Äußerst starke Bühnenadaption: „Match Point“ in Münster
Mit seinem Film „Match Point“ hat sich Woody Allen im Jahr 2005 quasi neu erfunden. War er zuvor doch eher auf Komödien spezialisiert, schuf er mit „Match Point“ ein spannendes Krimi-Melodrama, das jetzt als Bühnenfassung im Kleinen Haus am Theater Münster zur Uraufführung gekommen ist. Und so viel sei vorweggenommen: In der Bühnenfassung von Christian Brey, der auch inszeniert hat, ist der Stoff nicht weniger spannend als auf der Leinwand.
Christian Brey hat den Film nahezu eins-zu-eins für die Bühne adaptiert, die Aufführungsdauer ist mit rund 110 Minuten – gespielt wird ohne Pause – fast identisch mit der Filmlänge. Und dennoch hat er es geschafft, den Stoff so aufzubereiten, das Stück so zu inszenieren, die Schauspieler so zu führen, dass selbst Filmkenner gespannt in die Handlung eintauchen und den Stoff neu entdecken können. Gerade auch angesichts der erstklassigen Filmbesetzung darf man durchaus skeptisch sein, ob es die Münsteraner Schauspielerriege schafft, die Filmfiguren vergessen zu machen. Und ja, sie schafft das.
Zwar geht in der besuchten Vorstellung angesichts der braunen Haarfarbe zunächst ein leises Raunen durchs Publikum, als Natalja Joselewitsch ihren ersten Auftritt als Nola hat – schließlich hat sich durch den Film keine geringere Schauspielgröße als Scarlett Johansson mit ihrer langen blonden Mähne in die Köpfe eingebrannt. Doch Joselewitsch schafft es binnen weniger Minuten, ihre prominente Schauspielkollegin auszublenden. So überzeugend, so sinnlich, so sexy, so passend für die Rolle ist sie. Sie spielt alle Facetten ihres dankbaren Parts bestens aus, ist anfangs die sinnliche Verführerin, ein Vamp wie aus dem Buche, später dann die nervige Geliebte, psychisch angeschlagen, die kein drittes Mal ein Kind abtreiben möchte.
Ihr zur Seite steht mit dem smarten und charmanten Garry Fischmann als Tennislehrer Chris ein ebenso starker wie gutaussehender Schauspieler. Im Zusammenspiel, wenn sich Nola und Chris näherkommen, knistert es gehörig auf der Bühne. Die sexuelle Anziehung zwischen beiden Charakteren ist absolut nachvollziehbar, das Spiel mit dem Feuer, die Affäre, eine ungewollte Schwangerschaft – Natalja Joselewitsch und Garry Fischmann schaffen es durch ihr authentisches, fesselndes, starkes Schauspiel, das Publikum durchgehend in ihren Bann zu ziehen.
Doch nicht nur Nola ist Chris verfallen. Seine Ehefrau Cloe ist es auch. Sie wünscht sich sehnsüchtig ein Kind von ihm, himmelt ihren Gatten an, verschafft ihm eine angesehene Stellung in ihres Vaters Firma. Sandra Bezler spielt die Rolle mit Leidenschaft, einem äußerst passenden Hang zur Komik und macht unmissverständlich klar, warum sich Chris zwischen Nola und Cloe nicht entscheiden kann – bezaubernd sind beide Frauen auf ihre jeweilige Art.
Als Cloes verwöhnter Bruder Tom ist Jonas Riemer, der eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Ryan Gosling („La La Land“) hat, nicht nur sympathisch, sondern auch ein richtig guter Freund für Chris. Ihre Freundschaft, ihre Leidenschaft für die Oper leben Riemer und Fischmann sichtlich aus und bilden ein tolles Duo. Da ist Andrea Spicher – ebenfalls eine überzeugende Schauspielerin – als Toms Frau Heather buchbedingt leider nur nettes Beiwerk. Doch dieses Schicksal teilt sie sich mit Daniel Rothaug als Detective Mike Banner, Bálint Tóth als Inspector Dowd und Carola von Seckendorff als Mrs. Eastby, die in ihren Rollen auch allesamt fantastisch sind, aber eben nur in wenigen Szenen vorkommen.
Dafür haben Mark Oliver Bögel als Alec und Regine Andratschke als Eleanor zahlreiche Möglichkeiten, sich die Bälle gegenseitig zuzuspielen. Mit perfektem komödiantischen Timing sorgen sie so für zahlreiche Lacher, wobei Andratschke zuweilen auch herrlich bissig sein kann. Eine Schwiegermutter eben, die man sich garantiert nicht wünscht.
Bei dieser durchweg starken Schauspielerriege kann es also maximal Christian Brey als Buchautor und Regisseur versauen. Hat er aber nicht. Im Gegenteilt: Er erzählt die Story von „Match Point“ stringent, spannend und hat den Film perfekt für die Bühne adaptiert, ohne Woody Allens Genialität zu kopieren. Das Bühnengeschehen trägt den Geist des Films, ist aber dennoch ein eigenständiges Werk, für das Brey sich an allen Möglichkeiten der Bühne bedient und sie hervorragend nutzt. Großartig gelungen sind ihm so beispielsweise die Szenenübergänge: Während auf der eine Bühnenhälfte eine Szene gerade endet, beginnt die nächste Szene bereits auf der anderen Bühnenhälfte, so dass ein fließender, fast filmischer Übergang entsteht.
Brillant unterstützt wird die Inszenierung durch die sehenswerte Ausstattung von Anette Hachmann, die zeitgemäße und zur Handlung passende Kostüme und ein einfaches, aber sehr individuell einsetzbares Einheitsbühnenbild geschaffen hat. Im Bühnenbild dominiert – durchaus passend zur Londoner Upper Class – die Farbe Weiß. Mit ein wenig Fantasie kann sich das Publikum in die jeweiligen, optisch oft nur angedeuteten Szenen hineinversetzen – beispielsweise, wenn aus einem Bootssteg in einer anderen Szene ein Tisch wird.
Durch ganz einfache Lichtstimmungen ohne Schnickschnack, die opportune Musik von Matthias Klein und sehr zweckmäßige Soundeffekte wird das Bühnengeschehen abgerundet. Das Aufschlagen eines Tennisballs, Herzklopfen, das Klingen eines fallenden Rings, der am Ende eine bedeutende Rolle spielt – es sind auch die vielen auditiven Kleinigkeiten, die mit der Inszenierung, dem Licht, der Ausstattung, der Musik und den grandiosen Schauspielern verschmelzen und „Match Point“ zu einer äußerst starken Bühnenadaption machen, die den Erwartungen der Filmkenner ganz sicher gerecht wird und auch diejenigen, die mit der Filmvorlage nicht vertraut sind, begeistern wird.
Text: Dominik Lapp