Romantisch und humorvoll: „Shakespeare in Love“ in Bad Hersfeld
Viola de Lesseps will Schauspielerin sein. Weil Ende des 16. Jahrhunderts aber keine Frauen auf der Bühne stehen dürfen, verkleidet sie sich als Mann und schafft es so nicht nur bei Shakespeare auf die Bühne, sondern auch direkt in dessen Herz. Diese genauso romantische wie humorvolle Geschichte wird in der Schauspielkomödie „Shakespeare in Love“ erzählt, die im vergangenen Jahr ihre deutsche Erstaufführung im Rahmen der Bad Hersfelder Festspiele feierte und aufgrund des großen Erfolgs dort auch in diesem Jahr wieder zwischen den Mauern und Säulen der altehrwürdigen Stiftsruine zu sehen ist.
Schon nach wenigen Minuten wird klar, warum das Stück von Lee Hall – basierend auf dem Drehbuch von Marc Norman und Tom Stoppard – in Bad Hersfeld so ein Erfolg ist. Denn „Shakespeare in Love“ lebt nicht nur von einem cleveren, abwechslungsreichen Buch, sondern auch von einem spielfreudigen Ensemble und der kongenialen Inszenierung von Antoine Uitdehaag, der das Stück, wie es das Buch vorsieht, im elisabethanischen Zeitalter in London ansiedelt, aber auch wohldosierte lokale Bezüge („Die Straßen sind so voll, es ist Hessentag“) einbringt und selbst moderne Einschübe nicht scheut.
So liefert Uitdehaag mit „Shakespeare in Love“ keinen bloßen Kostümschinken mit einem Stück im Stück, sondern einen gelungenen Balanceakt zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Vor allem aber schafft er großartige Bilder. Wenn sich beispielsweise die Festgesellschaft zum Ball trifft, dann laufen die Schauspieler und Statisten einerseits in ausladenden, wunderschönen und an der Mode der Renaissance angelehnten Kostümen von Erika Landertinger auf und tragen dazu weiße venezianische Masken. Dabei tanzen sie allerdings zu elektronischer Musik des 21. Jahrhunderts, und vor dem Eingang zum Ball haben sich Türsteher in schwarzen Anzügen für die Gesichtskontrolle positioniert.
Ein weiterer Balanceakt gelingt dem Regisseur, weil er das Stück gleichermaßen als Romanze und Komödie zeigt. Antoine Uitdehaags Inszenierung ist sowohl eine Parodie auf den kommerziellen Theaterbetrieb, als auch eine romantische Liebesgeschichte und liebevolle Hommage an William Shakespeare. Dabei versteht er es perfekt, seine Schauspieler so ausgewogen zwischen Parodie, Romanze und Hommage zu dirigieren, dass der Stoff trotz aller Ironie seine Ernsthaftigkeit nicht verliert.
Auch der Perspektivwechsel im zweiten Akt ist gelungen: Das Stück im Stück, Shakespeares Tragödie „Romeo und Julia“, kommt zur Aufführung, und das Publikum findet sich plötzlich hinter der Bühne wieder. Dort sind allerhand Missgeschicke mitzuerleben, von denen das fiktive Publikum natürlich nichts mitbekommt. So ist der Schauspieler der Julia stimmlich angeschlagen und Viola des Lesseps springt kurzerhand ein, bevor sie mit ihrem Mann London verlässt.
Erzählt wird „Shakespeare in Love“ in Jens Kilians funktionalem Bühnenbild, das aus einer hölzernen Drehbühne und fahrbaren Holzbalkonen besteht, die nicht nur an Shakespeares Globe Theatre erinnern, sondern auch als Balkon am Hause der Familie de Lesseps dienen. Durch weitere fahrbare Kulissenteile entstehen in Sekundenschnelle neue Handlungsorte wie eine Spelunke oder Violas Schlafzimmer, das durch ein aufklappbares Himmelbett dargestellt wird.
Und gerade die Szene, in der sich Will und Viola am Ende des ersten Akts und nach der Pause zu Beginn des zweiten Akts leidenschaftlich in dem Himmelbett lieben, gibt es viel Gelächter. Das aber liegt nicht nur an der witzigen Umsetzung der Szene und dem doppeldeutigen Wortwitz („Ich liebe dein Stück“), sondern auch an der starken Leistung der beiden Hauptdarsteller, die sowohl die komödiantischen als auch die romantischen Momente ihrer Rollen voll auskosten.
Mit Natalja Joselewitsch (Viola de Lesseps) und Dennis Herrmann (Will Shakespeare) steht ein perfekt aufeinander eingespieltes Team auf der Bühne, dem man stundenlang zuhören und zusehen möchte. Einen kleinen Bonuspunkt hat Dennis Herrmann ohnehin, weil er optisch Joseph Fiennes ähnelt, der die Rolle des Will im Film „Shakespeare in Love“ gespielt hat. Doch Herrmann ruht sich darauf keineswegs aus, sondern schafft es durch sein leidenschaftliches Spiel, seinem Will einen eigenen Stempel aufzudrücken und den prominenten Filmkollegen vollends vergessen zu machen.
Den unter einer Schreibblockade leidenden, aufstrebenden Schriftsteller spielt Dennis Herrmann mit großer Energie, die das Publikum von Beginn an mitreißt. Dabei ist er genauso sympathisch wie witzig und genauso verliebt wie entschlossen. Kein Wunder also, dass sich Viola in den smarten Dramatiker verliebt. Doch Natalja Joselewitsch ist nicht nur die Hals über Kopf verknallte junge Frau. Sie zeigt Viola vielmehr als einen Wirbelwind, völlig frei von Konventionen. Sie lässt sich dabei nicht die Strukturen der Gesellschaft aufzwingen und sich in ein enges Korsett schnüren. Joselewitsch spielt so leidenschaftlich wie emotional, so energiegeladen wie unbeschwert eine Frau, die das Theater und die Poesie liebt und optimistisch ihrem Traum folgt. Im Zusammenspiel zwischen Natalja Joselewitsch und Dennis Herrmann hört man geradezu ein erotisches Knistern, spürt man die Leidenschaft, sieht man die verliebten Blicke, wie es authentischer nicht sein kann.
Aber auch die weitere Schauspielerriege kann sich sehen lassen. So ist Bettina Hauenschild eine bezaubernde Amme, die sich rührend und besorgt um Viola kümmert. Maximilian Wigger stellt einen stattlichen Sir Robert de Lesseps dar, Brigitte Grothum überzeugt in ihren kurzen Auftritten als Königin Elisabeth mit ihrer starken Bühnenpräsenz und Martin Semmelrogge gefällt in der kleinen Rolle des stotternden Schneiders Wabash.
Robert Joseph Bartl holt aus seiner Rolle als Theaterfinanzier Fennyman alles raus und hat die Lacher auf seiner Seite, als er den Apotheker in „Romeo und Julia“ mimt. Wunderbar fies spielt dagegen Tilo Keiner seinen Lord Wessex, dem Viola aus finanziellen Gründen zur Frau versprochen wurde, und absolut liebenswürdig gibt Roland Riebeling den Schriftsteller Christopher Marlowe, der seinem Freund Will immer wieder aus Patsche hilft.
Überaus genial und witzig ist dabei eine Szene, in der Will vor Violas Balkon die poetischen Verse vorträgt, die ihm von Marlowe zugeflüstert werden. Das fantastische Zusammenspiel zwischen Roland Riebeling und Dennis Herrmann in dieser Szene belohnt das Publikum mit Szenenapplaus und etlichen Lachern. Wirklich anrührend gelingt ihnen zudem die Schlussszene, in der sich der mittlerweile tote Marlowe zu Will auf die Bühnenkante setzt, beide mit Dosenbier auf die Premiere von „Romeo und Julia“ anstoßen und Will seinem Freund von den Plänen für ein neues Stück mit dem Titel „Was ihr wollt“ berichtet. Rollendeckend agieren außerdem Jens Schäfer als Henslowe, Uwe Dag Berlin als Burbage und Günter Alt als Ralph, wohingegen Philipp Rosenthal als Sam und insbesondere in der Rolle der Julia die Lacher auf seiner Seite hat.
Sehenswert neben all den erstklassigen Schauspielern sind aber auch die Fechtszenen, von denen es einige gibt. Klaus Figge, ein Altmeister des Bühnenkampfs, hat dazu eine herausragende Kampfchoreografie entwickelt, in der minutenlang brillant mit Degen und Schwertern gekämpft wird. So bietet „Shakespeare in Love“ nicht nur geniale Wortgefechte, sondern auch spannende Waffenkämpfe, was letztendlich nur noch einmal unterstreicht, wie abwechslungsreich und kurzweilig diese von Antoine Uitdehaag großartig inszenierte Produktion ist.
Text: Dominik Lapp