Mit neuem Titel: „Soho Cinderella*“ in Ettlingen
Ein queeres Aschenputtel. Geht das? Und wie! Doch weil der englische Originaltitel „Soho Cinders“ für das deutsche Publikum zu sperrig ist, kommt das Musical von George Stiles (Musik), Anthony Drewe (Buch und Songtexte) und Elliot Davis (Buch), das letztes Jahr in Osnabrück seine deutschsprachige Erstaufführung feierte, nun bei den Schlossfestspielen Ettlingen unter dem Titel „Soho Cinderella*“ (mit Gendersternchen!) zur Aufführung. Erneut führt Christian Stadlhofer Regie, der wieder für einen kurzweiligen Abend sorgt.
Bei Stiles und Drewe ist das Aschenputtel männlich, schwul und verarmt sowie mit zwei hässlichen Stiefschwestern bestraft. Seine Nebentätigkeit als Escort beschert Robbie die große Liebe. Allerdings handelt es sich bei seinem Traumprinzen ausgerechnet um James Prince, der als aufstrebender Jungpolitiker Bürgermeister von London werden möchte und bereits mit der Anwältin Marilyn Platt verlobt ist. So treffen zwei Welten aufeinander und ein Skandal bahnt sich an, in den auch noch ein Lord verwickelt ist.
Das Stück (Übersetzung: Holger Hauer) erzählt eine Geschichte von der und für die LGBTQ+ Community, geschrieben von einem Team, das selbst in der Gemeinschaft zu Hause ist und – längst überfällig – eine queere Figur nicht zum Sidekick, sondern zur Hauptfigur macht. Diesen Charakter noch mit einer modernen Fassung des Aschenputtel-Märchens zu verknüpfen, erweist sich als geniale Idee.
In seiner Inszenierung erzählt Christian Stadlhofer nicht nur die zentrale Geschichte rund um Robbie, sondern legt einen Fokus auf kleine Nebenhandlungen. Dabei nimmt er alle Figuren und ihre Geschichten ernst, verwebt die Handlungsstränge miteinander und bringt alles gemeinsam zu einem großen Finale. In Verbindung mit der mitreißenden Choreografie von Vanni Viscusi entwickelt die Inszenierung eine wunderbare Dynamik und ein angenehmes Tempo. Im Vergleich zu Osnabrück sind im Ettlinger Schlosshof allerdings gewaltige Abstriche beim Ton zu machen – der Hall trübt das Hörerlebnis stark. Hinzu kommt, dass das Stück auf der extrem breiten Bühne viel von seiner Intimität einbüßt und die langen Laufwege auf Kosten fließender Szenenübergänge gehen.
Das Bühnenbild von Jörg Brombacher ist unverändert einfach, aber flexibel nutzbar: Insgesamt drei Häuserfronten lassen verschiedene Orte wie einen Waschsalon, Nachtclub oder den Trafalgar Square entstehen. Seine ganze Wirkung entfaltet das Set jedoch erst durch das gelungene Lichtdesign von Michael Grundner. Die Kostüme von Gesa Gröning spiegeln die Mode der Gegenwart wider, unterstreichen die einzelnen Charaktere hervorragend und sind im Vergleich zur Osnabrücker Inszenierung ausgefallener und hochwertiger – einzig Robbies Prada-Anzug im Seventies-Stil wirkt sehr gewöhnungsbedürftig.
Die 17 Songs umfassende Partitur klingt durch die fünfköpfige Band (Keyboard, Drums, Bass, zwei Gitarren) unter der Leitung von Max McMahon genauso abwechslungsreich wie heutig und frisch, bietet emotionale Duette, Popsoli und große Ensemblenummern. Besonders der Song „Du gehst heut auf den Ball“, mit dem der erste Akt beendet und der zweite eröffnet wird, erweist sich als stimmiger Ohrwurm, der in der Pause sogar auf der Toilette gesummt wird.
Ein Teil der Osnabrücker Cast steht auch in Ettlingen auf der Bühne. Clara Marie Hendel mimt als Velcro wieder Robbies beste Freundin und schöpft dabei erneut schauspielerisch wie gesanglich aus dem Vollen. Mit dem Duett „Lass ihn gehen“ gehört ihr (zusammen mit Lina Gerlitz) zudem der stärkste und emotionalste Moment des Abends. Ein nach wie vor grandioses Schwesterngespann stellen Manar Elsayed als Clodagh und Anna Fink als Dana dar. Sie überzeichnen ihre fiesen Figuren karikaturesk, sind sich für keine Mimik und keine Bewegung zu schade, so dass sie dem Publikum damit etliche Lachsalven entlocken.
Dennis Hupka ist neu gecastet worden und gibt einen smarten Robbie. Als verarmter Student, der sich mit Escort-Diensten finanziell über Wasser hält, macht er einen sympathischen Eindruck und glänzt mit seiner strahlenden Stimme. Recht blass wirkt dagegen Alexander Mikliss als aufstrebender Jungpolitiker James Prince, dem man die Rolle nicht abnimmt – auch dass Robbie und James unsterblich ineinander verliebt sind, wird nicht glaubhaft vermittelt. Zwischen Hupka und Mikliss knistert nichts.
Dass ausgerechnet die älteren Darsteller der Cast hinter den Leistungen ihrer jüngeren Kolleginnen und Kollegen zurückbleiben, überrascht sehr. So zeichnet Tomek Delsky als William George einen farblosen Wahlkampfmanager und selbst dem erfahrenen und versierten Claus Dam gelingt es nicht, seinem Lord Bellingham die nötige Kontur zu verleihen.
Herrlich jung und präsent agiert Leonie Dietrich in der Rolle der anfangs steifen und bebrillten Wahlkampfassistentin, die später die Hüllen (und die Brille) fallen lässt und sich gegen ihren sexistischen Chef zur Wehr setzt. Extrem stark ist auch die Leistung von Tamara Wörner, die als liebenswürdige Erzählerin durch die Handlung führt und dabei immer wieder in neue Rollen eintaucht. Den stärksten Eindruck hinterlässt jedoch Lina Gerlitz als Marilyn Platt, die schauspielerisch als taffe Anwältin und betrogene Verlobte überzeugt, gesanglich alles überstrahlt und in jeder Szene (auch dank ihrer wunderschönen Kostüme) den Fokus auf sich zieht.
Die Übersiedlung von „Soho Cinderella*“ von Osnabrück nach Ettlingen ist insgesamt also durchaus geglückt, wenn man von den genannten Schwächen einmal absieht. Wer aber ohnehin keinen Vergleich hat, wird bei den Schlossfestspielen einen kurzweiligen und unterhaltsamen Musicalabend mit einer rührenden Botschaft erleben.
Text: Dominik Lapp