Mit Standing Ovations gefeiert: „Titanic“ in Osnabrück
Es hat viele Schiffsunglücke in den letzten 100 Jahren gegeben. Doch der Mythos vom Untergang der Titanic ist bis heute unerreicht. Im Jahr 1997 fand das Schicksal durch James Cameron nicht nur seinen Weg auf die Kinoleinwand, sondern als Musical von Maury Yeston (Musik und Songtexte) und Peter Stone (Buch) auch auf die Broadway-Bühne. Eine gelungene Neuinszenierung von Ansgar Weigner ist jetzt am Theater Osnabrück zu sehen – und voller Höhepunkte.
Eines dieser Highlights ist die fantastische Musik von Maury Yeston. Hier wechseln sich elegante wie schwelgerische Violinentöne mit unheilvollen Blechbläsern ab, um dann auf vibrierendes Schlagwerk zu treffen. Yeston hat eine klanglich opulente Partitur geschrieben, die neben Soli und Duetten starke Ensemblesongs, Choräle und Terzette beinhaltet.
Bei der Ouvertüre ist der monumentale Klang des Werks allerdings noch etwas blass, und im ersten Akt dirigiert An-Hoon Song das Osnabrücker Symphonieorchester so langsam, dass man befürchten könnte, die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne würden ihre Texte gleich sprechen statt singen. Erst nach der Pause findet der Dirigent seine zuvor winkend an ihm vorbeilaufende Motivation wieder und leitet die Musikerinnen und Musiker mit Verve durch den zweiten Akt.
Regisseur Ansgar Weigner, der sich seit seinen Kindertagen mit dem Schiffsunglück beschäftigt, liefert keine Materialschlacht, sondern stellt die einzelnen Charaktere und deren Schicksale sowie das Schiff als Wunderwerk der Technik in den Fokus. Dies zeigt sich schon während der Ouvertüre, bei der ein Schwarzweißbild der Titanic auf dem Vorhang einer Computeranimation weicht, die sowohl den fahrenden Luxusliner als auch eine Tauchfahrt zum Wrack visualisiert.
Wenn Konstrukteur Thomas Andrews (Christian Alexander Müller) in „Zu allen Zeiten“ die Schaffung kolossaler Wunder durch Menschenhand besingt, erscheint hinter ihm eine überdimensionale Blaupause, auf der die Titanic als Strichzeichnung entsteht. Später dann, nach dem Untergang, endet das Stück mit eben dieser Blaupause, auf der die Striche nach und nach wieder verschwinden.
Zudem hat Weigner einen neuen Schluss konzipiert und lässt die Handlung nicht mehr an Bord der Carpathia – dem Schiff, das die Überlebenden aufnahm – enden, sondern fünf Tage nach dem Unglück bei einer Anhörung vor der Untersuchungskommission in New York.
Das Bühnenbild von Darko Petrovic stützt sich vor allem auf die Projektionen, die durch verschiedene Versatzstücke ergänzt werden und so die Brücke, den Speisesaal und Rauchsalon, die einzelnen Decks, Kesselräume und den Funkraum entstehen lassen. Das alles sieht richtig gut aus – genauso wie die an historischen Vorbildern angelehnten Kostüme, für die Petrovic ebenfalls verantwortlich zeichnet.
Bei einem dramatischen Musical wie „Titanic“ kann die Choreografie von Sabrina Stein selbstverständlich kein zentrales Element der Inszenierung sein, doch ihre Charleston-Nummer „Beim Klang der Ragtime-Band“ ist wunderschön anzusehen und bietet ein bisschen Abwechslung vor der sich anbahnenden Katastrophe.
In erster Linie lebt das Musical von der Gesamtleistung der mehr als 60 Mitwirkenden, doch einige Namen müssen an dieser Stelle besonders positiv hervorgehoben werden. Thomas Schirano ist als Kapitän E. J. Smith eine respektvolle Erscheinung, Michael Ernst überzeugt gesanglich wie schauspielerisch als Funker Harold Bride, Dominik Räk begeistert mit seinem strahlenden Gesang als Ausguck Frederick Fleet und Christian Alexander Müller verleiht dem Schiffskonstrukteur Thomas Andrews eine elegante Kontur.
Als Erste-Klasse-Steward Henry Etches beweist Mark Hamman gutes Timing, Oliver Meskendahl blüht in der Rolle des Bandleaders Wallace Hartley sicht- und hörbar auf und die schauspielerisch stärkste Leistung bringt Jan Friedrich Eggers als jähzorniger Schiffseigner J. Bruce Ismay. Durch ihr amüsantes Spiel macht Susann Vent-Wunderlich als Celebrity-Jägerin Alice Beane auf sich aufmerksam, ein rührendes Ehepaar Straus geben Rosemarie Wohlbauer und Thomas Marx ab.
Als irische Auswanderinnen harmonieren Susanna Edelmann (Kate McGowan), Laetitia Hippe (Kate Mullins) und Leonie Dietrich (Kate Murphey) sehr gut miteinander. Alle drei bringen ebenso wie Tobias Gerisch als Jim Farrell die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Amerika authentisch über die Rampe.
Souverän einstudiert wurde zudem der Opernchor von Sierd Quarré, was besonders in den Nummern „Gute Fahrt“ und „Wir sehen uns wieder“ zu hören ist. Kein Wunder also, dass sich das Premierenpublikum zu nicht enden wollenden Standing Ovations hinreißen lässt.
Text: Dominik Lapp