Futuristische Vision: „Satyagraha“ in Hannover
Die Inszenierung der Oper „Satyagraha“ an der Staatsoper Hannover unter der Regie von Daniel Kramer, der nach dem Erfolg von „Nixon in China“ in die niedersächsische Landeshauptstadt zurückkehrt, ist ein künstlerisches Erlebnis der besonderen Art. Kramer zeigt erneut, dass er visionäre Konzepte und kühne Inszenierungen meisterhaft beherrscht. In „Satyagraha“, einem Werk von Philip Glass, das sich thematisch um die Lehren Gandhis dreht, wagt der Regisseur einen Blick in die Zukunft, der die Grenzen von Raum und Zeit überschreitet. Dabei bricht er mit konventionellen Vorstellungen von Oper und schafft eine Verbindung zwischen spirituellem Ritual, Science-Fiction und gesellschaftspolitischem Kommentar.
Das Bühnenbild von Justin Nardella unterstreicht diese epische Erzählung auf eindrucksvolle Weise. In den drei Akten, die mit Tod und Reinkarnation Gandhis, Widerstand (spielt 2048) und Zukunft (spielt 3048) unterschiedliche Epochen abdecken, bewegt sich das Szenenbild von der subtilen Mystik vergangener Zeiten wie dem Paradies bis hin zur dystopischen Vision des Lebens im Weltraum. Im zweiten Akt sehen wir einen Weltraumhafen auf der überhitzten und vermüllten Erde. Im dritten Akt, der im Jahr 3048 spielt, wird die Bühne zum kosmischen Raum.
Daniel Kramer selbst kommentiert im Programmheft: „Die Vorstellung des Lebens im Weltraum wird durch die Medien romantisiert […], doch wie wäre die Lebensqualität wirklich?“ Nardella greift diese Frage mit einer futuristischen und weitläufigen Bühne auf, die durch das gelungene Lichtdesign von Andreas Schmidt und die fantastischen Videoinstallationen von Chris Kondek ergänzt wird.
Die Kostüme von Shalva Nikvashvili spiegeln die Zeitreisen und spirituellen Themen der Oper wider. Die Mitwirkenden wechseln mühelos zwischen der traditionellen Kleidung Gandhis und der futuristischen Kleidung des Weltraums. Besonders markant und fantasievoll sind die Kostüme einer neuen gewalttätigen Spezies, 46 Millionen Jahre in der Zukunft, im letzten Akt.
Der Chor der Staatsoper Hannover, einstudiert von Lorenzo Da Rio, steht in „Satyagraha“ vor einer einzigartigen Herausforderung. Der Text in Sanskrit ist so umfangreich, die Sprache so unbekannt, dass man ihn sich kaum merken kann. Da Rio hat deshalb ein innovatives Soufflage-System eingeführt: Auf Monitoren wird der Text in Lautschrift angezeigt, um dem Chor zu helfen. Diese technische Unterstützung sorgt dafür, dass die Sängerinnen und Sänger trotz der Sprachbarriere mit beeindruckender Präzision und Intensität performen. Es entsteht eine Klangwand, die gleichzeitig archaisch und modern wirkt und den meditativen Charakter der Musik verstärkt.
Bereits 25 Minuten vor Beginn der Vorstellung wird das Publikum in die spirituelle Welt der Oper eingeführt – durch eine geführte Meditation im Zuschauerraum. Dies ist ein großartiger Schritt von Daniel Kramer, das Publikum so auf eine immersive Art einzubinden. Diese Vorbereitung schafft eine besondere Stimmung, die die Musik und die Handlung der Oper intensiviert. Während der Pausen zwischen den Akten werden indische Snacks im Foyer angeboten, was das Gesamterlebnis kulturell abrundet und das Publikum weiter in die Welt von „Satyagraha“ eintauchen lässt.
Die Rolle des Gandhi wird von Shanul Sharma mit einer solchen emotionalen Tiefe und stimmlichen Klarheit dargestellt, dass er zum Herzstück der gesamten Aufführung wird. Seine Interpretation des spirituellen Führers ist zugleich kraftvoll und sanft, er verkörpert Gandhis Lehren des gewaltlosen Widerstands mit einer Würde, die tief berührt, wofür er vom Publikum verdientermaßen gefeiert wird. Auch die anderen Solistinnen und Solisten, wie Meredith Wohlgemuth als Miss Schlesen, Beatriz Miranda als Kasturbai, Ketevan Chuntishvili als Mrs. Naidoo oder Lluis Calvet i Pey als Mr. Kallenbach, glänzen durch ihre nuancierten und präzisen Darstellungen, wobei jeder Charakter eine eigene Dimension der Geschichte Gandhis und seines Vermächtnisses darstellt.
Das Niedersächsische Staatsorchester Hannover unter der Leitung von Masaru Kumakura bringt die repetitive, hypnotische Musik von Philip Glass mit feinem Gespür für Dynamik und Klangfarben zum Leben. Kumakura versteht es meisterhaft, die besondere Struktur von Glass‘ Kompositionen so zu gestalten, dass sie nie monoton wirkt, sondern das Publikum in eine tranceartige Atmosphäre zieht. Die Musik wird zum Puls der Inszenierung, zum unaufhaltsamen Strom der Zeit, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet.
Daniel Kramer gelingt es mit seiner Inszenierung von „Satyagraha“, eine Brücke zwischen Epochen zu schlagen. Durch die Verschmelzung von spirituellen und futuristischen Elementen schafft er ein einzigartiges Opernerlebnis, das nicht nur musikalisch und visuell überzeugt, sondern auch zum Nachdenken anregt. Die meditative Vorbereitung und die kritische Auseinandersetzung mit der Zukunft machen diese Aufführung zu einem Gesamtkunstwerk, das lange nachhallt.
Text: Dominik Lapp