Mit Lokalkolorit: „The Last Ship“ in Lübeck
Am Theater Lübeck wurde ein großer Dampfer vom Stapel gelassen. Das zum Teil autobiografische Musical „The Last Ship“ mit der Musik und den Songtexten von Weltstar Sting überzeugt in einer sehr soliden Inszenierung von Malte C. Lachmann.
Das Musical spielt in Stings Geburtsort, dem englischen Küstenort Wallsend. In der Werft liegt ein Schiff, die Utopia. Noch längst nicht zu Ende gebaut, aber nicht mehr gewollt und nicht mehr gebraucht, weil das Konsortium, das sie bestellt hat, bankrott ist. Die Stammbelegschaft kämpft um das Schiff und die daran hängenden Jobs. Es ist eine Geschichte, wie sie auch aus dem maritimen Lübeck stammen könnte.
Regisseur Malte C. Lachmann holt mit seiner Inszenierung deshalb die Realität auf die Bühne, indem er auf dem eisernen Vorhang Videosequenzen abspielt, die Lübecker Hafenarbeiter in den 1970er Jahren zeigen. Allerdings zeigt er diese Sequenzen nur zu Beginn und am Schluss, spinnt diesen Lokalbezug aber innerhalb der Story nicht weiter. Dennoch vermittelt das Stück in dem puristischen Bühnenbild von Ramona Rauchbach eine große Portion Lokalkolorit.
Wer bei Sting ein Jukebox-Musical erwartet (oder befürchtet?), wird schnell eines Besseren belehrt. Der vielseitige Musiker und Komponist hat originäre Musik geschrieben, die die Handlung trägt und maritime Stimmung vermittelt. Der Partitur vollends gerecht wird dabei die achtköpfige Band unter der Leitung von Willy Daum, die einen guten Stilmix aus Pop, Rock und Folk spielt.
Mit seinem Buchautor Lorne Campbell erzählt Sting eine sozialkritische Geschichte, die andernorts nur so lange funktionierte, wie der Komponist selbst darin mitspielte, in Lübeck jedoch ohne ihren Mastermind auskommt – was dem mitreißenden Ensemble zu verdanken ist. Die fünf Frauen und acht Männer tragen dieses Stück jederzeit zupackend und ergebnisorientiert. Eine zunehmend wichtige Rolle spielen dabei insbesondere die Damen.
Allen voran überzeugt Vasiliki Roussi, die als Meg Dawson nicht nur gesanglich fantastisch ist. Als alleinerziehende Mutter betreibt Meg eine Hafenkneipe und steht selbstbewusst mit beiden Beinen im Leben. Dieses Rollenbild zeichnet Roussi glaubhaft. Der jungen Meg drückt Tina Haas dagegen wunderbar den Stempel jugendlicher Leichtigkeit auf. Von ihrer Jugendliebe sitzen gelassen, wird so deutlich, wie aus Meg die starke Frau wurde, die Kind und Job exzellent unter einen Hut bekommt.
Lilly Gropper mimt als Ellen Dawson Megs Tochter. Sie entwickelt das authentische Rollenbild einer 16-jährigen Nachwuchsmusikerin, die von einer musikalischen Karriere in London träumt und sich selbstsicher durchs Teenager-Leben schlägt. Dabei glänzt Gropper schauspielerisch genauso wie gesanglich.
Komplettiert wird die Frauenriege durch Susanne Höhne als Peggy White und Katharina Abt als Mrs. Dees. Höhne berührt mit ihrem Schauspiel, wenn sich Peggy zunehmend besorgt zeigt angesichts des Gesundheitszustands ihres Mannes. Obwohl die Rolle der Mrs. Dees wesentlich kleiner ausfällt, versteht es aber auch Katharina Abt, ihr ein passendes Profil zu verleihen.
Aus der Herrenriege sticht insbesondere Andreas Hutzel als Jackie White hervor. Er gibt einen energisch ans Werk gehenden Vorarbeiter, der sich klassenkämpferisch für den Erhalt der Werft und die Belegschaft einsetzt. Ihm gegenüber steht Sven Simon, der als Werft-Geschäftsführer Fred Newlands einen herrlich arroganten Ton anschlägt.
Fast unscheinbar und doch nicht zu übersehen ist Johannes Merz als Gideon Fletcher, der einst Meg sitzen ließ – nicht wissend, dass sie schwanger ist – und sich für 17 Jahre auf See begab. Ihm gelingt eine schöne Rollenentwicklung vom Heimkehrer, der sich plötzlich in der Vaterrolle wiederfindet und sich langsam seiner Jugendliebe wiederannähert.
Nach rund drei Stunden hinterlässt „The Last Ship“ einen nachhaltigen Eindruck. Neben der starken Gesamtleistung des Ensembles ist es die Verschmelzung der sozialkritischen Story mit Stings gelungener Musik, die das Publikum mitreißt und zu lang anhaltendem Schlussapplaus animiert.
Text: Dominik Lapp