Kurzweiliges Krimi-Vergnügen: „Sherlock Holmes – Next Generation“ auf Tour
Alle kennen Sherlock Holmes, den wohl berühmtesten Detektiv der Welt. Nach zahlreichen Büchern, Filmen, Serien und Hörspielen hat der Stoff längst auch den Weg auf die Bühne gefunden. Das 2019 in Hamburg uraufgeführte Musical „Sherlock Holmes – Next Generation“ ist jetzt nach coronabedingter Verschiebung endlich auf Deutschland-Tournee und verspricht ein kurzweiliges Krimi-Vergnügen.
Obwohl es sich bei Sherlock Holmes um eine von Arthur Conan Doyle erdachte Figur handelt, ist das Musical aus der Feder von Rudi Reschke (Idee und Buch), Jo Quirin (Buch) und Christian Heckelsmüller (Musik, Liedtexte) ein originärer Stoff. Das Stück basiert nämlich weder auf einem Fall aus Doyles Büchern noch auf einem Film oder einer Serie.
Vielmehr haben die Autoren ihren eigenen Holmes-Fall erschaffen. Darin geht es um den Raubmord in einem Londoner Museum, bei dem das Auge des Horus gestohlen wurde. Als Sherlock Holmes die Ermittlungen aufnimmt, wird er dabei von einem Waisenjungen namens John unterstützt, der sich im Verlauf der Handlung als Sohn des Meisterdetektivs entpuppt – deshalb die Unterzeile „Next Generation“.
Das Buch ist durchaus spannend, hat aber vor allem im ersten Akt ein paar Längen. Außerdem wird die Story leicht ausgebremst, weil im Grunde fast jedem Charakter ein eigenes Solo auf den Leib geschrieben wurde, obwohl es für den Handlungsverlauf nicht wichtig ist. Darüber hinaus sollte man sich die Besetzungsliste vor dem Musicalbesuch nicht allzu genau durchlesen, weil es darin einen Hinweis auf den Täter gibt – diesen jedoch nicht schon im Vorfeld zu kennen, erhöht den Rätselspaß ungemein. Denn im Buch gibt es immer wieder Entwicklungen und Wendungen, die den Spannungsbogen halten und es dem Publikum gar nicht so einfach machen, den Übeltäter zu ermitteln.
Buchautor Rudi Reschke hat wie schon 2019 die Regie übernommen, zeichnet mit seiner starken Cast hervorragende Rollenporträts und beweist ein sicheres Gespür für intime Szenen genauso wie für spannende Verfolgungsjagden und Zeitlupenkämpfe. Dabei nutzt er die Bühne exzellent, lässt einzelne Szenen auf der linken und andere auf der rechten Bühnenseite spielen, zieht aber auch mal über die gesamte Breite der Spielfläche auf, zum Beispiel im Museum oder in der Opiumhöhle. Das funktioniert in dem einfachen, doch sehr funktionalen Bühnenbild von Dietmar Wolf und Reschke sehr gut.
Dominiert wird die Szenerie von einer mit Vorhängen bespannten Gerüstkonstruktion, die sich in der Mitte in Richtung Auditorium wölbt. Gespielt wird abwechselnd auf zwei Ebenen, Szenenwechsel werden durch hochwertige Projektionen auf den Vorhängen visualisiert, was es dem Publikum ermöglicht, in das London zwischen 1889 und 1910 einzutauchen. Die sich an der damaligen Mode orientierenden Kostüme von Clarissa Freiberg sind ebenso schön anzusehen wie die dynamische Choreografie von Silvia Varelli.
Getragen wird „Sherlock Holmes – Next Generation“ von einer spielfreudigen Riege erstklassiger Darstellerinnen und Darsteller. Mit Ethan Freeman wurde erneut der Künstler verpflichtet, der Sherlock Holmes schon bei der Uraufführung ein authentisches Profil verlieh. Freeman, der bereits als Jugendlicher ein leidenschaftlicher Leser der Holmes-Geschichten war, hat die Rolle des Meisterdetektivs vollkommen verinnerlicht. Ohne andere Sherlock-Schauspieler zu kopieren, erfüllt er alle Erwartungen an diese fantastische Rolle und schafft es trotzdem, seine eigene Interpretation zu finden. So wie Ethan Freeman Sherlock Holmes spielt, ja, so hat man ihn sich vorgestellt. Gesanglich überzeugt er zudem besonders mit seinem eindringlich intonierten Solo „Dein Bild“.
An seiner Seite brilliert Matthias Otte als Dr. Watson, der im Krankenbett mit markerschütternder Intensität sein Kriegstrauma besingt. Florian Minnerop gibt als John einen ungestümen Junior-Detektiv, der stimmlich in dem Song „Zu dir“ glänzt und wunderbar mit Alice Wittmer harmoniert, die als taffe und emanzipierte Catherine in Schauspiel und Gesang außerordentlich gut gefällt.
Mit seinem volltönenden Tenor sticht Aciel Martinez Poll als Aleister Crowley hervor, Lénard Kókai verleiht Bürgermeister Strong eine glaubwürdige und manchmal sogar verdächtige Kontur, Annette Lubosch erweist sich als Miss Hudson als gute Seele der Baker Street 221b, eine geheimnisvolle Irene Adler spielt Barbara Weiß und als Frau mit zwei Gesichtern erweist sich Sonja Herrmann in der Rolle der Mrs. Mason. Eine gute Figur macht außerdem Claudio Maniscalco als Inspector Lestrade, wirkt aber durch einen angeklebten Schnauzer und übertrieben ausgeprägte Augenbrauen leider wie eine Karikatur seiner selbst.
Zuletzt ist da noch die Musik von Christian Heckelsmüller, der in seiner Partitur aus dem Vollen schöpft, virtuos mit verschiedenen Stilen spielt. Mit der eingängigen Nummer „Ein Fall für Sherlock Holmes“, deren Rhythmus an die Titelmelodie von „Inspector Gadget“ erinnert, hat Heckelsmüller einen echten Gassenhauer komponiert zwischen all den anderen schönen Songs, die mal poppig und jazzig, mal soulig, groovig und sogar orientalisch klingen.
Text: Dominik Lapp