Foto: Morris Mac Matzen, Stage Entertainment
  by

Glänzende Schauspielkunst: „Gefährten“ in Berlin

Seit Oktober 2013 weht im Berliner Theater des Westens ein anderer Wind. Nachdem das Haus Jahrzehnte lang vor allem Werke aus dem Genre des Musiktheaters beheimatete, ist mit „Gefährten“ nun ein Sprechtheaterstück in das traditionsreiche Theater an der Kantstraße eingezogen. Diese Entscheidung ist definitiv mutig, denn das Stück ist trotz des gleichnamigen Kinofilms von Steven Spielberg, der hierzulande nicht sehr erfolgreich war, in Deutschland noch recht unbekannt. Und der Kulturmarkt in Berlin gilt generell als eher schwierig. Zahlreiche Theater buhlen um Gäste. Da könnte einem also zunächst mal der Gedanke kommen, dass man mit einem weiteren Sprechtheaterstück in Berlin niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken kann. Doch „Gefährten“ ist ein Ausnahmestück.

Das Stück basiert auf dem englischen Jugendbuch „War Horse“ von Michael Morpurgo, das von Tom Morris für die Bühne adaptiert und im Londoner National Theatre zur Uraufführung gebracht wurde. Mittlerweile wird das Werk auch in New York, Toronto und Melbourne gezeigt. In Berlin ist die erste nicht-englischsprachige Version zu sehen. Das Stück spielt zur Zeit des Ersten Weltkriegs und erzählt die Geschichte von Albert und seinem Pferd Joey. Als Joey an die Kavallerie verkauft wird, meldet sich der eigentlich noch zu junge Albert freiwillig zur Armee, um sein Pferd zu finden und nach Hause zu bringen.

Im Fokus des Theaterstücks stehen lebensgroße Pferdepuppen, die 2,40 Meter groß sind und mehr als 70 Kilo auf die Waage bringen. Die Pferde bestehen aus Rattan, Holz, Leder und Aluminium und werden von drei Puppenspielern, den so genannten Puppeteers, gesteuert. Und was das Team, bestehend aus Kopf-, Herz- und Hinterspieler, auch macht – alles sieht täuschend echt aus und klingt auch so. Sie laufen, traben, galoppieren und wiehern wie ein echtes Pferd, bewegen die Ohren und den Schweif. Während zwei Puppeteers im Mittel- und Hinterteil der Pferdepuppe stecken, steht der Kopfspieler als einziger außerhalb des Pferds, lenkt Hals und Kopf mithilfe eines Steuergriffs.

Den Puppeteers gelingt es durch ihr grandioses Spiel, die Illusion zu erschaffen, es handele sich um echte Pferde. Vor allem aber nimmt der Zuschauer durch die Pferde all die Emotionen des Stücks auf und erlebt den Krieg aus verschiedenen Sichtweisen. Nicht immer vermittelt Theater solche echten Gefühle wie es bei „Gefährten“ der Fall ist. Der Fokus liegt neben den Pferdepuppen fast ausschließlich auf dem Schauspiel, denn von der Ausstattung werden die Zuschauer nicht gerade erschlagen. Das Stück beginnt auf der offenen tiefen Bühne, auf der mit Bühnennebel und Licht gespielt, ein Haus nur durch Fenster und Tür angedeutet wird. Neben den Pferden ist es zudem eine Gans, die im ersten Akt immer wieder die Aufmerksamkeit des Publikums gewinnt.

Über der Bühne prangt ein überdimensionaler Papierschnipsel, herausgerissen aus einem Skizzenbuch, in dem auch Pferd Joey verewigt wurde. Dieser riesige Papierfetzen dient im Verlauf der Handlung als Projektionsfläche für Wolken, Landschaften, Kriegsnebel und Informationen zu Handlungsort und Zeit – ein toller Effekt, der seine Wirkung nicht verfehlt. An Intensität gewinnt „Gefährten“ auch dadurch, dass die Schauspieler – wie beim Sprechtheater üblich – gänzlich ohne Mikrofon sprechen. Unterstützt werden sie von einem Sänger (Jan Alexander Tomsic) und seinem Akkordeon, der einzelne Szenen musikalisch kommentiert. Um eine besondere Nähe zum Publikum herzustellen, wird auch der Zuschauerraum mitbespielt. Immer wieder durchbrechen Schauspieler und Puppeteers die vierte Wand: da trabt Joey vorbei am Publikum, wiehert, wedelt mit dem Schweif und ist zum Greifen nah.

Doch dass „Gefährten“ weitaus mehr ist als eine seichte Geschichte über einen Jungen und „sein scheiß Pferd“, wird immer deutlicher, je weiter die Handlung in die Wirren des Ersten Weltkriegs vordringt. Kein Wunder also, dass in der Pause völlig überfordert wirkende Eltern versuchen, ihre weinenden Kinder zu trösten. Schüsse, Explosionen und Bombenhagel sorgen für ohrenbetäubenden Lärm, auf der Bühne sterben Soldaten und Kriegspferde – und plötzlich rollt die Silhouette eines Panzers auf das Publikum zu. Kein Theaterstück für Zartbesaitete. Doch nach zwei Stunden, die von Leid und Kummer dominiert wurden, wirkt das Ende etwas zu kitschig, wenn Albert und Joey wieder auf dem heimischen Hof eintreffen.

Aber Kitsch hin oder her: Die Schauspielerriege kann durch die Bank weg überzeugen. Allen voran ist es Philipp Lind, der den Albert Narracott ganz wunderbar unbeschwert spielt und im Verlauf der Handlung eine starke Wandlung durchmacht. Immerzu im Vordergrund steht dabei Alberts spürbare Liebe zu seinem Pferd. Ihm in nichts nach steht der bekannte TV-Schauspieler Heinz Hoenig, der als Alberts Vater Ted mit seiner sonoren Sprechstimme positiv in Erinnerung bleibt. In den Schatten gestellt wird er lediglich noch vom grandiosen Peter Kaempfe, der als Arthur Narracott einen herrlichen Griesgram mimt. Die besorgte Mutter Narracott ist Silke Geertz, die immerzu rollendeckend agiert. In den Kriegswirren überzeugen darüber hinaus Thaddäus Meilinger (Leutnant Nicholls), Philipp Romann (Captain Stewart), Hans-Henning Stober (Soldat), Andreas Köhler (Gefreiter Müller), Christoph Bangerter (Gefreiter Klausen) und Lukas Hötzel (Sanitäter Schnabel) mit Authentizität und starker Bühnenpräsenz.

Und so positiv sich diese Zeilen auch lesen mögen, so gibt es trotzdem etwas Negatives auszumachen: In Berlin wird „Gefährten“ erstmals als nicht-englischsprachige Produktion gezeigt. Während in der Originalproduktion Englisch, Deutsch und Französisch gesprochen wird, ist in Berlin ausschließlich Deutsch zu hören – noch dazu bestes Bühnenhochdeutsch. Das ist nicht nur unglaubwürdig, sondern erschwert es auch, die deutschen, englischen und französischen Soldaten auseinanderzuhalten. Vor allem für die Zuschauer in den hinteren Reihen ist es schwer, die Uniformen im gedimmten Bühnenlicht unterscheiden zu können. Hier wären die Produzenten deutlich besser beraten gewesen, die Schauspieler mit englischem und französischem Akzent Deutsch sprechen zu lassen und zur Wahrung der Authentizität unter den deutschen Soldaten verschiedene Dialekte zu verwenden. Doch das ist Kritik auf hohem Niveau.

Letztendlich hat Stage Entertainment mit „Gefährten“ großen Mut bewiesen. Mut zum Genrewechsel, Mut zu Neuem, Mut, ein bekanntes Musical im Theater des Westens abzusetzen und dafür ein in Deutschland noch recht unbekanntes Schauspiel am ohnehin nicht einfachen Berliner Kulturmarkt zu zeigen. Dafür gebührt dem Unternehmen großer Respekt. Bleibt zu hoffen, dass sich „Gefährten“ in Deutschland durchsetzen kann. Verdient hat es das Stück schon aufgrund der glänzenden Schauspielkunst allemal.

Text: Dominik Lapp

Avatar-Foto

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".