Schluss spannt. Einzig der Tod von Leo Frank ist etwas dürftig inszeniert, da man ihn nach dem Erhängen im Black noch selbst von der Holzkiste steigen sieht.
Musikalisch überzeugt „Parade“ durch die vielseitige Partitur von Jason Robert Brown, der einen gelungenen Mix aus Jazz, Dixie, Gospel, Marsch und Blues geschaffen hat, dabei aber auch nicht auf genretypische Liebesduette verzichtet. Das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Alistair Lilley meistert die verschiedenen Stile und Rhythmen mit Bravour und glänzt in den sanft ruhenden wie in den laut scheppernden Passagen gleichermaßen.
Getragen wird das Stück von einem exzellenten Ensemble, das in der besuchten Vorstellung von Christian Fröhlich als Leo Frank angeführt wird, der ein wahres Theaterwunder vollbringt. Weil der eigentliche Hauptdarsteller kurzfristig erkrankt ist, steht das Theater vor der Herausforderung, einen Ersatz zu finden, was sich als schier unmöglich erweist, da „Parade“ außer in Regensburg und New York an keinem anderen Haus gespielt wird und es entsprechend keinerlei Darsteller gibt, die die große Hauptpartie hätten singen können. Doch Christian Fröhlich – eigentlich Ensemblemitglied am Landestheater Linz – lernt die Rolle innerhalb von nur 22 Stunden (!), um dann zu spielen, als hätte er sechs Wochen geprobt und nie etwas anderes gespielt.
Seine phänomenale Leistung besteht darin, einen Charakter zu zeichnen, dem man sich zunächst gar nicht so verbunden fühlt. Sein Leo Frank ist ein Karrieremann, der selbst am Feiertag ins Büro geht und seine Belegschaft – sogar Kinder – ausbeutet. Als es dann zu den falschen Anschuldigungen, später zur Gerichtverhandlung und schließlich zu einem Urteil kommt, wandelt sich sein Charakter und für das Publikum wird fühlbar, dass hier einem Menschen Unrecht geschieht. Diesen Wandel, die Verzweiflung und Resignation spielt Christian Fröhlich mitreißend und authentisch, seine Songs singt er mit Inbrunst und Gefühl.
An Fröhlichs Seite entwickelt sich Fabiana Locke als Lucille Frank glaubwürdig vom Heimchen zur Kämpferin und singt mit angenehm warmer Stimme. Weiterhin sehr präsent und in ihren Rollen überzeugend sind William Baugh als Hausmeister Jim Conley mit einnehmender Soul-Stimme, Michael Daub als populistischer Tom Watson sowie Benedikt Eder als Staatsanwalt Hugh Dorsey. Doch auch Felix Rabas als Frankie Epps und die mit einer gewaltigen Stimme gesegnete Louisa Heiser als Haushälterin Minnie fallen positiv auf.
Zum Schluss steht das Publikum im Theater Regensburg, um nicht nur den Einspringer Christian Fröhlich, sondern die gesamte Produktion mit lautem Jubel zu feiern. Der Mut, dieses unbekannte Musical auf den Spielplan zu setzen, hat sich gelohnt. „Parade“ ist ein echtes Kleinod, das in Zukunft hoffentlich noch von vielen anderen Theatern gespielt wird.
Text: Dominik Lapp