An den technischen Anforderungen verhoben: „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ in Detmold
Ian Flemings Kinderbuch „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ aus dem Jahr 1964 gilt als englischer Klassiker, wurde 1968 von MGM verfilmt und schaffte 2002 im Londoner West End den Sprung auf die Musicalbühne – in einer dreistündigen Fassung (Buch: . Nach der deutschsprachigen Erstaufführung 2014 in München und einer weiteren Inszenierung 2016 in Gera, ist das Landestheater Detmold erst das dritte deutsche Theater, das jetzt das inzwischen auf zweieinhalb Stunden gekürzte Musical (Buch: Jeremy Sams und Ray Roderick) zeigt.
Als Regisseur und Choreograf wurde nach „Der kleine Horrorladen“, „Liebe, Mord und Adelspflichten“ und „Jesus Christ Superstar“ erneut Götz Hellriegel verpflichtet. Damit setzt man nachvollziehbar auf Altbewährtes, verhebt sich aber an den technischen Anforderungen des selten gespielten Stücks. Das Bühnenbild von Jule Dohrn-van Rossum ist zwar sehenswert, detailliert und abwechslungsreich, doch das Hauptrequisit, das fliegende und schwimmende Auto, nach dem das Stück genauso wie der Film und das Kinderbuch benannt sind, enttäuscht leider.
Es sieht – insbesondere im Vergleich mit dem Auto in anderen Inszenierungen – furchtbar billig aus. Zudem wirken die Flugszenen recht unspektakulär, wenn das Fahrzeug im hinteren Teil lediglich um ein paar Grad angehoben wird. Hier hätte man sicher mit mehr Trockeneisnebel einen authentischeren Effekt erzielen oder das Auto im Gesamten hydraulisch oder mit Seilzügen aus dem Schnürboden effektvoller fliegen lassen können. Aus finanzieller Sicht ist das vielleicht auch ein Grund, warum sich so wenig andere Theater an dieses Stück wagen – denn das Auto ist nun einmal das Hauptobjekt des Stücks und wird sogar in einem eigenen Song besungen. Gerade deshalb sollte es so gestaltet sein, dass das Publikum aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt.
Darüber hinaus wirken die Videoeinspielungen von Nikolay Schröger völlig deplatziert, weil man hier auf schlecht animierte Zeichentrickelemente gesetzt hat, die überhaupt nicht zum Rest der Inszenierung passen wollen. Hätte man auf die Videos verzichtet, wäre weniger definitiv mehr gewesen und das Bühnenbild wäre viel besser zur Geltung gekommen.
Natürlich ist „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ ein zeitloses Fantasiestück, aber die Inszenierung von Götz Hellriegel lässt die Zuschauerinnen und Zuschauer dennoch rätseln, in welchem Jahrzehnt die Story angesiedelt ist. Da Buch und Film in den Sechzigerjahren erschienen sind, könnte man zumindest davon ausgehen, dass das Musical in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt. Dazu passt auch das Gabeltelefon, das Baron Bomburst nutzt. Er ruft damit seine Spione an, die wiederum ein an der Schulter hängendes, kofferähnliches Mobiltelefon aus den Neunzigerjahren dabeihaben, während die Schrotthändlerin etwas in der Hand hält, das zumindest so aussieht wie ein Smartphone. Auf ihrem Schrottplatz türmen sich allerdings vornehmlich alte Karossen aus dem frühen bis mittleren 20. Jahrhundert.
Sieht man von diesen inszenatorischen Fragenzeichen einmal ab, verspricht das Stück aber einen kurzweiligen Musicalabend. Das liegt besonders an der Besetzung. Benjamin Sommerfeld mimt als Caractacus Potts einen liebenswürdig-schrägen Erfinder, dessen Songs er mit klangschöner Stimme singt. Johanna Spantzel strahlt nicht nur schauspielerisch als hinreißende und wirklich bezaubernde Truly Scrumptious, sondern auch mit ihrem klaren Sopran. Andreas Jören beweist als Großvater Potts komödiantisches Timing, während Julie Löwen und Fatima Mhanna als Jeremy und Jemima ein glaubwürdiges Kindergespann abgeben.
Einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen ebenso die Bösen: Randy Diamond ist als Baron Bomburst einerseits ein ewiges Kind und andererseits brandgefährlich. Schauspielerisch lotet er das grandios aus und zeigt einen vielschichtigen Charakter – an dieser Darstellung hat das Publikum hörbar Spaß. An Diamonds Seite wirkt Lotte Kortenhaus nicht minder genial als bösartige Baronin Bomburst. Die ursprünglich männlich gelesenen Rollen des Spielzeugmachers und des Kinderfängers sind in Detmold weiblich besetzt, was exzellent funktioniert. Kerstin Klinder zeichnet das Bild einer grundsympathischen Spielzeugmacherin, während Brigitte Bauma eine furchteinflößende Kinderfängerin ist.
Für ein lebendiges Klangbild sorgt das Symphonische Orchester des Landestheaters Detmold unter der Stabführung von Mathias Mönius. Die Musik von Richard M. Sherman und Robert B. Sherman ist, ähnlich wie ihre Musik für „Mary Poppins“, gespickt mit Ohrwürmern. Nummern wie „Toot Sweets“, „Mein Bambusstock“, „Truly Scrumptious“, „Teamwork“ und nicht zuletzt den Titelsong nimmt man nach der Vorstellung auf jeden Fall mit nach Hause – ebenso die Erinnerung an die hübsche Choreografie (Götz Hellriegel) sowie die farbenfrohen und fantasievollen Kostüme (Dietlind Konold).
Text: Dominik Lapp