„Das Phantom der Oper“ (Foto: Deen van Meer)
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Frische Neuinszenierung: „Das Phantom der Oper“ in Wien

Andrew Lloyd Webbers „Das Phantom der Oper“ gehört zweifellos zu den Musicals, die in den Neunzigerjahren den Musicalboom im deutschsprachigen Raum auslösten. Mehr als 30 Jahre nach der österreichischen Erstaufführung ist das Werk nun nach Wien zurückgekehrt – und präsentiert sich im Raimund-Theater in einer frischen und hochwertigen Neuinszenierung, die sich entgegen der Kritik im Vorfeld nicht als eine befürchtete Sparversion erweist. Zugegeben: Man muss die unvergleichliche, aber wirklich in die Jahre gekommene Originalinszenierung von Harold Prince verdrängen und sich vollkommen auf die Neuinszenierung einlassen. Doch wenn das gelingt, wird man einen exzellenten Musicalabend in Wien haben.

Zunächst einmal haben die deutschen Texte von Michael Kunze eine Überarbeitung erfahren, so dass sie flüssiger und zeitgemäßer klingen. Außerdem wurde das Buch von Richard Stilgoe erst durch den Regisseur Laurence Connor und die Wiener Fassung noch einmal durch den dort eingesetzten Regisseur Seth Sklar-Heyn überarbeitet, was zur Folge hat, dass die Rolle der Christine Daaé nicht mehr der Spielball zwischen dem Phantom und Raoul ist, sondern eine authentische charakterliche Entwicklung durchmacht vom schüchternen Ballettmädchen zu einer Frau, die zum Schluss das Schicksal selbst in die Hand nimmt und dem Phantom energisch entsagt.

Äußerst gelungen ist das neue Bühnenbild, das auf dem Originalset von Maria Björnson basiert, aber erst durch Paul Brown neu gestaltet und in Wien noch einmal durch David Harris ergänzt wurde. Die einzelnen Szenenbilder, die durch das atmosphärische Lichtdesign von Paule Constable aufgewertet werden, sind jetzt wesentlich detaillierter und realistischer gestaltet, während im Original viele Szenen nur durch Versatzstücke, Möbel und Requisiten angedeutet wurden. Besonders deutlich wird dies beim Büro der beiden Operndirektoren, das jetzt ein Raum mit roter Tapete, Lampen, Bilderrahmen, einem verzierten Schreibtisch und vielen weiteren Details ist.

„Das Phantom der Oper“ (Foto: Deen van Meer)

Aber auch das Versteck des Phantoms in den Katakomben der Pariser Oper oder der Friedhof sind wundervoll gestaltet worden. Eine Wand in der Bühnenmitte eröffnet weitere Spielorte und stellt mit Treppenstufen den Weg in den Untergrund des Opernhauses dar. Die Bootsfahrt auf dem unterirdischen See hat es selbstverständlich auch in die Neuinszenierung geschafft, auf die ohnehin viel zu kitschigen Kerzen und Kandelaber wurde allerdings verzichtet. Neu ist zudem die Optik des Maskenballs, der nicht mehr auf der großen Foyertreppe, sondern in einem goldverzierten Spiegelsaal stattfindet. Darüber hinaus gibt es ein dunkles Spiegelkabinett, vielleicht sogar als Parallele zum zweiten Phantom-Musical „Liebe stirbt nie“.

Das Kostümbild der Maskenball-Szene wurde ebenfalls verändert, obwohl ansonsten eine Vielzahl der von Maria Björnson entworfenen und mit einem Tony Award ausgezeichneten Kostüme der Originalproduktion beibehalten worden sind. Die Ballgäste sind jetzt weniger aufwändig kostümiert und das Phantom tritt nicht mehr mit roter Robe, ausladendem Hut und Totenkopfmaske als Roter Tod auf, sondern in einem roten Anzug mit goldener Maske, was an den Look in der Verfilmung aus dem Jahr 2004 erinnert.

Musikalisch trumpft „Das Phantom der Oper“ in Wien mächtig auf (Sounddesign: Mick Potter). 28 Musikerinnen und Musiker spielen leidenschaftlich unter der Leitung von Carsten Paap die großen Melodien von Andrew Lloyd Webber, die auch rund 40 Jahre nach der Uraufführung nichts von ihrer Brillanz verloren haben. Nie zuvor gab es eine „Phantom“-Inszenierung mit einem größeren Orchester, wenn man die halbszenische Aufführung in der Londoner Royal Albert Hall einmal außen vorlässt.

„Das Phantom der Oper“ (Foto: Deen van Meer)

Neben der Inszenierung und Musik kann glücklicherweise auch die Besetzung überzeugen. Anton Zetterholm ist als Phantom eine wahre Offenbarung. Schauspielerisch balanciert er glaubwürdig zwischen Unberechenbarkeit, Selbstmitleid und Überheblichkeit. Mit seinem hellen Tenor strahlt er und erhält für seine emotionale Interpretation von „Musik der Dunkelheit“ verdientermaßen langen Szenenapplaus.

Lisanne Clémence Veeneman zeichnet ein großartiges Rollenbild der Christine Daaé, die sich vom schüchternen Ballettmädchen zu einer gefeierten Opernsängerin und selbstbewussten Frau entwickelt. Mit ihrem sicher geführten Sopran begeistert Veeneman bis in die höchsten Höhen. Der Raoul von Roy Goldman ist sowohl ein hochmütiger als auch liebestrunkener Edelmann. Stimmlich harmoniert der Bari-Tenor hervorragend mit Lisanne Clémence Veeneman.

Patricia Nessy mimt als Madame Giry eine strenge und kühle Ballettmeisterin, Laura May Croucher gibt mit glasklarer Stimme eine zarte Meg und Rob Pelzer sowie Thomas Sigwald gefallen als Operndirektoren André und Firmin durch ihr glaubwürdiges und teilweise witziges Schauspiel. Greg Castiglioni ist ein stimmstarker Ubaldo Piangi an der Seite der Operndiva Carlotta Giudicelli, die von Milica Jovanovic mit prägnantem Sopran gesungen wird.

Wenig Herausragendes ist bei der aber insgesamt stimmigen Choreografie von Scott Ambler auszumachen, was bei einem Werk wie „Das Phantom der Oper“ nicht verwundert. Dieses Musical begeistert in der Wiener Neuinszenierung eben vor allem durch die brillante Musik, die beeindruckende Ausstattung und eine starke Cast.

Text: Christoph Doerner

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Nach seinem Studium der Musiktheaterwissenschaft, einem Volontariat sowie mehreren journalistischen Stationen im In- und Ausland, ist Christoph Doerner seit einigen Jahren als freier Journalist, Texter und Berater tätig.