„The Prom“ (Foto: Roy Beusker / Annemieke van der Togt)
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It’s time to celebrate: „The Prom“ in den Niederlanden

Die Niederlande galten schon immer als erstklassige Adresse für Musicalproduktionen, sowohl für hochkarätige Ensuite-Stücke als auch für Tourneen, die quer durchs Land ziehen. Mit der Spielzeit 2022/2023 bringt De Graaf en Cornelissen Entertainment das Broadway-Musical „The Prom“ (Musik: Matthew Sklar, Texte: Chad Beguelin und Bob Martin) und Netflix-Erfolg mit Meryl Streep in der Hauptrolle unter der Regie von Paul van Ewijk zur niederländischen Erstaufführung.

Die Handlung basiert auf einer wahren Begebenheit: Der Abschlussball auf der High School – die Prom – ist für amerikanische Teenager einer der wichtigsten Abende in ihrem bis dato jungen Leben. So auch für Emma (Juliette van Tongeren) und Alyssa (Soraya Gerrits). Allerdings bleibt ihnen in dem konservativen, kleinkarierten Städtchen Edgewater im US-amerikanischen Bundesstaat Indiana eines verwehrt: Dass sie ihre lesbische Liebe öffentlich ausleben und den Ball gemeinsam besuchen können – als Paar.

Gleichzeitig träumen vier ausrangierte und mittlerweile arbeitslose Broadwaystars von den glorreichen alten Zeiten, als man sie noch feierte und zutiefst bewunderte. Die Kritiken sind haarsträubend und als man ihnen Narzissmus und Egoismus vorwirft, wollen sie das so gar nicht auf sich sitzen lassen. Es wird schnell ein Plan gefasst: Ein Sozialprojekt muss her, frei nach dem Motto, mit einer guten Tat die Welt ein klein wenig verändern! Dass man sich selbst dabei wieder ins rechte Licht rückt, kann natürlich nicht schaden. Die Wahl fällt auf Emma. Und somit reisen die Broadwaystars völlig überzeugt von sich ins tiefste Indiana und richten nicht gerade wenig Chaos an, was das ganze Vorhaben beinahe gehörig schiefgehen lässt.

Hauptdarstellerin Juliette van Tongeren ist als Emma ein wahres Juwel und echter Gewinn für die Produktion. Willensstark und mutig, aber auch glaubhaft verletzlich und zerbrechlich ist ihre Protagonistin der strahlende Mittelpunkt des Abends. Äußerst greifbar kann das Publikum mitfühlen, was in der Teenagerin vorgehen mag, die einfach nur eines möchte: Sich mit dem Mädchen, das sie liebt, in aller Öffentlichkeit zeigen – wie alle Jugendlichen. Es ist der Kampf gegen eine innere Ohnmacht, die sie zwar immer wieder übermannt, aber letztendlich nicht gewinnen lässt. Van Tongeren begeistert mit einer enormen Spielfreude, Schauspiel auf sehr hohem Niveau und einer zweifellosen Bühnenpräsenz trotz oder vielleicht auch gerade aufgrund ihrer äußerlich zarten Persönlichkeit. Ihren leichten und zugleich sehr ausdrucksstarken Sopran untermalt sie mit sanften Gitarrenklängen und berührt vor allem in ihrem letzten großen Solo vor dem Laptop mehr als nachdrücklich.

Alyssa Green ist Emmas große Liebe und wird sehr gelungen von Soraya Gerrits verkörpert. Sie gilt als Paradebeispiel einer Tochter aus gutem Hause: talentiert, hübsch, erfolgreich, den strengen Befehlen ihrer Mutter (Wieneke Remmers) folgend. Doch dabei ist Alyssa gefangen in sich selbst, hat nie die Möglichkeit zu zeigen, wer sie ist, wen sie liebt und leidet darunter enorm. Gerrits überzeugt mit klangschönem Gesang und authentischer Darstellung. Ihre Alyssa schafft es, am Ende die Fesseln der Gesellschaft zu lösen und zu sich und ihrer großen Liebe zu stehen.

„The Prom“ (Foto: Roy Beusker / Annemieke van der Togt)

Neben Emma glänzt aber noch eine ganz andere Dame im Mittelpunkt und Rampenlicht: Broadway-Diva (Diva im wahrsten Sinne des Wortes!) und mehrfache Tony-Award-Gewinnerin Dee Dee Allen (Pia Douwes). Dee Dee Allen hat zunächst allerdings ihre besten Jahre hinter sich. Die Leute wenden sich von ihr ab, die Kritiken sind miserabel, die Karriere scheint beendet. Ganz und gar nicht beendet hingegen ist die Karriere von Pia Douwes. Nach über dreijähriger stimmlicher Zwangspause ist sie an diesem Abend als gefeierter Star zurück auf der Bühne – und brilliert mehr denn je in einer Rolle, die ihr scheinbar auf den Leib geschneidert wurde.

Herrlich überzogen und überdramatisch, aber zugleich auch mit sehr viel Herz und Gefühl interpretiert sie die ehemalige Bühnenkönigin meisterhaft. Bekannt für ihre ausdrucksstarke Mimik hat Douwes oftmals die Lacher auf ihrer Seite, als Dee Dee Allen sich zu Dingen überreden lassen muss, die ihr offensichtlich nicht gefallen. Mit äußerst einnehmender Bühnenpräsenz wie man es von ihr gewöhnt ist, durchdringendem Belt und dem richtigen Gespür für jede (Tanz-)Bewegung legt sie als Dee Dee Allen einen ersten Soloauftritt hin, der das Publikum gefühlt minutenlang applaudieren lässt.

Douwes gelingt der Spagat zwischen der Diva, die die besten Jahre bereits hinter sich hat, dies aber zu keiner Zeit einsehen will, sowie dem großen Mitgefühl, das in ihr gegenüber Emma emporwächst, wunderbar ausgewogen, humorvoll und authentisch. Am Ende trägt Allen dadurch selbst den vielleicht größten Gewinn ihres Lebens mit sich nach Hause – dass es sehr bereichernd ist, für andere einzustehen.

Begleitet wird Dee Dee Allen von ihrer herrlich chaotischen, leicht schrägen, liebenswürdigen Gruppe: Angie Dickinson ist nach 20 Jahren im Ensemble von „Chicago“ und ohne jemals die Chance auf den Part der Roxie Hart in die Arbeitslosigkeit gerutscht und wird äußerst amüsant und stimmlich stark von Joke de Kruijf verkörpert. Dennis Willekens kreiert einen hervorragenden Barry Glickman, der ebenfalls in Allens letztem Musical floppte und zudem stets noch damit kämpft, dass er als homosexueller Teenager praktisch aus dem Haus gejagt wurde.

Als Vierter im Bunde ist Trent Oliver (Barry Beijer), ein mittelloser, wenn auch sehr leidenschaftlicher, ambitionierter Schauspieler, dessen Erfolge bereits Lichtjahre zurückliegen. Douwes, de Kruijf, Willekens und Beijer geben ein unterhaltsames Quartett ab, als sie das kleine Städtchen in Indiana wohl oder übel komplett auf den Kopf stellen und haben mehr als einmal die Lacher auf ihrer Seite.

Schuldirektor Mr. Hawkins (Rogier Komproe) hat einen schwierigen Stand zwischen der konservativen Elternschaft, allen voran Mrs. Green (Wieneke Remmers) als Elternvertreterin und Mutter von Alyssa. Ein inklusiver Ball für alle und gleiche Rechte für Emma, wie er es sich wünscht, haben in Indiana keine Chance, wird der Gedanke doch äußerst entrüstet niedergetrampelt. Komproe gelingt ein liebenswürdiger, sehr empathischer Direktor, der völlig aus dem Häuschen ist, als Dee Dee Allen, für die er stets große Bewunderung hegte, in seiner Schulaula übers Parkett wirbelt. Ein charmantes Match zwischen Douwes und Komproe entsteht – das aber auch dafür sorgt, dass Allen ihre eigene Haltung überdenkt und doch beginnt, ein wenig von ihrem egozentrischen Verhalten abzulegen.

„The Prom“ (Foto: Roy Beusker / Annemieke van der Togt)

Dem Gespann der Erwachsenen stehen die jugendlich wirkenden Darstellerinnen und Darsteller gegenüber. Hier wurde ein Großteil von Absolventinnen und Absolventen sowie Studierenden der renommierten niederländischen Musicalhochschulen Frank Sanders Akademie in Amsterdam und Fontys Hogeschool voor de Kunsten in Tilburg verpflichtet. Ausdrucksstark, einheitlich in Tanz und Gesang und mit viel Sympathie verkörpern sie den Wahnsinn des amerikanischen High-School-Alltags: Intrigen, Grüppchenbildung, Mobbing, Unsicherheiten, die erste große Liebe, die Suche nach Anerkennung – all das gelingt dem frischen Ensemble großartig. Vor allem auch tänzerisch sind die jungen Künstlerinnen und Künstler sehr sicher unterwegs und interpretieren die anschaulichen Choreografien von Chiara Re mehr als gelungen.

Musikalisch begleitet wird „The Prom“ schwungvoll durch die Band unter der Leitung von Billy Maluw. Poppige Melodien, gängige Rhythmen und berührende Balladen wechseln sich ab. Zudem bleibt genügend Spielraum für Dialoge und Szenenwechsel, wenn auch Letztere hier und da noch ein wenig fließender hätten sein können. Am Ende mag jedem Zuschauer die Nummer „Sta op en dans“ („It‘s time to dance“) im Ohr geblieben sein, als Emma ihre Alyssa mit den Worten „Mag ik deze dans van jou“ endlich zum Tanz auffordern darf.

Das Bühnenbild von Marjolein Ettema ist vergleichsweise schlicht, aber dennoch ausreichend. Einzelne Requisiten finden ihren Platz auf der Bühne, wie die Bar in New York beim Opening, die Rezeption und das Sofa im Motel in Indiana, eine Sitzbank im einzigen Restaurant der Stadt, Schließfächer in der High School oder nicht zuletzt Emmas Bett, das zum zentralen Mittelpunkt wird, als Emma ihr selbstgeschriebenes Lied im Internet aufnimmt und vertont, weshalb die ganze Welt von ihrer Geschichte erfährt.

Der geschickte Einsatz von Licht (Coen van der Hoeven) und Sound (Jan van Dijk) sowie passenden Hintergründen unterstreicht dieses sehr gelungen, so dass weniger manchmal auch mehr sein kann. Lediglich beim großen Finale, der Prom für alle, hätte ein wenig Glitzer und Glamour mehr aufgetragen werden können. Die Kostüme von Arno Bremers sind jugendlich-farbenfroh und sportlich auf die Schülerschar angepasst, wohingegen jeder der Broadwaystars seine ganz eigene, persönliche Note erhält. Trägt Dee Dee Allen hauptsächlich äußerst viele, etwas aufdringliche Farben, ist Angie Dickinson hingegen dem „Chicago“-Motto treu geblieben und stets im kleinen Schwarzen gekleidet – in der Hoffnung, dass es doch noch etwas wird mit der großen Hauptrolle.

De Graaf en Cornelissen Entertainment ist mit „The Prom“ ein wahres Fest gelungen, das am Premierenabend Konfetti fliegen lässt. Sehr sympathisch ist auch, dass die Produktion auf die Niederlande angepasst wurde, säumen doch Plakate weiterer holländischer Inszenierungen die Broadway-Leuchtreklamen oder sorgt die Erwähnung von „Mijn leven is van mij“ im Bezug auf Dee Dee Allen für große Lacher im Publikum. Wo der Film doch einige Längen aufweist, ist das Musical kurzweilig, gerafft, äußerst amüsant und unterhaltsam. Regisseur Paul van Ewijk hat eine Vorstellung geschaffen, die begeistert, Tränen lachen lässt, zum Nachdenken anregt und zudem die eigene Haltung hinterfragt. Den Zuschauerinnen und Zuschauern scheint es gefallen zu haben – wird doch die Premiere mit stellenweise Szenenapplaus, Jubel und stehenden Ovationen begleitet und gefeiert. It‘s definitely time to celebrate!

Text: Katharina Karsunke

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Katharina Karsunke ist Sozial- und Theaterpädagogin, hat jahrelang Theater gespielt, aber auch Kindertheaterstücke geschrieben und inszeniert. Ihre Liebe fürs Theater und ihre Leidenschaft fürs Schreiben kombiniert sie bei kulturfeder.de als Autorin.