Gewaltig: „Peter Grimes“ in Mannheim
Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ fällt am Nationaltheater Mannheim buchstäblich ins Wasser. Denn Regisseur Markus Dietz hat für das bedrückende Drama die gesamte Bühne mit Wasser fluten lassen, was sich als genialer Kniff erweist, um ein Bild zu zeichnen von einem Fischerdorf an der englischen Ostküste. Im Mittelpunkt seiner Inszenierung steht dabei der große Opernchor, der durch Extrachor und Statisten verstärkt wird, um einen bedrohlichen Mob zu formen.
Britten erzählt in seiner Oper einen Fall von Lynchjustiz, wie Dorfbewohner den Fischer Peter Grimes für den Tod seines Lehrlings verantwortlich machen, ihn dadurch letztendlich in den Suizid treiben. Markus Dietz hätte diese Vorlage wunderbar in die Gegenwart transferieren und an aktuellen politischen Geschehnissen aufhängen können. Doch er hat darauf verzichtet und lässt in seiner Inszenierung keine Zeitordnung zu.
So gnadenlos wie das Meer, lässt Dietz die Dorfbewohner zu einem unberechenbaren Mob zusammenrotten. Dabei stellt der Regisseur die zentrale Bedeutung des Meeres durch die Wasserfläche auf der Bühne in den Vordergrund und zeigt, wie Aggression und Ausgrenzung in einer Gemeinschaft entstehen. Die Dorfbewohner-Choristen – großartig einstudiert von Danis Juris – lässt Markus Dietz so unberechenbar wie einen Meeressturm agieren, so dass sie als Kollektiv eine ebenso zerstörerische Kraft wie die Naturgewalt selbst entwickeln. Die etwa 100 Chorsänger erzeugen dabei permanent eine bedrohliche Stimmung – beim Fackelzug genauso wie mit ihren Rufen nach Peter Grimes oder wenn sie durch das Wasser stapfen.
Wie Chor und Solisten letztlich mit und in dem Wasser agieren, schafft ebenfalls eine bedrohliche Atmosphäre, so dass darüber hinaus nahezu kein weiteres Bühnenbild (Ines Nadler) nötig ist. Lediglich wenige Möbelstücke, einige Fischkisten, ein überdimensionales leuchtendes Kreuz sowie eine schwebende Bodenplatte mit Leuchtstoffröhren an der Unterseite werden zusätzlich eingesetzt, um neue Szenerien zu erschaffen – was äußerst eindrucksvoll gelingt. Die Kostüme von Henrike Bromber sind wie das Bühnenbild nicht sehr auffällig, unterstreichen aber die Charaktere der Figuren sehr gut.
Obwohl Markus Dietz den Chor in „Peter Grimes“ in den Fokus der Handlung stellt, ist ihm auch bei der Zeichnung der einzelnen Figuren eine starke Detailgenauigkeit zu bescheinigen. Mit Roy Cornelius Smith steht ihm ein wandlungsfähiger Hauptprotagonist zur Verfügung, der zu jeder Zeit die Zerrissenheit seiner Titelrolle spürbar macht. Smith bewältigt alle Strapazen seiner Rolle mit Bravour, zeigt einerseits die tiefen Gefühlsschichten des Fischers, ist andererseits aber auch ein jähzorniger Getriebener. Gesanglich ist er seinem Part ebenfalls gewachsen und lässt seinen hohen Tenor in schillernden Farben strahlen.
Mit wunderbar aufblühendem Sopran und Empathie singt Astrid Kessler die Rolle der aufrichtigen Ellen Orford, die treu zu Grimes hält. Als Balstrode vermittelt Michael Lion zwischen den Fronten und verleiht seiner Figur eine kräftige Kontur und seinen erdigen Bass. Hervorragend sind außerdem Rita Kapfhammer als Auntie, Natalija Cantrak und Monika Rydz als Nichten, Marie-Belle Sandis als Mrs. Sedley, Sung Ha als Mr. Swallow und Uwe Eikötter als Pfarrer Horace Adams, die ihre Aufgaben ebenfalls großartig absolvieren.
Besonders hervorzuheben ist zudem das Orchester des Nationaltheaters unter der Leitung von Alexander Soddy. Äußerst expressiv und ausdrucksstark zeichnen die Musiker ein Bild vom Meer – bedrohlich, gewaltig, unberechenbar und gefährlich. Soddy führt das Orchester souverän durch Brittens anspruchsvolle Partitur, die mal unheimlich zart und dann doch wieder richtig laut klingt. Den groß besetzten Chorszenen steht dabei die sehr sparsam orchestrierte Solistenwelt gegenüber. Zeitweise fällt das Orchester sogar komplett weg und die Solisten auf der Bühne singen ganz pur und allein, zum Beispiel im Duett zwischen Peter Grimes und Ellen Orford am Ende des Prologs.
So wird am Nationaltheater Mannheim sehr eindrucksvoll bewiesen, dass Brittens „Peter Grimes“ völlig zu Recht zu den besseren zeitgenössischen Opern zählt und wie wichtig eine stimmige Inszenierung ist, bei der ein Regisseur die musikalische Vorlage exzellent in seinen auf der Bühne geschaffenen Bildern spiegelt. Hierbei punktet die musikalische Dynamik genauso wie die spannende und gewaltige Darstellung.
Text: Dominik Lapp