Komische Oper Berlin (Foto: Dominik Lapp)
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Albtraumhaftes Labyrinth: „Sweeney Todd“ in Berlin

Das Musical „Sweeney Todd“ von Stephen Sondheim (Musik und Songtexte) und Hugh Wheeler (Buch) ist ein düsteres Meisterwerk über Rache, Macht und gesellschaftliche Abgründe – eine Herausforderung für jede Inszenierung. Regisseur Barrie Kosky setzt an der Komischen Oper Berlin mit seinem mutigen und stilistisch eigenständigen Ansatz einen besonderen Akzent, der sich klar von traditionellen Interpretationen abhebt.

Kosky und Bühnenbildnerin Katrin Lea Tag vermeiden klischeehaftes Londoner Flair und kreieren stattdessen einen albtraumhaften Fantasieraum, inspiriert von den sozialen Spannungen des Thatcher-Englands der Achtzigerjahre und den düsteren Großstadtwelten der Weimarer Republik. Der zentrale Bühnenraum, von einem viktorianischen Theaterportal eingerahmt, dient als klaustrophobisches Labyrinth aus Hoffnungslosigkeit. Mrs. Lovetts Pastetenbäckerei und Todds Salon thronen wie bedrückende Bühnenbilder der sozialen Ungleichheit übereinander. Im Hintergrund flackern monumentale Schwarzweiß-Bilder von London – ein gespenstisches Echo der verlorenen Seelen dieser Geschichte.

Die Kostüme, für die ebenfalls Katrin Lea Tag verantwortlich zeichnet, unterstreichen die erzählerische Doppelbödigkeit: Der Chor – Kosky zufolge sowohl griechischer Kommentator als auch greifbarer Akteur – ist in Schwarz und Grau gehalten, was seine abstrakte Funktion betont. Die solistischen Figuren hingegen tragen zum Teil farbenfrohe, fast groteske Outfits, die ihre psychologische Tiefe herausarbeiten. Besonders sticht Adolfo Pirelli heraus, dessen exzentrischer Auftritt zu einem farblichen und charakterlichen Höhepunkt des Abends wird.

James Gaffigan führt das Orchester der Komischen Oper Berlin mit sicherer Hand durch Sondheims anspruchsvolle Partitur. Der Klang ist scharf und präzise, ohne die Tiefe zu opfern. Der Chor, ein zentrales Element dieser Inszenierung, überzeugt unter der Leitung von David Cavelius durch sein homogenes Klangbild und die Fähigkeit, sowohl als bedrohlicher Klangkörper als auch als Gruppe individueller Charaktere zu agieren.

Christopher Purves gibt Sweeney Todd mit beeindruckendem Habitus. Seine dunkle Stimme verleiht dem geschundenen Barbier eine ebenso gefährliche wie verletzliche Aura. Dagmar Manzel als Mrs. Lovett hingegen glänzt mit ihrer Bühnenpräsenz und einem hinreißend sarkastischen Humor. Ihre Chemie mit Purves ist elektrisierend und verleiht der morbiden Komik des Stücks eine bittersüße Note.

Die jungen Liebenden, Anthony Hope und Johanna Barker, bringen – gespielt von Hubert Zapiór und Alma Sadé – zarte lyrische Momente ein, die den ansonsten düsteren Ton kontrastieren, während Tom Schimon als Tobias Ragg durch seine kindlich-unbedarfte Darstellung und klare Stimme beeindruckt. 

Scott Wilde als Richter Turpin und James Kryshak als Beadle Bamford geben das korrupte Machtgefüge mit widerwärtiger Überzeugung. Sigalit Feig verleiht der Bettlerin mit ihrer intensiven, rätselhaften Präsenz eine starke Kontur, Ivan Turšić begeistert als Adolfo Pirelli mit einer prunkvollen, überdrehten Darstellung, die den komödiantischen Gegenpol zur düsteren Grundstimmung des Stücks bildet.

Barrie Kosky gelingt es, „Sweeney Todd“ aus der viktorianischen Schublade zu befreien und in einen Raum zeitloser Verlorenheit zu verlegen. Die Inszenierung beeindruckt durch ihre konsequente Bildsprache, musikalische Präzision und eine schauspielerisch wie gesanglich brillante Ensembleleistung. In dieser labyrinthischen Metropole, wo Hoffnung verloren scheint, erzählt der Regisseur keine bloße Rachegeschichte, sondern einen Abgesang auf soziale Kälte und entfremdete Menschlichkeit. Ein unvergesslicher Abend – verstörend, faszinierend und packend.

Text: Christoph Doerner

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Nach seinem Studium der Musiktheaterwissenschaft, einem Volontariat sowie mehreren journalistischen Stationen im In- und Ausland, ist Christoph Doerner seit einigen Jahren als freier Journalist, Texter und Berater tätig.