Im Zeichen des Blicks: „Salome“ in Wuppertal
Die Oper Wuppertal hat sich mit ihrer jüngsten Produktion von Richard Strauss‘ „Salome“ einer faszinierenden Herausforderung gestellt: Regisseurin Andrea Schwalbach, die zuletzt mit „Chess“ in Oldenburg und „Carmen“ in Münster als starke Stimme für moderne Frauenbilder ein Zeichen gesetzt hat, bringt erneut eine Inszenierung auf die Bühne, die sich konsequent als spannende Neudeutung eines Klassikers erweist. Ihre Sicht auf die Titelfigur gibt der Oper eine Dimension, die von weiblicher Selbstermächtigung und einem modernen Verständnis von Macht und Freiheit geprägt ist. Dies verleiht der Aufführung eine Dringlichkeit, die durch das düstere Bühnenbild, die expressiven Kostüme und eine pointierte Regieführung verstärkt wird.
Britta Leonhardt hat ein Bühnenbild entworfen, das durch seine Schlichtheit und Dunkelheit beeindruckt. Dieser karge Raum wirkt wie ein Sinnbild der menschlichen Abgründe, die in der Oper verhandelt werden. So wird der Blick auf die psychologische Tiefe und die Konflikte der Figuren gerichtet. Die Kostüme von Leonhardt folgen demselben Prinzip: Die düstere Grundstimmung dominiert, nur unterbrochen von zwei knalligen, fast überzeichnenden Akzenten, die den Figuren des Herodes und der Herodias eine groteske Dimension verleihen. Besonders auffällig ist zudem das überzogene Maskenbild, das die Figuren fast karikaturesk erscheinen lässt und ihre inneren Abgründe betont.
Salome selbst, dargestellt von der beeindruckenden Helena Juntunen, trägt ein schlichtes, fast unscheinbares Gewand, das ihre Unschuld unterstreicht. Doch je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr wird auch ihre äußere Erscheinung zu einer Maske der Macht und Kontrolle. Juntunen verleiht ihrer Salome eine gesangliche Brillanz und schauspielerisch eine Mischung aus Zerbrechlichkeit und gefährlicher Entschlossenheit.
Andrea Schwalbachs Regie hebt die zentrale Bedeutung des Blicks in der Oper hervor – Blicke, die sowohl die Macht als auch die Hilflosigkeit der Figuren spiegeln. Besonders spannend ist dabei die Umkehrung der traditionellen Rollenbilder: Salome, die sonst oft als verführte Verführerin dargestellt wird, ist hier eine Frau, die aus einem tiefen, selbstbestimmten Bedürfnis heraus handelt. Warum fordert sie den Kopf von Jochanaan? Nicht aus Liebe, nicht aus Zwang, sondern weil sie es kann. Diese simple, aber extreme Aussage gibt der Figur eine neue Dimension: Sie agiert aus purer Willensfreiheit.
Das Spannungsfeld zwischen Salome und Jochanaan (Michael Kupfer-Radecky) wird in dieser Inszenierung meisterhaft dargestellt. Während in vielen traditionellen Lesarten Salome als Projektion männlichen Begehrens gezeichnet wird, gelingt es Schwalbach, sie als eigenständige Figur zu etablieren. Ihr Blick auf Jochanaan ist nicht nur von Begierde geprägt, sondern von Macht und Herausforderung.
Jochanaan hingegen, der Salome verachtet, wird hier mehr als Spiegelbild der patriarchalen Weltordnung inszeniert, die Salome durchbricht. Kupfer-Radecky verkörpert diesen Gegensatz mit großer Intensität, sein tiefes Timbre gibt der Figur des Propheten eine unheimliche Autorität. Interessant ist außerdem die Entscheidung der Regisseurin, die Rolle des Pagen der Herodias (Edith Grossman) aufzuwerten, indem sie der Figur eine überraschend zentralere Bedeutung gibt.
Matthias Wohlbrecht überzeugt als Herodes mit einer schauspielerisch wie gesanglich packenden Darbietung. Gundula Hintz gibt mit ihrem volltönenden Mezzosopran eine kraftvolle Herodias, deren kalte Entschlossenheit und manipulative Natur eindrucksvoll zur Geltung kommen. Sangmin Jeon verleiht seinem Narraboth eine warme Tenorstimme und Edith Grossman überzeugt ebenso als Page.
Unter der Leitung von Johannes Witt gelingt es dem Sinfonieorchester Wuppertal, die Extreme der Partitur auszuleuchten. Strauss‘ Musik, die zwischen lyrischen Momenten und explosiven Ausbrüchen changiert, wird hier mit großer Präzision und Ausdrucksstärke präsentiert. Die klangliche Dichte, die Witt erzeugt, unterstreicht die Intensität der Handlung und macht die nervenaufreibende Spannung, die von der Bühne ausgeht, auch im Orchestergraben spürbar.
Die choreografischen Elemente von Kati Farkas ergänzen das dichte Geflecht aus Musik und Regie, so dass sie nicht nur dekoratives Beiwerk sind, sondern die psychologische Spannung zwischen den Figuren noch weiter vertiefen.
Andrea Schwalbach gelingt mit dieser Inszenierung von „Salome“ eine stimmige Interpretation, die dem Werk eine völlig neue Perspektive verleiht. Indem sie die Figur der Salome aus ihrem traditionellen, männlich geprägten Kontext herauslöst und ihr eine neue, selbstbestimmte Kraft verleiht, schafft sie eine Opernaufführung, die nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich und visuell mitreißt.
Text: Dominik Lapp