Gelungene Umsetzung: „The Boys from Syracuse“ in Erfurt
Zwei Zwillingspaare: zwei Brüder und deren Sklaven. Die Paare werden in früher Jugend getrennt, je ein Herr und sein Diener, die einen leben in Syrakus, die anderen in Ephesus, beide Städte miteinander derart verfeindet, dass den Ephesern in Syrakus die Todesstrafe droht, den Syrakusern in Ephesus aber auch. Die ephesische Hälfte der Zwillingspaare hat sich dort eingelebt und verheiratet, die Syrakuser sind auf der Suche nach ihren jeweiligen Brüdern und landen dabei schlussendlich in Ephesus. Dort soll eben ein syrakusischer Kaufmann hingerichtet werden, der den Tod willkommen heißt, weil er seine Zwillingssöhne und deren Sklaven verlor. Lässt Irrungen, Wirrungen und ziemlich viel Komödie erwarten? Stimmt, denn Shakespeare hat aus der antiken Vorlage seine „Comedy of Errors“ geformt und Richard Rodgers hat diese mit Gesangstexten von Lorenz Hart (Buch: George Abbott) zum Musical „The Boys from Syracuse“ umgeschrieben, das 1938 in New York uraufgeführt wurde und jetzt am Theater Erfurt zu sehen ist.
Das alles klingt ziemlich alt, kann das noch interessieren, gar zum Lachen bringen? Muss das nicht angestaubt daherkommen? Könnte man meinen, aber in der Inszenierung von Geertje Boeden stimmt einfach alles. Das Bühnenbild von Philip Rubner schafft den Spagat zwischen klassisch-griechisch und modern-schrill durch kubische Fassaden. Eine zentrale Treppe geradlinig von der Bühnenmitte zum Hintergrund wird von zwei drehbaren hochkanten Rechtecken bekrönt, die sowohl Stadtmauern als auch Richtstätte und Tempel darstellen können, in der Flucht zur Treppe jeweils an griechische Dörfer oder Bauhaus erinnernde Fassaden, links mit Ladenabteilen (eine Schneiderei mit Leuchtreklame und ein eiskalt senfgelb gekacheltes, doch mit einem Pflanzenvorhang zur Straße geschlossenes Bordell, das an eine Badelandschaft erinnert), rechts Wohnhäuser. Das herrschaftliche Wohnhaus der Epheser Brüder kann von rechts zur Bühnenmitte eingeschoben werden, es hat mehrere Wohnebenen und eine Außentreppe, die zum nicht von allen Plätzen aus einsehbaren Dachgarten führt. Überall stehen Kakteen herum, an denen sich immer mal wieder jemand sticht.
Opulente, schrille, klassisch-modern geschnittene Kostüme von Sarah Antonia Rung in glänzenden, edlen Stoffen unterstreichen den Reichtum und die Dekadenz der Oberschicht – die Sklaven müssen sich mit stoffeligen Trachten begnügen, die ein klein wenig seppelhaft wirken. Aber das ist gewollt. Sklaven wurden als Sachen angesehen, im Laufe des Stücks treten sie (verkörpert von der Statisterie des Theaters Erfurt) unter anderem als Möbelstücke und Hausrat auf – in sehr gelungenen fantasievollen Kostümen shakespearescher Verzauberung. Besonders gefällt die Uhr, deren Zifferblatt das Gesicht der Darstellerin bildet, inklusive Uhrzeiger auf der Nasenspitze. Auch die Tonne des Diogenes tritt in Erscheinung. Zunächst stülpt sie sich der Magier (wundervoll überzeichnete Figur, trefflich verkörpert und gesungen von Jörg Rathmann) über sein Tutu, es gibt aber auch ein ganzes Tonnenballett. Überhaupt gibt es viele mitreißende Balletteinlagen, es tanzt im Laufe des Stückes wirklich jeder, was dank der gelungenen Choreografie von Annika Dickel großen Spaß macht, weil es einfach gut aussieht, flott, exakt und flüssig.
Das Philharmonische Orchester Erfurt unter der musikalischen Leitung von Clemens Fieguth lässt es ordentlich krachen, sauber intoniert und schmissig gespielt begeistern die Melodien von 1938 auch heute, vor allem da echte Orchester in Musicalproduktionen immer seltener werden.
Die Besetzung erweist sich ausnahmslos als Glücksgriff. Benjamin Eberling als Antipholus von Syrakus und Dejan Brkic als Antipholus von Ephesus gelingt das Kunststück, tatsächlich wie Zwillingsbrüder zu wirken, man verwechselt sie ständig, obwohl sie sich eigentlich gar nicht so zwillingshaft ähneln. Doch dank der gleichen Kostüme, der gleichen Frisur und Barttracht, vor allem aber durch ihr erstaunlich gut abgestimmtes Schauspiel – beide hinreißend gönnerhaft, ein bisschen von oben herab, aber auch bärig gutmütig – und ihren kraftvoll-sonoren Gesang meint man, echte Zwillinge vor sich zu haben.
Livio Cecini, der als Dromio von Syrakus ein wenig gutmütig-naiv-verschmitzt daherkommt, ebenso wie Máté Sólyom-Nagy als Dromio von Ephesus, schaffen ein ähnlich schweres Kunststück – auch hier ist das Zwillingspaar absolut überzeugend dargestellt, man leidet mit den armen Dienern mit, sie sind absolute Sympathieträger und beweisen großes komödiantisches Talent.
Adriana, die Frau des Antipholus von E., wird wunderbar exaltiert von Daniela Gerstenmeyer dargestellt, ihre Schwester Luciana schwankend zwischen Verträumtheit, Mutlosigkeit und aufkeimender Liebe sehr überzeugend mit klarer Stimme von Johanna Spantzel. Bodenständig, hemdsärmelig und sehr energisch wirkt Luce (Katja Bildt), die Frau des Dromio von Ephesus, mit warmer Stimme.
Die Figur des Sergeanten wurde von Rodgers und Hart hinzugefügt, bei der Uraufführung gar in Nazi-Uniform. Hier wird er schneidig mit sichtlicher Spielfreude und nuanciertem Gesang von Ethan Freeman in eleganter militärischer Polizeiuniform auf die Bühne gebracht. Nina Janke sorgt als Kurtisane gekonnt für die nötige Erotik mit einer guten Portion Humor, echter Sympathieträger ist auch Angelo, der Goldschmied, hinreißend gespielt von Björn Christian Kuhn.
Passend pompös gespielt, jedoch sehr schwer zu verstehen ist der Herzog von Ephesus (Juri Batukov). Insgesamt lässt die Textverständlichkeit besonders im ersten Akt zu wünschen übrig, einziges Manko der ansonsten wunderbar gelungenen Aufführung. In jeweils mehreren Rollen gefallen auch Karin Seyfried, Steffi Regner, Marina Granchette, Christopher Wernecke und Daniel Hauser, besonders hervorzuheben sei hier Arne David als gebeutelter Kaufmann von Syrakus.
Wenn nach vielen Komplikationen, Schicksalsschlägen, Liebeswirren und Verwechslungen endlich die Aufklärung aller Rätsel das große glückliche Finale einläutet, ist der nicht enden wollende Applaus sehr verdient. Fantastische Darsteller, wunderbares Orchester, opulente Ausstattung, fantasievolles Bühnenbild, unaufdringliche Lichttechnik, ein sehr schönes Theater und ein auch heute noch mitreißendes, urkomisches Musical sind die passenden Zutaten für einen gelungenen Abend. Sehr zu empfehlen!
Text: Hildegard Wiecker