Stimmig und kurzweilig: „Tootsie“ in Osnabrück
Dustin Hoffman erzielte im Jahr 1982 einen enormen Erfolg mit der Hauptrolle im Film „Tootsie“ und präsentierte damit eine Satire über Schauspielerei und übergriffige Macker. Nach der europäischen Erstaufführung in München und der österreichischen Erstaufführung in Linz ist nun am Theater Osnabrück die dritte Inszenierung des Musicals „Tootsie“ im deutschsprachigen Raum beziehungsweise die zweite in Deutschland zu sehen. Nachdem Ansgar Weigner bereits 2022 „Singin‘ in the Rain“ und 2023 „Titanic“ in Osnabrück inszenierte, wurde er erneut als Regisseur engagiert, um jetzt „Tootsie“ auf die Bühne zu bringen.
Robert Horn (Buch) hat das Kunststück vollbracht, den Film in einem knapp dreistündigen Musical zu verpacken, dabei nah an der filmischen Vorlage zu bleiben und den Stoff (Übersetzung: Roman Hinze) nahezu perfekt – abgesehen von ein paar Längen – für die Bühne anzupassen. Die Musik von David Yazbek klingt sehr gefällig und trägt die Story, bleibt aber kaum hängen. Das Osnabrücker Symphonieorchester unter der Leitung von An-Hoon Song, das um eine fünfköpfige Band erweitert wurde, spielt mit Big-Band-Charakter auf und wird der Partitur vollends gerecht. Die Musikerinnen und Musiker werfen sich mit Verve in den Mix aus hauptsächlich komödiantischen Songs und ein paar emotionalen Nummern, die die Ambitionen der Charaktere durchschimmern lassen.
Ansgar Weigner feuert in seiner klischeebeladenen Inszenierung einerseits ein Gag-Feuerwerk ab, hat andererseits aber auch plastische Charaktere entwickelt und beleuchtet zudem die kritischen Seiten des Theaterbetriebs von Machtmissbrauch bis hin zum Gender-Pay-Gap. Die dynamische Choreografie von Andrea Danae Kingston besteht vor allem aus Shownummern, die Broadway-Flair in die Inszenierung einstreuen und von den Studierenden des Instituts für Musik (IfM) der Hochschule Osnabrück exzellent umgesetzt werden. Besonders lebt das Stück aber vom Verkleidungswitz à la „Mrs. Doubtfire“, denn das Stück dreht sich schließlich um den erfolglosen Schauspieler Michael Dorsey, der sich bei einem Casting für „Romeo und Julia“ als Frau ausgibt, die Rolle der Amme bekommt und künftig unter dem Namen Dorothy Michaels auftritt.
Für diese herausfordernde Rolle wurde Jannik Harneit als Gast verpflichtet, der ein unglaublich komödiantisches Talent und ein facettenreiches Schauspiel an den Tag legt. Dabei wirkt er niemals lächerlich, sondern immer authentisch und auf den Punkt. Ebenso zeigt sich Harneit gesanglich von seiner besten Seite, glänzt in den Höhen, beweist großes Stimmvolumen und eine brillante Stimmführung. Für die zweite Hauptrolle wurde Julia Lißel als Gast engagiert, die in der Rolle der Schauspielerin Julie Nichols einen vielschichtigen Charakter zeichnet und glaubwürdig deren aufkeimende lesbische Seite visualisiert. Mit ihrem gefühlvollen Gesang verzaubert sie unter anderem in der Ballade „Da war John“.
Die kleineren Rollen wurden mit Mitgliedern des Hausensembles sowie mit IfM-Studierenden besetzt. Susanna Edelmann mimt eine genauso aufgedreht-hysterische wie sympathische Sandy Lester, die an ihren Auditions fast zugrunde geht. Jan Friedrich Eggers spielt Michaels Mitbewohner Jeff Slater grandios und punktet mit Zynismus sowie Wortwitz, Daniel Preis hat als talentloser Reality-TV-Teilnehmer Max von Horn mit behaarter Brust sowie schwäbischem Dialekt die Lacher auf seiner Seite und Mark Hamman in der antagonistischen, aber auch klamaukigen Rolle des Ron Carlisle überzeugt als frauenfeindlicher, übergriffiger und schmieriger Regisseur. Olga Privalova ist als Produzentin Rita Marshall perfekt besetzt, während Rinus Render als Künstleragent Stan Fields seinen witzigsten Moment hat, wenn dieser in der Schauspielerin Dorothy seinen Klienten Michael erkennt.
Das Bühnengeschehen wird eingerahmt durch die Kostüme und das Bühnenbild von Darko Petrovic. Die Kostüme sehen vor allem nach gewöhnlicher Alltagskleidung der Gegenwart aus, die Bühne besteht hauptsächlich aus einer Wolkenkratzer-Skyline New Yorks, einzelne Versatzstücke deuten weitere Szenerien an, zum Beispiel den Backstagebereich eines Theaters, eine Bar und einen Park. Die WG der Hauptcharaktere wird durch eine Klinkerwand, ein Chesterfield-Sofa, Tisch und Stuhl sowie ein Goldfischglas angedeutet. Für die richtige Atmosphäre sorgt das passende Lichtdesign von Ingo Jooß.
Am Ende bleibt zu attestieren, dass „Tootsie“ keine überdrehte Drag-Show ist, sondern die Geschichte eines heterosexuellen Mannes erzählt, der über Umwege zu sich selbst findet. Am Theater Osnabrück wurde das insgesamt stimmig umgesetzt und kurzweilig auf die Bühne gebracht, was das Publikum am Premierenabend mit vielen Lachsalven und stehenden Ovationen honoriert.
Text: Dominik Lapp